Georgien ein Jahr nach dem Kaukasus-Krieg

Neue Rosen braucht das Land

Ein Jahr nach dem Kaukasus-Krieg wächst der Protest gegen den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili. Der Opposition fehlt aber ein mehrheitsfähiges poli­tisches Projekt.

Am ersten Jahrestag des Beginns des Krieges zwischen Georgien und Russland war der Rustaweli Boulevard, die zentrale Hauptstraße der georgischen Hauptstadt, binnen weniger Wochen zum zweiten Mal komplett für den Autoverkehr gesperrt. Während des Besuchs des US-amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden am 23. Juli sollte so der Opposition jede Möglichkeit genommen werden, in Sichtweite des prominenten Besuchers ihren Protest gegen den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili und ihre Forderung nach Unterstützung durch die USA zum Ausdruck zu bringen. In den Seitenstraßen postierte Panzerwagen und Tausende mit Schlagstöcken bewaffnete Polizisten sollten im Ernstfall für Ruhe und Ordnung sorgen.

Am 7. August hielt die Regierung solche militärische Sicherheitsmaßnahmen offenbar für nicht nötig. Der sonst kaum zu überquerende Boulevard wurde zu einer großen Fußgängerzone, auf der teilweise Volksfeststimmung herrschte. Die Hauptaussage der staatlichen Erinnerungspolitik fasste die Ausstellung über »200 Jahre russische Aggression gegen Georgien« treffend zusammen. Hier wurden die gegenwärtigen Konflikte in der Region als Teil des lang andauernden Versuchs Russlands eingeordnet, den Kaukasus zu unterwerfen.
Panzer sah man an diesem Tag nur vor dem Parlamentsgebäude. Hier erinnerte eine Installation an den Giftgas- und Klappspatenangriff sowjetischer Fallschirmjäger auf eine Demonstration der georgischen Unabhängigkeitsbewegung im April 1989, der 19 Menschen das Leben kostete. Am Freiheitsplatz wurde in einer Fotoausstellung an die Gefallenen des Kaukasus-Kriegs vom vergangenen Jahr erinnert. Hier verfolgten viele Menschen auf Videoleinwänden schweigend die Dokumentationen über das Geschehen.
Das Erinnern an den Kriegsausbruch wurde allein von der georgischen Regierung bestimmt, die ihre Deutung der Ereignisse festzuschreiben versucht, wonach Russland den Krieg begonnen habe. Ein Jahr nach dem Konflikt, der mit einem desaströsen Ergebnis für Georgien endete, beschränkte sich die Opposition darauf, dem Präsidenten den Verlust georgischer Gebiete in Folge des Kriegs vorzuwerfen. Die in der Bevölkerung weit verbreitete Ansicht, die georgische Regierung sei zwar von Russland »provoziert« worden, habe jedoch den Ausbruch der militärischen Auseinandersetzungen mit dem Einmarsch in die separatistische Region Südossetien selbst zu verantworten, war öffentlich nicht zu hören. Doch hat Saakaschwili die aus dem Krieg resultierende Krise damit überstanden?
Dass der Krieg und vor allem die georgische Niederlage nicht zum Sturz des Präsidenten führten, lässt sich aus der georgischen Geschichte der vergangenen Jahre erklären. Das System Saakaschwili steht für einen von einem »charisma­tischen Anführer« vorangetriebenen Modernisierungsprozess vor dem Hintergrund einer postfeudalistischen Clangesellschaft. Das politische Projekt der so genannten Rosenrevolution von 2003, die Saakaschwili an die Macht brachte, war nicht in erster Linie die Herstellung demokratischerer Verhältnisse als unter dem vorhergehenden Präsidenten Eduard Schewardnadse, sondern die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols. Damit konnte Saakaschwili sich einerseits Zustimmung in einer von Korruption und Kriminalität geplagten Gesellschaft sichern und andererseits Unterstützung aus dem Westen bekommen, insbesondere aus den USA, die an einem von Russland unabhängigen, stabilen Georgien Interesse hatten. Dieses Interesse wird in Deutschland meist mit der durch Georgien führenden Pipeline erklärt, die Öl aus Azerbaijan in die Türkei transportiert und zukünftig über die Nabucco-Pipeline einen von Russland unabhängigen Transportweg für kaspisches Öl nach Mitteleuropa darstellen soll. Bedeutender als die Ölpipeline dürfte aber die geostrategische Lage Georgiens als eines der drei südkaukasischen Länder sein, an deren Grenzen das Nato-Mitglied Türkei, der Iran und Russland aneinanderstoßen. Von den drei Ländern des Südkaukasus kommt dabei nur Georgien als verlässlicher Partner des Westens in Frage. Azerbaijan ist wegen der großen azerischen Minderheit im Iran zur Rücksichtnahme auf das dortige Regime verpflichtet, und Armenien ist aus historischen Gründen der Schutzmacht Russland verpflichtet. Dazu kommen die bestehenden Spannungen zwischen beiden Ländern wegen der Region Berg-Karabach. Als Teil der kaukasischen Landbrücke zwischen Europa und Asien mit Anbindung an das Schwarze Meer ist Georgien auch ein wichtiger Transitweg zur Versorgung der westlichen Streitkräfte in Afghanistan.

Aus diesen Gründen sind die USA und Europa in durchaus unterschiedlicher Form an einer stabilen innenpolitischen Situation in Georgien interessiert, auch wenn dies auf Kosten der Demokratie geht. Presse und Rundfunk unterliegen immer stärkeren Restriktionen, Oppositionelle werden regelmäßig wegen angeblichen Waffen- und Drogenbesitzes verhaftet, die Demonstrationsfreiheit ist faktisch abgeschafft. Und auch wenn Biden bei seinem Besuch diese Entwicklungen durchaus kritisierte, so verweigerte er doch der Opposition die von ihren Vertretern erhoffte Unterstützung. Da die Opposition, anders als während der »Rosenrevolution«, bisher nicht in der Lage war, ein mehrheitsfähiges politisches Projekt zu entwickeln, welches sich von dem derzeitigen System unterscheidet, ist die außenpo­litische Unterstützung essenziell für den von ihr angestrebten Machtwechsel. Ein Oppositionsführer brachte neulich die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs ins Gespräch, als er die Gründung eines neuen Oppositionsbündnisses damit erklärte, bewaffneter Widerstand solle dadurch vermieden werden. Andererseits stellt die Weigerung der Regierung, offiziell auf militärische Handlungen zur »Wiederherstellung der territorialen Integrität Georgiens« zu verzichten, auch eine Gefährdung für die Stabilität im Kaukasus dar. Wohl aus diesem Grund verweigerten die USA die von Saakaschwili während des Besuches von Joe Biden angemahnte Militärhilfe. Hier wird offenbar, dass Saakaschwilis Herrschaft außenpolitisch auf der taktisch geschickten maximalen Ausnutzung der bestehenden Interessen der USA und der EU beruht. Innenpolitisch versucht er derzeit, dem Projekt der Rosenrevolution plebiszitär eine neue Grundlage zu verleihen. Abgeordnete der Regierungspartei und Minister sollen während der Parlamentsferien ins Land ausschwärmen und sich in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen den Fragen und Forderungen der Bevölkerung stellen. Doch auch die Opposition gibt nicht auf. Für September hat sie die Wiederaufnahme der Proteste angekündigt.