»Race riots« in Birmingham

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In Großbritannien rufen Nationalisten und Fußballhooligans zu Protesten gegen »islamischen Extremismus« auf. Bei einer Gegendemonstration in Birmingham stellten sich Antifaschisten unkritisch auf die Seite der Islamisten.

Birmingham, die zweitgrößte Stadt Großbritanniens, schafft es recht selten auf die Titelseiten der britischen Zeitungen. Wenn die Metropole der West Midlands mal in die Schlagzeilen kommt, geht es oft um so genannte race riots, Aus­ein­an­der­­set­zun­gen zwischen verschiedenen Gruppen aus der migrantischen und englischen Arbeiterklasse, die zu einem der Hauptprobleme dieser Stadt erklärt worden sind.
Die jüngste Auseinandersetzung in Birmingham fand am vorvergangenen Samstag mitten in der Innenstadt statt. Die nationalistische Gruppe Eng­lish Defence League (EDL) hatte zu einer Demons­tration gegen »islamistischen Extremismus« auf­gerufen. Bereits Anfang Juli hatte die EDL hier mit 100 Leuten demonstriert. Doch erst dieses Mal kam es zu ernsthaften Ausschreitungen mit mehreren Verletzten, nachdem die antifaschistische Gruppe Unite Against Fascism (UAF) und pakistanische Jugendliche mit den Demons­tran­ten der EDL aneinandergeraten waren. Insgesamt wurden 35 Menschen festgenommen.

Wegen seiner Größe und der Spannungen unter verschiedenen Bevölkerungsgruppen gilt Birming­ham als prädestiniert für race riots. Die konkreten Hintergründe der Ereignisse vom vorvergangenen Wochenende liegen jedoch nicht hier. Eher muss man nach Luton schauen, eine Kleinstadt nördlich von London, die den meisten bloß als Ort eines Londoner Flughafens bekannt ist. Luton war früher einmal das Zentrum der bri­tischen Automobilindustrie. Doch da arbeitet heute kaum jemand mehr, Luton ist eine triste post­indus­tri­elle Vorstadt mit einer Arbeiterklasse, die kaum mehr Arbeit hat.
Hier hat sich im Frühjahr die English Defence League gegründet. Die Entstehung der EDL folgte einem in ganz Großbritannien diskutierten Protest von rund 20 radikalen Islamisten gegen britische Soldaten, die aus dem Irak heimkehrten. Traditionsgemäß marschieren die britischen Trup­pen in vielen Städten und Gemeinden, um ihre Rückkehr aus internationalen Konflikten zu feiern und sich des Rückhalts der Bevölkerung zu versichern. Auch wenn dieses Ritual von vielen Briten eher mit Desinteresse betrachtet wird, gibt es eine allgemeine Unterstützung für die Soldaten jenseits des politischen Streits über die Militäreinsätze. Als im März die Soldaten des Royal Anglian Regiment durch Luton marschierten, nachdem sie vom Einsatz im Irak zurückgekehrt waren, wurden sie nicht nur von Sympathisanten em­pfangen. Den radikalen Islamisten gelang hier ein Tabubruch: Sie stellten sich an den Straßen­rand und zeigten Plakate, auf denen sie die britischen Soldaten als Terroristen, Kriegsver­brecher, Feiglinge und Kindermörder beschimpften.
Bald sammelte sich ein wütender Mob von Unterstützern der Soldaten, und die Polizei musste die radikalen Islamisten vor Übergriffen schützen. Während die Islamisten hinter den Polizeireihen »Allahu Akbar!« riefen, brüllten von der anderen Seite weiße Briten zurück: »Das ist unser Land!« Wie im Fußballstadion stimmten sie »England, England« an.
Das Treiben der Islamisten wurde in ganz Groß­britannien verurteilt, auch von vielen moderaten muslimischen Gruppen und Vereinen. Die bri­tische Regierung erklärte, dass es sich bei den Protestierenden um eine sehr kleine Minderheit handele, kündigte aber auch verstärkte Arbeit gegen islamischen Extremismus an.
Einer ganzen Reihe von jungen Männern in Lu­ton war das nicht genug. Sie gründeten also die EDL, nach eigenen Angaben eine Gruppe von Eng­ländern verschiedener nationaler und sozialer Herkunft, vom Geschäftsmann bis hin zum Fußball-Hooligan. Auf ihrer Homepage wirbt die EDL mit dem Spruch »Peacefully Protesting Against Mi­litant Islam«, und vor allem nach der De­mons­tration in Birmingham bemüht sich die EDL, ihre Distanz zu rechtsextremen Gruppen wie der BNP sowie zu jeglicher Form von Rassismus zu betonen. Die Organisation beschreibt sich als »Zusam­menschluss normaler britischer Menschen ver­schiedener Hautfarbe und Rasse«, der sich gegründet habe, um gegen die »Islamisierung Groß­britanniens« zu protestieren.
Bei den Aktionen waren jedoch bisher vor allem weiße männliche Hooligans zu sehen. Das ist auch kein Zufall. Im direkten Umfeld der EDL steht die Hooligan-Gruppe Casual United. Beide Gruppen riefen seit März gemeinsam zu mehreren De­monstrationen gegen »islamischen Radikalismus« auf. Im Mai kamen in Luton dabei einige hun­dert Demonstranten zusammen, damals noch ohne die Reaktionen von Antifaschisten.
Für die Proteste in Birmingham konnten die Anti­faschisten erstmals Hunderte Menschen zusammenbringen.
Nach den Ausschreitungen in Birmingham veröffentlichte die Gruppe Casual United auf ihrer Website Bilder von den Schlägereien und kündigte an: »Nächs­tes Mal sind wir größer.« Weitere Proteste der EDL und von Casual United sind bereits geplant. Ende August wollen die Nationalisten gegen ein Sharia-Gericht in Harrow demons­trieren. Auch in Luton, nach Meinung der EDL ein Zentrum des radikalen Islam in Großbritannien, wird für Ende August zum Protest aufgerufen. In Manchester sollen für Oktober Proteste geplant sein.
Dabei gehe es darum, wie es auf der Website der EDL heißt, »die Regierung mit machtvollem, aber friedlichem Protest« zum Handeln gegen »ge­walt­tätige Extremisten zu zwingen«.
Der Sprecher der EDL, Trevor Kelway, erklärte in einem Zeitungsinterview die Rolle von Casual United innerhalb der Gruppe: »Sie haben einen Zu­gang zu Fußballfans, die die Ideen der EDL unterstützen, weil sie Patrioten sind und sich zu verteidigen wissen.« Die EDL habe derzeit rund 300 aktive Mitglieder, gab er an.
Die britischen Hooligans waren in den achtziger und neunziger Jahren ein in ganz Europa bekanntes Phänomen, bis heute agiert der britische Staat mit starker Repression in den Stadien. Schon damals versuchten Rechtsradikale wiederholt, un­ter den Hools Fuß zu fassen.

Ein Sprecher der UAF, Weyman Bennet, kündigte bereits die Fortsetzung des Widerstands gegen die EDL an. Die EDL wolle jetzt mehr Mitglieder re­krutieren, sowohl um Wählerstimmen zu sammeln als auch als Fußvolk für ihre Demonstrationen. Die EDL sei derzeit noch sehr klein, und man wolle verhindern, dass sie größer wird. »Man darf nicht noch einmal zulassen, dass die EDL ungestört durch Luton marschiert, wie es im Mai passiert ist.«
Ob eine unkritische Verteidigung islamistischer Gruppen im Namen des Antirassismus dabei die richtige Strategie ist, bleibt allerdings mehr als frag­lich. Wenig wird bisher in der Linken in Groß­britannien darüber diskutiert, wie eine radikale Kritik am Islamismus aussehen könnte. Und das Auftauchen nationalistischer Gruppen wie der EDL wird vermutlich dazu beitragen, dass der Dis­kurs über »Islamophobie« sich in der britischen Linken weiter etabliert, ohne dass eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Begriff erfolgt.
Die EDL weist ihrerseits immer wieder Vorwürfe des Rassismus zurück und stellt Videos ins Internet, in denen EDL-Demonstranten mit schwar­zer Hautfarbe in Demonstrationen hervorgehoben werden. Sprecher Kelway sagt, dass er »neben Muslimen und Juden marschieren« würde, solange sie gegen den militanten Islam seien. Mitglieder in der EDL könnten alle sein, die »dem englischen Lebensstil folgten«.
Auch aus der Sicht der antifaschistischen Gruppe Searchlight sind EDL und Casual United keine klassischen Organisationen der radikalen Rechten, obwohl einzelne Mitglieder durchaus als solche anzusehen seien.