Das Museum der Westpreußischen Landsmannschaft in Münster

Als Westpreußen freigemacht wurde

Mit ihrem Museum in Münster hat die Westpreußische Landsmannschaft so etwas wie ein neues Zuhause gefunden – eines, in dem der Überfall auf Polen vor 70 Jahren und Vertreibungen unter Beteiligung der örtlichen »Volksdeutschen« nicht stattgefunden haben.

Das Westpreußische Landesmuseum befindet sich im Drostenhof zu Münster-Wolbeck, »einem der schönsten erhaltenen Herrenhäuser des Münsterlandes«, wie es in der Selbstdarstellung heißt. Alte Deutschland-Karten mit den Grenzen »von früher« sind zu sehen und viele Dokumente, die das romantische bäuerliche Leben der »Volksdeutschen« von damals zeigen. Lediglich Informa­tionen über die Jahre zwischen 1933 und 1945 fehlen praktisch in dieser Geschichte Westpreußens.

»Die mazedonischen Verhältnisse an unserer Ostgrenze müssen beseitigt werden«, schrieb am 27. August 1939, unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg, der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler an den Ministerpräsidenten Frankreichs, Édouard Daladier. Hitler verwies auf den »unerträglichen« Terror gegen die »Volksdeutschen« in den nach dem Versailler Vertrag an Polen abgetretenen Gebieten Westpreußens. Monatelang berichteten die Zeitungen über »deutsch-feindliche Ausschrei­tungen«. Der Völkische Beobachter schrieb über die »Deutschenverfolgung«, bei der sich Angehörige der deutschen Minderheit nur »unter Zurück­lassung von Haus und Hof« in Sicherheit bringen konnten, »um wenigstens das nackte Leben zu retten«. Ab Anfang August 1939 wurde die Presse angewiesen, »verbürgte Greuelmeldungen (…) sollen von heute an groß auf der ersten Seite erscheinen«.
Der Angriff auf Polen war in der Propaganda der Nationalsozialisten eine Intervention zum Schutze der in Polen verfolgten Deutschen vor ihrer Ausrottung. Noch vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal erklärte Hermann Göring im März 1946 den Krieg gegen Polen mit den »tatsächlich vorgekommenen außerordentlich schweren Grenz­zwischenfällen – (…) ich erinnere an über 70 000 geflohene Deutsche und die erschlagenen Deutschen.«

Die deutsche Minderheit in Polen war nach dem Überfall bei der Kontrolle der besetzten Gebiete aktiv beteiligt. Im September 1939 begann die SS, einen »Volksdeutschen Selbstschutz« systematisch aufzubauen. Hierbei griff sie auch auf Freikorps-Gruppen oder spontane Selbstorganisationen zurück, die teilweise bereits vor Kriegsbeginn von deutschen Bewohnern Polens gegründet worden waren, um gegen die polnische Mehrheit vorzugehen. Die »Selbstschutz«-Milizen sollten nach den Plänen Heinrich Himmlers die besonders unübersichtliche Situation der ersten Monate der Besatzung dazu nutzen, Angehörige der ehemaligen polnischen Führungsschicht, Juden und potenzielle Widerstandskämpfer zu »beseitigen«. Die ortsansässige »Volksgruppe« erschien Himmler hier geeigneter als Polizeiverbände aus dem Reich. Denn die Bevölkerung, vor allem in Westpreußen, war als deutsche Minderheit besonders offen für die NS-Politik.
In den wenigen Monaten seines Bestehens gehörten dem »Volksdeutschen Selbstschutz« mehr als 100 000 Angehörige der deutschen Minderheit an. Allein in Westpreußen meldeten sich 80 Pro­zent aller wehrfähigen Männer unter den »Volksdeutschen« zum »Selbstschutz«. Insgesamt sind dessen Mitglieder für die Tötung von et­wa 10 000 Menschen, vornehmlich Polen und Juden, verantwortlich. Weiterhin übernahm die Organisation polizeiliche Aufgaben wie etwa Haus­durchsuchungen und Razzien. Zahlreiche »unerwünschte Personen« – Juden, Lehrer oder Pfarrer – wurden festgenommen und in Gefängnisse oder Arbeitslager gesteckt.
Zwar stand der »Selbstschutz« formal unter dem Befehl der SS. Vielerorts aber verselbständigten sich die Milizen, und die deutschstämmigen Polen verübten, angeblich wegen früherer Diskriminierungen, »Racheaktionen« an Polen. Diese Verselbständigung war denn auch der vorrangige Grund dafür, dass die »Selbstschutz«-Gruppen En­de 1939 schon wieder aufgelöst und ihre Mitglieder in die SS und SA integriert wurden.

Die Taten der »Selbstschutz-Milizen« wurden im Nachkriegsdeutschland gerichtlich so gut wie gar nicht verfolgt. Auch von den Vertriebenenverbänden wird dieser Teil der Vergangenheit der deut­schen Minderheit in Polen verschwiegen. Dies verwundert wenig angesichts der Kontinuität zwischen dem Führungspersonal der »Volksdeutschen« in Polen und den Vertriebenenverbänden.
Beispielhaft dafür steht Hans Kohnert, der von 1956 bis 1960 Sprecher der Landsmannschaft West­preußen war, einer Unterorganisation des Bundes der Vertriebenen mit Sitz in Münster. Kohnert war von 1936 an Chef der »Deutschen Vereinigung in Westpolen«, die man als Vorläuferorganisation des »Volksdeutschen Selbstschutzes« bezeichnen kann. Für seine Verdienste wurde er 1939 SS-Oberführer beim Stab des Reichsführers SS Heinrich Himmler, Hitler dekorierte ihn mit dem »Goldenen Ehrenzeichen der NSDAP«.
Daneben profitierte er in besonderem Maße davon, dass die Nazis sich skrupellos polnische Gü­ter aneigneten, wie eine Dokumentation des Münsteraner Landtagsabgeordneten Rüdiger Sagel (ehemals Grüne, jetzt »Die Linke«) aus dem Jahre 2005 ergibt. Demnach meldete der mittellose Kohnert bereits kurz nach dem Überfall auf Polen Interesse an, einen Gutshof in den besetzten Gebieten in seinen Besitz zu bringen. Nachdem sich der Präsident der deutschen Zentralgenossen­schaftskasse, Helferich, zunächst bereit erklärt hatte, Kohnerts Wunsch nach einer »bodenständigen Verwurzelung in seiner Heimat« zu genügen, stießen die Bestrebungen selbst beim Gauleiter Danzig Westpreußen, Albert Forster, auf Bedenken: »Ich finde es sehr eigenartig, dass in meinem Gau (…) beschlagnahmte polnische Güter verteilt werden.« Doch dann wurde ihm von SS-Führer Himmler übermittelt, er möge Kohnert »ein Gut zur Verfügung stellen (…). Dies soll als Ge­genleistung des Reiches für seine Verdienste um das Deutschtum vor der Besetzung Polens darstel­len.« Im April 1940 war es dann soweit. Der höhere SS- und Polizeiführer Warthegau teilte mit, »dass das Gut Ostrowo nunmehr freigemacht« sei, und man mag sich lieber nicht vorstellen, wie das vonstatten ging.
Nach seiner »Vertreibung« von dem ach so heimischen Gutshof Ostrowo setzte Kohnert im Westen seinen Kampf für das »deutsche Volkstum« im Osten fort.

Die »Landsmannschaft Westpreußen« hat mit all dem offenbar noch heute kein Problem, wie man etwa an der Gestaltung des Münsteraner Mu­seums ablesen kann. Der Ausstellung nach könnte man glauben, der Überfall auf Polen hätte nicht stattgefunden und die deutsche Minderheit hätte mit der NS-Politik nichts zu schaffen gehabt.
Die Landsmannschaft kann sich dabei auf die Unterstützung der konservativen Lokalpolitik verlassen. Als die damalige Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Christina Weiss, im Jahr 2005 anmahnte, dass die Ausstellung über Westpreußen »für eine öffentlichkeitswirksame Museumsarbeit unzureichend sei«, sagte Oberbürgermeister Berthold Tillmann (CDU), dass die Stadt für den Verbleib des Westpreußischen Landesmuseums in Münster kämpfen werde.
Den Kampf haben die Stadtoberen gewonnen, das Museum steht mit unveränderter inhaltlicher Konzeption im Stadtteil Wolbeck und wird vom Bund und vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe jährlich mit knapp 600 000 Euro unterstützt. So hat man in Münster bereits ein kleines »Zentrum gegen Vertreibungen«, wie es sich die »Westpreußin« Erika Steinbach – ebenfalls langjähriges Vorstandsmitglied der Landsmannschaft Westpreußen – für Berlin so sehnlichst wünscht.