Die Krautrockband Faust

Lautes vom Lande

Faust melden sich zurück – mit neuen Alben und Festivals.

Als Propheten im eigenen Land hatten es Faust von Anfang an schwer. Der Musikjournalist Uwe Nettelbeck besorgte der Band 1970 einen Plattenvertrag bei Polydor, was Faust den Vorwurf einbrachte, ein von der Musikpresse ins Leben gerufener Hype zu sein. Doch dieser Hype blieb zumindest in Deutschland aus. Ihre Musik war für das Publikum der frühen siebziger Jahre viel zu sperrig, eine wilde Mischung aus Elektronik, Free-Rock und Klangcollagen.
Anders in Großbritannien, wo Faust schon früh gewürdigt wurden und bis heute als Pioniere für so ziemlich alles Weitere gefeiert werden: Den einen gelten sie als Ahnherren von Industrial, den anderen als Wegbereiter von Techno, Rob Lloyd von der Post-Punk-Band The Nightingales zufolge waren Faust sogar die ersten Punks im Geiste.
Kein Wunder, denn Faust haben sich bis heute an keinen Markt angepasst, wie die in diesem Jahr erschienene CD »C’est Com … Com … Compliqué« abermals unter Beweis stellt.
Das Album beginnt mit neun Minuten großartig flirrenden Gitarren und einem darauf abgestimmten, luftigen Schlagzeugspiel. Diese Nummer vereint noch einmal alles, was von den Briten einmal ehrfurchtsvoll als »Krautrock« klassifiziert wurde: versponnene Psychedelic, die klingt, als ob sie nicht von diesem Planeten käme. Diesen Trip hält die Band jedoch nicht durch. Es folgen Stücke mit seltsamen Chanson- und Folk-Anleihen, auf einer Nummer versuchen sich Faust sogar im Obertongesang und scheitern kläglich. All das kann man als unausgegoren und peinlich empfinden, doch es ist zugleich auch Programm.
Im Gegensatz zu Kollegen wie Tangerine Dream, die ihr Publikum mit psychedelischem Wohlklang in ferne Traumwelten entführten, besaß die Musik von Faust immer schon parodistische und neodadaistische Elemente.
Aber kann man überhaupt noch von Faust als Band sprechen?
Die neue CD stammt von den beiden Gründungsmitgliedern Jean-Hervé Peron und Zappi Diermair, seit einigen Jahren nimmt aber auch Gründungsmitglied Hans Joachim Irmler mit wechselnden Musikern unter dem Namen Faust Platten auf. Welche musikalischen Differenzen zu diesem Split geführt haben, lässt sich erahnen, wenn man sich die CD »Taste Tribes« anhört, die Irmler zusammen mit Freejazz-Legende Alfred Harth und Günter Müller in diesem Jahr auf dem Schweizer Label For4Ears Records veröffentlicht hat. Hier fehlt alles Alberne, das »C’est Com … Com … Compliqué« über weite Strecken zu einer Gratwanderung zwischen Irrwitz und Selbstdemontage werden lässt, höchst konzentriert arbeiten die drei Musiker an einem dichten Geflecht aus Free Jazz, elektronischer Psychedelic und lärmendem Post-Industrial. »Taste Tribes« ist zwar nicht unter dem Namen Faust veröffentlicht worden, kommt aber den irritierenden Klangcollagen, die Faust in den frühen Siebzigern auszeichneten, sehr nahe, ohne sich im nostalgischen Rückblick zu erschöpfen.
Doch ganz gleich, von welcher Faust-Hälfte die Rede ist, in beiden Fällen arbeiten die Musiker immer noch aktiv an musikalischen Netzwerken. Hans-Joachim Irmler gründete 1996 das Label Klangbad mit eigenem Tonstudio, aus dem ein eigenes Festival hervorging, das seit 2004 alljährlich in Scheer bei Sigmaringen in Oberschwaben stattfindet. »Es gibt zwei Arten von Rockfestivals«, meinen die Festivalleiter, »die normalen und die abenteuerlich-kreativen. Die einen präsentieren Musik, die man schon kennt. Die anderen haben den Finger am Puls der Zeit und hören in Nischen und Randzonen der Popszene hinein.«
Beim diesjährigen »Klangbad«-Festival Anfang August traten u.a. Alec Empire, Pram, Dälek und The Nightingales auf. Das Programm setzt durchweg auf höchstes Niveau und schmeichelt keinen konventionellen Hörgewohnheiten, dennoch ist es angesichts der Tatsache, dass fast alle auftretenden Künstler seit Jahrzehnten aktiv sind, etwas vermessen, vom »Puls der Zeit« zu sprechen. Mit Jaki Liebezeit von Can und Moebius von Cluster präsentierte sich Klangbad eher wie ein Veteranentreffen, auf dem die Avantgarde ihre eigene Geschichtlichkeit feiert. Ähnliches gilt für die andere Faust-Hälfte: Jean-Hervé Peron lädt vom 28. bis 30. August zum Avantgarde-Festival auf seinem eigenen Bauernhof in Schiphorst bei Lübeck ein. Dort spielen u.a. Nurse With Wound, Chris Cutler sowie Musiker von Can, Neu, Guru Guru, Amon Düül und Faust. Hippie-Flair dürfte garantiert sein, doch Nachwuchsförderung sieht anders aus. Die ist allerdings auch eine Frage des Budgets. Die aufregendste Avantgarde findet derzeit in den USA und Kanada statt, wo vergleichsweise junge Bands wie Gang Gang Dance oder Our Mother The Native an den Geist experimenteller Kraut-Bands anknüpfen. »Ganz klar, wir können keine Gruppen aus den Staaten oder Kanada, Brasilien oder Afrika einfliegen lassen«, bedauert Peron, »dieses Jahr hat uns die israelische Botschaft immerhin die Flüge von drei Künstlern finanziert … Schön, sonst hätten sie nicht kommen können.«
Wichtiger als die Frage, inwieweit das Festival aktuelle Strömungen repräsentiert, ist für alle Beteiligten sowieso die Atmosphäre, die sich von herkömmlichen Großveranstaltungen unterscheidet. »Die Leute (rund 600; M.B.) und die mehr als 100 Künstler sind überall auf dem Grundstück, in unserem Privathaus, im Nebengebäude und im Garten verteilt. Liebe und Aufmerksamkeit für das Publikum, für die Künstler und für das Personal sind essenziell für uns. Es gibt keinen Backstage-Bereich. Da freuen sich natürlich die Leute, neben ihren Lieblingsgruppen zu frühstücken. Wir holen die Leute vom Bahnhof oder Flugplatz ab, und wenn jemand sein Gepäck verloren oder vergessen hat, besorgen wir nachträglich Unterwäsche und Zahnbürste.« Chris Cutler, ehemals Musiker bei Henry Cow und regelmäßiger Festivalteilnehmer, nannte dies »drei Tage Utopia«.
Faust haben ihr legendäres Debüt in einer alten Dorfschule in der Lüneburger Heide eingespielt, von Uwe Nettelbeck waren die Räume zu einem Studio umfunktioniert worden. Die Liebe zum platten Land teilen die Musiker bei allen Differenzen bis heute. Und noch etwas zeichnet sowohl Klangbad wie auch das Avantgarde-Festival aus: Der Avantgarde-Ansatz ist international, einen wie auch immer gearteten nationalistischen Kraut-Dünkel hat es bei Bands wie Faust, Can oder Cluster zu keiner Zeit gegeben.
Die heutigen Verfechter einer »deutschen Pop-Identität« sehen das natürlich anders. »Beseelt von dem Gedanken, über Neugier und Offenheit den Weg zu einer deutschen Identität innerhalb der modernen Popkultur zu finden, machten sich bundesweit Musiker auf die Suche nach einem eigenen Sound«, bewarb der Hannibal-Verlag das nahezu unerträgliche, 2008 erschienene »Krautrock«-Buch von Henning Dedekind und setzt noch einen drauf: »Die deutsche Rockmusik befreite sich von ihren angelsächsischen Fesseln und machte einen großen Sprung nach vorn.« So hätten es die Dieter Gornys in diesem Land wohl gerne. Angesichts einer Band wie Faust, die sich für ihr Debüt fast ausschließlich von Velvet Underground und den Mothers of Invention hat beeinflussen lassen, sind solche Umdeutungen jedoch nichts weiter als grotesk.