Die iranischen Minister in spe

Vom Bombenleger zum Minister

Die vom iranischen Präsidenten Ahmadinejad vorgeschlagene Kabinettsliste wird von Anhängern des religiösen Führers Khamenei heftig kritisiert. Doch eine andauernde Regierungskrise können sich die Machthaber nicht leisten.

Mit dem Beginn des Fastenmonats Ramadan zeichnet sich für das Gesamtgefüge der Islamischen Republik Iran eine vorläufige Stabilisierung ab. Die so genannten Reformer vermeiden zurzeit jede Initiative, die auch nur als Versuch ­gewertet werden könnte, den Protest wieder massenhaft auf die Straße zu tragen. Um die Galionsfigur Mir Hussein Mousavi ist es überhaupt bemerkenswert still geworden. Selbst seine Ankündigung, nun eine Organisation unter dem Namen »Grüner Pfad der Hoffnung« gründen zu wollen, ist auf wenig erkennbare Resonanz gestoßen, das gilt sogar für die Presse im Westen.
Als Stimme der Opposition erscheint zurzeit eher Mehdi Karroubi, der zweite Präsidentschaftskandidat der »Reformer«, der mit der Thematisierung der Vergewaltigungen von Gefangenen für offenen Streit im Establishment der Islamischen Republik gesorgt hat. Karroubi wäre wohl auch der erste Kandidat, wenn es an die Erfüllung der immer öfter erhobenen Forderung nach Verhaftung der »Rädelsführer« oppositioneller Proteste ginge. Aber während Karroubis Zeitung Etemad-e-Melli gerade verboten worden ist, hat der Parlamentssprecher Ali Larijani, nachdem er die Vergewaltigungen zuerst forsch als erfunden bezeichnet hatte, nun seine Bereitschaft erklärt, an einem Treffen teilzunehmen, bei dem Karroubi Beweise vorlegen will. Auf seiner Webseite präsentierte er bereits die Aussage eines Gefangenen und warnte, dies sei nur ein »Fragment« der vorliegenden Beweise.
Ob sich allerdings auch der wieder vereidigte Präsident Mahmoud Ahmadinejad, wie von Karroubi gefordert, an einer solchen Zusammenkunft beteiligen würde, ist fraglich. Ahmadinejad hat zudem noch ganz andere Sorgen. Denn wenn man auch von einer Stabilisierung der Lage für das Regime sprechen kann, so kommt diese derzeit primär dem Machtzentrum um den religiösen Führer Ali Khamenei zugute. Der angebliche große Wahlsieger hingegen steht beim Versuch, sein Kabinett aufzustellen, weiterhin in der Kritik der Parlamentsmehrheit, von der es abhängt, welche der 21 von ihm ernannten Minister am 30. August gebilligt werden.

Dabei gibt es einige Problemfälle. Dazu gehören die drei Frauen, die Ahmadinejad zu Ministerinnen machen will. Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik sollen Frauen ein Ministerium leiten. Man wird diese Entscheidung als ein Bemühen des Präsidenten um ein wenig Popularität werten dürfen, und zugleich als den Versuch, sich gegenüber den weithin unpopulären Hardlinern der Parlamentsmehrheit als fortschrittlich zu profilieren. Die Hardliner haben bereits wie erwartet reagiert und »religiöse Zweifel an den Managementfähigkeiten von Frauen« angemeldet.
Laute Kritik gibt es auch an der Nominierung des Kandidaten für das Ölministerium. Den Posten soll Massoud Mir Kazemi übernehmen, der bislang Handelsminister war und sich nicht durch besondere Fähigkeiten auf seinem neuen Gebiet auszeichnet. Der Industrieminister Ali Akbar Mehrabian darf sein Amt behalten, obwohl er vor kurzem wegen Betrugs verurteilt wurde, er hatte die Erfindung eines erdbebensicheren Kellerraums fälschlicherweise als seine eige­ne ausgegeben. Doch wurde er zufällig am selben Tag erneut als Minister nominiert, als das Urteil gegen ihn aufgehoben wurde. Weniger Glück hatte Esfandiar Rahim Mashai, ein Freund und Verwandter Ahmadinejads, der erst Vizepräsident wer­den sollte, an Khameneis Einspruch scheiterte, dann zum Präsidentenberater und Stabschef ernannt wurde und nun, plötzlich verurteilt we­gen finanzieller Unregelmäßigkeiten, sein Amt zwei Monate nicht ausüben darf.
Ein prominentes Mitglied der »Prinzipalistenfraktion« im Parlament hat Ahmadinejads Kabinettsauswahl als »schwach« charakterisiert, die Ernannten seien überwiegend »Ja-Sager«, die vom Präsidenten abhängig seien und seinen Ansichten unbedingt folgten. Bei der Besetzung des für die ökonomische Entwicklung und den Macht­erhalt des Regimes entscheidenden Ölministeriums wird Ahmadinejad wohl einen Kompromiss akzeptieren müssen, doch dürfte es ihm gelingen, andere wichtige Ministerien nach seinem Ermessen zu besetzen. Das wird den Einfluss der Revolutionswächter weiter stärken.
So soll der bisherige stellvertretende Verteidigungsminister Ahmadi Vadhidi an die Spitze des Ministeriums aufrücken. Vadhidi ist nicht nur ein von Interpol gesuchter Hauptverdächtiger für den Bombenanschlag im Jahr 1994 auf ein jüdisches Kulturzentrum in Buenos Aires, bei dem 85 Menschen starben, er ist auch ehemaliger Kommandeur einer besonders berüchtigten Abteilung der Revolutionswächter.

Der bisherige Verteidigungsminister, auch ein Militär, soll nun Innenminister werden, und das hochsensible Geheimdienstministerium, um dessen Kontrolle Ahmadinejad sich bemüht, soll dem früheren Verbindungsmann Khameneis zu den Bassij-Milizen zufallen, die wiederum unter Kontrolle der Revolutionswächter stehen. Mög­licherweise ist das ein akzeptabler Kompromiss für den Präsidenten wie für den religiösen Führer.
Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass Ahmadinejad mit seinem Kabinett durchkommt, auch wenn er ein paar Abstriche machen muss. Es gibt keine Alternative für das Regime. Eine andauernde Regierungskrise, die die Uneinigkeit unter den Hardlinern für alle Welt und nicht zuletzt für die iranischen Oppositionellen sichtbar macht, können sich die Machthaber nicht leisten. Streit gab es allerdings bereits bei der Kabinettsbildung in Ahmadinejads erster Amtszeit. In der vorigen Legislaturperiode lehnte das Parlament gleich drei Kandidaten Ahmadinejads für das Ölministerium ab, auch damals war die Eignung der Kabinettsmitglieder nicht das entscheidende Kriterium.
Es scheint diesmal jedoch so, dass man Ahmadinejad jenseits der Kabinettsbildung noch durch weitere Personalentscheidungen seine Grenzen aufzeigen will. Das überraschende Urteil gegen seinen Freund Mashai dürfte diesem Zweck dienen, ebenso die plötzliche Ablösung des auch international zu traurigem Ruhm gelangten Teheraner Oberstaatsanwalts Saeed Mortazavi, der die derzeit laufenden Schauprozesse organisierte. Der neue Oberste Richter Sadegh Larijani, ein Bruder des Parlamentssprechers Ali Larijani, ist dafür verantwortlich. Der von Ahmadinejad entlassene und der Unfähigkeit bezichtigte langjährige Geheimdienstminister wurde von Lari­jani umgehend zum neuen Generalstaatsanwalt gemacht.

Die Ernennung des eher im Ruf eines Hardliners stehenden Sadegh Larijani zum Leiter des Justizwesens war auf heftige Kritik der Anhänger Ahmadinejads gestoßen. Hashemi Rafsanjani, ehemals Präsident und als Vorsitzender des Expertenrats weiterhin einer der einflussreichsten Politiker, ließ es sich nicht nehmen, zu dieser Amtseinführung zu erscheinen, während er der Feierstunde des Präsidenten ferngeblieben war. Daraufhin ging Ahmadinejad, der zu spät gekommen war, wieder, bevor Rafsanjani zu reden begann. In ­seiner unergründlichen Verschlagenheit empfahl Rafsanjani in einer weiteren Rede, diesmal vor dem Schlichtungsrat, unbedingt dem religiösen Führer Folge zu leisten. Rafsanjani galt nach den Wahlen als Verbündeter Mousavis. Seine Ergebenheitserklärung war wohl weniger eine ­Kapitulation des »Hais«, wie sein Spitzname lautet, als ein nicht allzu kostspieliger Friedensgruß an Khamenei, um den Rücken gegen Ahmadinejad frei zu haben.
Denn sie lauern alle und warten, vollführen Rochaden und giften sich hinterrücks an. Das öffentliche Zeremoniell des ostentativen Grüßens bzw. demonstrativen Übersehens hat bei der Amtseinführung Larijanis als Oberster Richter einen neuen Höhepunkt erreicht. Die offen aus­getragenen Machtkämpfe mögen nun hinter den Kulissen gesponnenen Intrigen weichen. Das System kann sich für Tage, für Wochen, vielleicht auch für einige Monate stabilisieren, lösen können die islamistischen Herrscher ihre Konflikte jedoch nicht.
Aber für Freunde des iranischen Präsidenten gibt es auch eine wirklich nette und versöhnlich stimmende Nachricht. Nachdem bereits der sy­rische Staatschef Bashir al-Assad in Teheran zu Besuch war und bestimmt dafür belohnt worden ist, hat sich für Anfang September ein weiterer bedeutender Staatsmann bei Ahmadinejad angemeldet. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez will nicht nur in Libyen, Russland und Syrien, sondern für zwei Tage auch in Teheran vorbeischauen, um mit Ahmadinejad über die »in­adäquate militärische Situation in Lateinamerika« zu konferieren. Da haben sich wirklich zwei Freunde fürs Leben gefunden.