Der Wahlkampf im Internet

Du da im Internet

Steinmeier bloggt, Merkel twittert, See­hofer grinst, und der Rest ist auch nicht besser. Bildchen, Filmle, Sprüchlein und Scherzel – im Internet hat der deutsche Wahlkampf seinen infantilistischen Idealzustand gefunden.

Wir haben, seien wir ehrlich, einfach kaum noch Lust auf Politik. Alle Parteien sind für Zukunft, Familie, Arbeit und Sicherheit, nur die NPD ist auch noch gegen Ausländer und Menschen mit jeder anderen Hautfarbe als jene, die Bierdunst und Sonnenstudio erzeugen. Und dieses Gegrinse, dieses Blubbersprechen, diese Plakate in den Farben von Bild der Frau, die öden Rollenspiele im Fernsehen – der deutsche Wahlkampf des Jahres 2009 ist eine Reality-Seifenoper, die den Darstellern genauso wenig Spaß macht wie den Zuschauern. Nur abschalten, abschalten kann man nicht.

Da sich die konventionellen Mittel des Wahlkampfs, der Live-Auftritt, der TV-Spot, das Kamera- und Mikrophon-»Duell«, das Zupflastern der Welt mit Wahlplakaten, die Stände in der Fußgängerzone, die lustigen Luftballons, Kugelschreiber, Notizblocks und Schlüsselanhänger, da sich alle diese Restrealitäten weitgehend erschöpft haben, setzt man diesmal, wie im Wirtschaftsleben rings umher, auf die Medien, die wenigstens noch ein wenig kommunikationstechnologischen News­wert haben.
Man twittert, bloggt, youtubed, facebooked, webseited und verlinkt, was das Zeug hält. Wahrscheinlich hat man es sich von Obama oder von den Arctic Monkeys abgucken wollen, jedenfalls findet Wahlkampf augenblicklich hauptsächlich in dem Versuch statt, elektronische Blasen, Follower und Communities zu bilden. Der Effekt ist insofern zwerchfellerschütternd, als der Widerspruch zwischen altem Inhalt und neuer Form, verschnarchter Message und hibbeligem Design, staatstragendem Wort und subversivem Bild in sich selber komisch ist. Dagegen bestehen nur noch zwei andere »neue« Formen des Wahlkampfs: die eher bizarren Fernsehformate mit Politikern in Reality-Shows, in denen die eine Person unter Beweis stellen kann, dass sie wirklich jeden Scheiß mitmacht, und die andere, dass sie auch im Alltag nichts gebacken bekommt. Und der Body-Talk mit den Busenbildern der CDU-Matronen (»Wir haben mehr zu bieten«), dem Jeans-Hintern der Wahlkämpferin der »Linken« (»Mit Arsch in der Hose«) und dem noch merkwürdigeren Hintern-Griff auf dem Plakat der Grünen: »Der einzige Grund, schwarz zu wählen«. (Die beiden letztgenannten übrigens referieren auch in der Gestaltung ziemlich eindeutig auf die »skandalöse« Benetton-Werbung von einst). Im Rahmen der traditionellen Formate gibt es also im Wahlkampf nur noch einen Thrill: die Entgleisung. Und im Internet?

Hier bekommt man zuerst einmal auch nichts anderes als die gewohnten Blubbertexte. Alle wollen den Mittelstand fördern, Arbeit durch Wachstum, Kindertagesstätten, aber auch die Senioren nicht vergessen. Nur ist hier alles kleinteilig und vernetzt, dauernd wechseln die Bilder, dauernd muss man irgendwas anklicken, dauernd ist man unterwegs, von Null zu Null im Rhythmus der Maus.
Die Rhetorik dabei scheint vor allem aus den Volksmusiksendungen des deutschen Fernsehens zu stammen, immer wieder ist da von »unserem schönen Land« die Rede, das Wir-Gefühl muss in kleinen, dynamischen Happen verabreicht werden, interaktiv und animiert: »Unser gemeinsames Ziel muss es sein, unsere Heimat lebens- und liebenswert zu erhalten« (Patricia Wissel von der CDU), »Gemeinsam für unsere Heimat« (Peter Müller von der CDU). »›Politik für die Menschen‹ zu machen. Das bezeichnete der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier im ARD-Sommerinterview als den zentralen Anspruch, den er an sich selbst stellt.« Genau so inszenieren sich die Politiker auch in den unvermeidlichen Videofilmchen, die jeder Webseite beigegeben sind. Es sind Darsteller in einem ewig laufenden Heimatfilm.
Wahlkampf wird zum üblichen medialen Kindergeburtstagsspiel, etwa wenn in der Internetkampagne der CDU ein »teAM« gegründet wird, die Unterstützergruppe für Angela Merkel, die wiederum im Netz nach Usern, Followern und anderen Gelangweilten sucht, um Zahlen wie diese zu generieren: Angela Merkel hat nun über 100 000 Follower im »sozialen Netz« Twitter. Boah! (Allerdings: Die CDU hat knapp 590 000 Mitglieder …)
Auch Promis müssen mitmachen. Die Kabarettistin Anka Zink sagt auf der entsprechenden Seite: »Ich unterstütze Angela Merkel gerne, weil ihr Ziel ›mehr Bildung‹ eine sichere Zukunftsinvestition ist. Durch Bildung entsteht ein echter Mehrwert.« Ist das jetzt kabarettistisch gemeint oder nur so eine Privatmeinung einer Unterstützerin? Auf Youtube kann man zum Beispiel sehen: »Michael Link, Europa-Experte der Bundestagsfraktion der FDP, erklärt das Begleitgesetz zum Vertrag von Lissabon.« Auch da ist sehr schwer zwischen Satire und Realität zu unterscheiden.
Frank-Walter Steinmeier bloggt natürlich auch. Und das sieht so aus: »Wieder in NRW. Zwei vollgepackte, spannende Tage. Bei den Gesprächen immer wieder offene Worte, klare Kante. Immer konstruktiv, manchmal mit Sorge …« Die Blogs unserer Politiker sind die miesen Praktikantenlöhne für ihre Verfasser nicht wert. Aber wer zum Teufel liest diesen Kram?

Nun, es ist eine neue Sprache, die da entsteht. Und eine Mitmach- und Gewinnspielkultur wie in den unteren Etagen unserer Unterhaltungskultur, in all diesen Dingen, die man umsonst bekommt, von der Apotheken-Umschau bis zum Late-Night-Quiz. Bei den Grünen darf man sogar einen »Gruen-o-mat« bedienen, der die wichtige Frage beantwortet: »Wie grün bist du?« Schon wieder diese Vertraulichkeit der Anrede. Beinahe durchgehend sprechen uns die Wahlkampfseiten mit diesem neuen Du an, eine Mischung aus Vertraulichkeit, Infantilismus und Konsumgeilheit: Ikea-Sprech. Eine Bildergalerie bietet alle Plakatmotive: »Spende jetzt ein Großformat-Plakat«. »Wir Grüne sind die Partei in Deutschland, die am wenigsten Geld in den Wahlkampf stecken kann. Das haben wir schon immer mit dem Engagement unserer Unterstützerinnen und Unterstützer ausgeglichen. Möchtest Du verhindern, dass Angela oder Guido Dir eines ihrer Plakate vor die Haustür oder an die Bushaltestelle kleben? Dann spende doch eines unserer Plakate – Du kannst selbst bestimmen, wo es hängen soll.« Auja, das wird lustig, und dann sind Angela und Guido ­gaanz, gaanz beleidigt.
Was auf diesen Webseiten geschieht, ist eine Entmündigung der Wähler, sie werden zu kleinen Kindern im Konsumrausch, im politischen Schnäppchenparadies, im E-Bay der Geschichte. »Keine Zeit für die Wahlkabine? Sende Deine Stimme per Post – bequem und kostenfrei!« So heißt es bei der »Linken«, als gelte es Handy-Klingeltöne an gestresste Teenager zu verhökern.

Die Parteien partizipieren an der Infantilisierung und der Analphabetisierung im Netz und treiben sie zugleich weiter in einen Bereich der Diskurse, der vordem davor geschont schien. Der Wähler wird als kindischer Konsument angesprochen, dem man nur ja keine intellektuelle Zumutung, nur ja keine geistige und körperliche Anstrengung zumuten darf. Beim Verfassen der Texte scheint man hauptsächlich auf das Verlinken und das Ranking zu spekulieren, es geht hier offensichtlich darum, Menschen abzuholen, die sich das selbständige Denken schon lange abgewöhnt haben. Und dabei wird der Irrsinn dieses Systems erst wirklich deutlich: Durch das Ranking und das Verlinken geht es darum, möglichst viele Benutzer auf die entsprechenden Seiten zu locken, und sie, einmal dort, durch eine Mischung aus Unterhaltung, Kooperation und Aktivität in Bewegung zu halten. Während Wahlkampfreden und Wahlkampfsendungen Schlagworte und Pseudo-Kämpferisches generieren, Wahlplakate subkutanes Wohlbefinden nach Art von Versicherungs- und Tourismus-Werbung vermitteln, wird der ebenso scheue wie bockige Mensch, der wählen soll, im Internet in ein weiteres cocooning verstrickt. Man verspricht ihm hier Teilhabe ohne Anstrengung, er ist das Kind, das man bei Laune halten will, weil es unter Aufmerksamkeitsdefiziten leidet. Er darf Politik besuchen wie einen Freizeitpark; dauernd bekommt er etwas geschenkt, und immer nur, damit er auch etwas kauft.
Den Vogel schießt die CSU mit einem Film auf ihrer Startseite ab, in dem wir einer Frau im weiß-blauen Bikini zusehen, wie sie badet und sich mit irgendwas einsprüht, dann gibt es Babys in weiß-blauen Strampelhöschen, Brezeln und einen Mann, der einen CSU-Schirm im Park aufstellt, Dressmen, die in weiß-blauen Shirts Frisbee spielen, ein Mädchen, das mit einem CSU-Luftballon durch den Park läuft, dann kommen Bierkrüge ins Spiel, wie überhaupt das ganze wie eine grenzdebile Bierwerbung aussieht, bei der man sich nur fragt, warum dazu »An der schönen blauen Donau« und nicht das populäre »Zipfellied« gespielt wird. Die Sache endet mit einem Jungen im Fußballdress (klar, Bayern München gehört zum Selbstverständnis eines anständigen Bayern wie weiß-blaue Bikinis und Bier), einem Blick auf Dutzende von CSU-Schirmen, die den armen Park verschandeln, und schließlich der klaren Botschaft: »In Bayern ist nicht nur der Himmel weiß und blau.« (Sondern offensichtlich auch gewisse Hirne.) Und: »Die Sommerkollektion der CSU ist da.« Hurra! Und was gibt es bei der Sommerkollektion der CSU? Keine Ahnung, denn um das zu erfahren, muss man sich anmelden, einloggen und der Partei seine Daten geben, damit sich der zuständige Parteisektor darum kümmern kann. So blöd bin ich nicht.
Aber immerhin weiß ich jetzt, dass man bei der CSU zuerst einmal Sachen in einen Warenkorb legen und dann bezahlen soll. Umsonst kriegt man im Serviceteil aber immerhin CSU-Bildschirmschoner. »Ihre Meinung ist uns wichtig! Sagen Sie uns, was Sie bewegt. Es gibt viele Möglichkeiten, mit uns in Kontakt zu treten – die wichtigsten haben wir auf dieser Seite zusammengestellt. Außerdem finden Sie hier Infos zur CSU-Mitgliedschaft und zum exklusiven Mitgliederbereich ›CSUnity‹.« »CSUnity«? Fast so gut wie »teAM«. Die Wahlkampfpraktikanten versuchen offenbar, das Neusprech des Internets zu kapern, um in einer Art Guerilla-Marketing mehr oder weniger junge Menschen zur Wahl zu verleiten, die eine Partei eher als Branding und eine politische Person eher als Lieblingsfigur in einer Reality-Soap im Netz ansehen. Der Web-Wahlkampfpraktikant interessiert sich zwar selber nicht sonderlich für Politik, aber wie man Begriffe setzt, um ein hohes Ranking der Seiten zu erzielen, das weiß er. Na immerhin, die CSU spricht ihre Klientel oder Follower oder was auch immer wenigstens nicht mit diesem penetrant vertraulichen »Du« an. Hat eben was, wenn man im Land der Besserverdienenden lebt.

»User fragen – Bundeskanzlerin Angela Merkel antwortet! Die Mitglieder der Netzwerke teAM Deutschland, Facebook und StudiVZ/MeinVZ haben ihre Fragen an die Bundeskanzlerin gerichtet und über die beliebtesten Fragen selbst abgestimmt. Hier seht Ihr die Antworten von Angela Merkel!« Dieser Mitmach- und Gaudispaß führt offensichtlich dazu, dass Frau Merkel (für uns doch noch nicht ganz Angela) uns gleich das kollektive Du verpasst: Was auf den ersten Blick als demokratische Begegnung auf Augenhöhe erscheinen mag, entlarvt sich schon grammatisch wieder als populistische Installation von Macht: unten ein Stimmendurcheinander von offensichtlich ewigen Medienkindern. Oben akkumuliert die Politik, bevor sie es mit Stimmen tut, Macht durch Klicks. Man versichert einander symbolischer Teilhabe. Woran erinnert uns das nur? Achja, ans Kasperletheater, an eine elektronische Massenversion der Frage: »Seid ihr alle da?«
So sehen denn auch die politischen Kommentare der Follower aus: »Angela Merkel und Jürgen Rüttgers auf der Bühne in Bonn, super Stimmung!«
Der große Irrtum dieser Kampagnen des medialen Bildchen- und Mitmach-Infantilismus ist es, dass man als Nichtwähler eben jene TV-Blödiane imaginiert, die zwischen Coaching Show und Soap Opera den Arsch nicht hochkriegen, um ins Wahllokal zu gehen. Dass viele Menschen keinen Sinn mehr in der Wahl sehen, eben weil die Politiker sie für Kinder auf einem Ausflug zu McDonald’s halten, kommt ihnen nicht in den Sinn. Die »Eroberung« des Internets durch wahlkämpfende Politiker hat einen nur auf den ersten Blick widersinnigen Effekt, nämlich die Entpolitisierung des Mediums.

Was auch hier geschieht, ist eine Vermischung der Sphären in der medialen Pseudo-Intimität. Das gehört zu den anderen Merkwürdigkeiten dieses Wahlkampfes: Das ist einerseits ganz gewöhnliches Trash-Design, wenn sich Leute darüber aufregen, umso besser. Es ist andererseits aber auch eine Trendverschiebung in der symbolischen Politik. Der Politiker, und hier natürlich mal wieder: die Politikerin, tut nicht allein so, als könne sie mir »als Mensch« nahe kommen, sondern als könne sie mir nun auch als Körper nahe kommen. Natürlich fragt wieder niemand, ob wir das eigentlich wollen, oder ob wir einen Arsch- und Titten-Wahlkampf wirklich als Fortschritt in der politischen Kultur ansehen. Auch hier sollen sie nichts anderes als ihre Menschlichkeit darstellen. Die Ablösung der Talkshows und »Fernsehduelle« durch Reality-Shows mit den Kandidaten. Die Skandale um Dienstwagen oder das Geburtstagsfest für Ackermann, welches das Wahlvolk bezahlen soll usw. Es geht um die Vermischung von Privatem und Öffentlichem, im Internet und in ihrer medialen Inszenierung versuchen die Politiker (von wem immer auch angeleitet), die Grenze von ihrer Seite her zu überschreiten oder ganz verschwinden zu lassen; von der anderen Seite her versuchen wir, das restempörte Volk, eine solche Trennung wenigstens da einzufordern, wo es ans Bezahlen geht. Oder wir stellen die moralische Forderung an die Politikerinnen, ihre Körperteile doch bitte wieder einzupacken.
Alles in allem ist diese Entwicklung nichts anderes als das Ankommen der Politik an jenen imaginären Orten, die für das Politische in seiner klassischen Art nicht mehr erreichbar sind. Politik für die Politikfernen, eine Selbstentmächtigung des Politischen im Netz und im übrig gebliebenen öffentlichen Raum. Digitale Postdemokratie.