Über die Vergewaltigung von Häftlingen im Iran und Rechtfertigungen des Regimes

Gottes Strafe

Die Vergewaltigungen von Häftlingen in iranischen Gefängnissen sind Ausdruck der Ideologie des Regimes und zugleich Botschaften an die Bevölkerung.

Anfang der achtziger Jahre befand sich der Iran mit dem Irak im Krieg. Die USA und andere westliche Länder boykottierten die Islamische Republik Iran wegen ihrer aggressiven Außenpolitik. Für Nahrungsmittel mussten wir im Iran in langen Schlangen anstehen. Jedes Geschäft verkaufte ein anderes Produkt. In einem gab es Milch, im anderen Eier, wieder woanders Zigaretten und so weiter. Deshalb waren die Familien den ganzen Tag damit beschäftigt, die Güter des Grundbedarfs zu besorgen.
Der Boykott des Westens hatte auch seine guten Seiten. Zu dieser Zeit wurden alle politischen Nachrichten zensiert – mit Ausnahme der über die Hinrichtungen, die das Regime überall mit großem Aufwand publizierte, um die Bevölkerung einzuschüchtern, was ihr auch gelang. Der einzige Ort der relativ freien öffentlichen Kommunikation waren eben die langen Schlangen vor den Geschäften. Die Menschen erzählten sich, was sie in der Nachbarschaft oder unter Freunden und Verwandten sowie bei den persischsprachigen Sendungen von Radio Israel oder von BBC gehört hatten.
Es muss im Herbst gewesen sein, als ich in einer Schlange stand und hinter mir zwei Frauen reden hörte. Sie sprachen über das Schicksal der Tochter einer Bekannten, die verhaftet worden war: Eines Tages sei ein Revolutionswächter mit einer Schachtel Süßigkeiten bei der Familie aufgetaucht. Er habe gesagt, er sei der Schwiegersohn der Eltern, denn er habe die Tochter vor ihrer Hinrichtung geheiratet. Der Grund für diese Heirat sei folgender: Die Tochter solle nicht als Jungfrau sterben, denn sonst werde sie nach islamischem Glauben automatisch im Paradies landen. Sie war also vor ihrer Ermordung vergewaltigt worden.
Diese Geschichte war ein dermaßen großer Schock für mich, dass ich sie zunächst nicht glauben konnte und nach Hause lief, um meine Mutter zu fragen. Auch sie hatte davon gehört, und auch sie konnte es nicht glauben. Doch diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den Menschen im Iran, und schließlich mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass diese neue Dimension des Grauens Realität war. Eine Realität, die den islamischen Charakter des Regimes ausdrücken sollte. Natürlich hatte es auch unter dem Schah und unter den vorhergehenden Despotien Gewalt und Folter gegeben. Neu war jedoch der unverhohlene Stolz, mit dem sich die staatlichen Mörder in den ersten Jahren der Islamischen Republik ihrer Taten rühmten, da diese lediglich die Gesetze der Sharia in die Tat umsetzten. Auf diese Weise setzten sie nicht nur ihre Opfer in den Gefängnissen, sondern im Grunde die ganze iranische Gesellschaft, der sie ihre Verbrechen ins Gesicht sagten, einer Art psychischer Folter aus.
Repressionsmethoden und Gefängnisse konzentrieren wie im Brennglas den Charakter einer Gesellschaft. Die Art des Strafregimes, das abseits der Augen der Öffentlichkeit an den Gefangenen vollzogen wird, drückt ungefiltert die Normen und Werte der Herrschenden aus. Das iranische Regime stellt jedoch einen Sonderfall dar. Was hinter den Gefängnismauern passiert, ist nicht nur ein Ausdruck der Ideologie des Regimes. Die Foltermethoden der Henker stellen vielmehr direkte Botschaften an die Gesellschaft dar.
In dem Buch »Sahifeh Noor« (Brief des Lichtes) schreibt Khomeini: »Der Tag, an dem Imam Ali, der Barmherzige, sein Schwert zog, um die verdorbenen Krebsgeschwüre abzuschlagen und zu ernten, war der Tag Gottes. Imam Ali sah, dass, wenn diese Kreaturen am Leben blieben, sie das ganze Volk verderben würden. Der Tag, an dem Gott der Barmherzige den Völkern ein Erdbeben, einen Tsunami, einen Tornado schickt, gleicht einer Auspeitschung, die die Menschen erst zu Menschen macht. Es sind die Tage Gottes. Wir brauchen einen Kalifen, der Hände abhackt, auspeitscht und steinigt. Genauso wie Mohammed, der genau dies getan hat.«
Diese Worte von Khomeini wurden permanent und überall wiederholt. Es gab und gibt aus der Sicht des Regimes keinen Grund, sich für die Strafen, die über die Menschen verhängt wurden, zu schämen oder diese zu verheimlichen. Im Gegenteil: Die Mullahs waren von Anfang an darauf bedacht, Auspeitschungen und Steinigungen vor einer breiten Öffentlichkeit zu vollziehen, um die Bevölkerung damit »auf den Weg Gottes« zu bringen.
Iraj Mesdaghi, der selbst viele Jahre in den Gefängnissen der Islamischen Republik saß und später im Exil über den Terror des Regimes publizierte, schreibt in seinem Buch »Die Hölle auf Erden« über die Rolle von Asadoulah Lajevardi, den »Schlächter von Teheran«, der die politischen Gefängnisse Ewin, Gezalhesar und Gohardasht beaufsichtigte und nur Ayatollah Khomeini und dessen Sohn Ahmad persönlich verantwortlich war. Lajevardi sah die politischen Gefängnisse als Erziehungsanstalten, in denen Menschen durch Strafe zu Muslimen erzogen oder eliminiert werden. Er schrieb im Jahr 1984 in der Zeitung Islamische Republik: »Wenn es der Blüte des Islam dient, werden wir mindestens eine Million Menschen umbringen«, und: »Unser Krieg hat kein Ende. Nachdem wir gegen Israel, Amerika, England, Frankreich, Russland und China gesiegt haben, werden wir auch gegen Vietnam oder Kuba kämpfen.«
Mohammad Larijani, ehemaliger stellvertretender Außenminister des iranischen Regimes, antwortete einst auf die Frage nach Massenhinrichtungen, der Iran habe eine sehr hohe Geburtenrate. 2007 erklärte er als Vorsitzender des »Menschenrechtsstabs der iranischen Justiz«: »Manche denken, dass wir uns schämen, wenn die Westler uns wegen der Steinigung beschimpfen, wenn wir nur die Gesetze befolgen. Aber es ist keineswegs so. Für das religiöse Gesetz braucht man sich nicht zu schämen.«
Dass sich das Regime seiner Verbrechen auch im Ausland nicht schämt, hat Ahmadinejad soeben mit der Ernennung von Ahmadi Vadhidi zum Verteidigungsminister deutlich gemacht. Vadhidi ist ehemaliger Kommandeur der »Qods« (Jerusalem)-Brigaden des Regimes und wird von Interpol gesucht wegen Beteiligung am Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires, bei dem 85 Menschen starben.
Der Terror des iranischen Regimes ist nicht mit dem säkularer Diktaturen zu vergleichen. Jede Tat ist eine Botschaft an die gesamte Bevölkerung oder sogar an die Welt. Im Zentrum dieser Botschaft steht die Aussage: Es ist unsere Pflicht als Muslime, den Islam mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verbreiten, die Abtrünnigen mit Gewalt auf Gottes Weg zurückzubringen und die Ungläubigen zu vernichten.
Kazem Sami, der erste Gesundheitsminister nach der Revolution und später ein Kritiker des Regimes, war eines der ersten Opfer der so genannten Kettenmorde an iranischen Intellektuellen seit den achtziger Jahren. Der unbekannte Mörder erstach Sami in seiner Arztpraxis, anschließend öffnete er Samis Schädel und verstümmelte sein Gehirn. Eine Ankündigung des Krieges gegen die Intelligenz, den das Regime mit Auftragsmorden an Dutzenden von iranischen Intellektuellen in den neunziger Jahren führte.
Die Täter handeln nach Aussagen vieler ehemaliger Gefangener mit reinstem Gewissen. Sie sehen sich als Exekutoren eines göttlichen Planes. Eine der Methoden der »islamischen Erziehung«, die nach 1979 an weiblichen politischen Gefangenen vollzogen wurde, ist folgende: Die Gefangene musste mit verbundenen Augen in einem sargähnlichen Behältnis entweder im Liegen oder im Sitzen ohne jegliche Bewegung tage-, wochen- oder monatelang ausharren, während im Hintergrund Koranverse rezitiert wurden. Die Gefangene war immer von dem Folterer überwacht, und sie wurde bei jeder möglichen Bewegung schikaniert und zusätzlich gefoltert. Die Gefangenen nennen diese Foltermethode »Das jüngste Gericht«, »Sarg« oder »Das Grab«. Sie symbolisiert die totale Kontrolle der Religion über die Lebenden und vor allem über den weiblichen Körper, noch mehr aber über die Seele. Der Hintergrund ist die furchteinflößende islamische Überlieferung, dass die sündigen Muslime nach dem Tod im Grab bestraft werden. Solche auf religiösem Hintergrund basierenden Methoden verfehlten ihre Wirkungen nicht. Selbst die Gefangenen, die durch die Folter nicht gebrochen wurden, hatten oft mit Schuldgefühlen und Gewissensbissen zu kämpfen.
Was den politischen Gefangenen in den achtziger und neunziger Jahren angetan wurde, drückt somit einen ideologischen Krieg des islamischen Regimes gegen seine Gegner aus – säkulare Liberale, atheistische Marxisten oder »abtrünnige« Volksmudjahedin. Die geächtete Religionsgemeinschaft der Bahai war sowieso immer vogelfrei.
Eine neue Qualität stellt die Behandlung der verhafteten Jugendlichen seit der Wahlfarce vom 12. Juni dar. Die massenweise Vergewaltigung von jungen Frauen und Männern in den Gefängnissen des Regimes, die niemals einer oppositionellen Organisation angehört haben und deren einziges Verbrechen darin besteht, auf die Straße gegangen zu sein, lässt sich schwerer als islamischer Kampf gegen die »Feinde Gottes« darstellen – was dazu geführt hat, dass selbst der Präsidentschaftskandidat Mehdi Karroubi (der in der Vergangenheit nichts gegen den Terror gegen Oppositionelle einzuwenden hatte) öffentlich gegen die Vergewaltigungen protestierte. Karroubi müsste aber als Khomeini-Anhänger wissen, dass zum Erhalt der Herrschaft der Rechtsgelehrten laut Imam Khomeini jedes Mittel erlaubt ist und dass Khamenei hier nur die Staatsräson der Islamischen Republik in der Krise zur Geltung bringt.
Wenn man die Ereignisse seit dem 12. Juni mit Gerhard Scheit als »Aufstand der Privatheit« gegen den öffentlichen Islamismus bezeichnen kann, dann drückt sich im wilden Terror des Regimes gegen eine ganze Generation jedoch das Eingeständnis aus, dass die Islamische Republik es niemals geschafft hat, die Privatsphäre der iranischen Bevölkerung vollständig zu kontrollieren. Die iranischen Jugendlichen sind heute eher für das, was sie sind (nämlich »verwestlichte«, ungehorsame Kinder der Revolution), angeklagt als für das, was sie getan haben. Die offenkundige politische und ideologische Niederlage des Regimes macht dieses jedoch nur umso aggressiver nach innen, und vor allem nach außen. Die Herrscher des Gottesstaats sind immer noch entschlossen, diesen um jeden Preis zu erhalten. Die Mehrheit der iranischen Bevölkerung hat deutlich gemacht, dass sie nicht gewillt ist, mit dem Regime gemeinsam in einer atomaren Apokalypse unterzugehen. Ob diese verhindert werden kann, hängt jetzt von den Reaktionen des Rests der Welt ab.