Heiße Wellen

Eigentlich erzählt Esther Kinsky keine richtige Geschichte. »Sommerfrische«, das späte Debüt der 1956 geborenen Übersetzerin, ist eher poetische Prosa. Eine atmosphärische Aufnahme fremd scheinender Landschaftsmotive, fotografiert in originellen Sprach- und Gedankenbildern, wobei auch innere Landschaften, Gefühle zumal, nicht ausgeschlossen sind. Im Gegenteil.
Märchenhafte und marode Züge trägt dieser kurze Roman, in dessen Mittelpunkt eine namen­lose Stadt und eine kleine Ferienkolonie im ungarisch-rumänischen Grenzgebiet stehen. Üdü­lö heißt dieser Urlaubsort am Fluss, an dem die Zeit still und regungslos verharrt, seit sehr vielen Jahren schon. Ein Sehnsuchtsort der Erholung, aufkeimender Hoffnungen, kleiner und größerer Alltagstragödien.
Der postkommunistische Zerfall dieser Region, in der Kinskys Personal aus Schrottsammlern, Tagelöhnern, Plünderern und Prostituierten sich versammelt, redet, schweigt und trinkt, sucht und vielleicht doch nicht findet, erscheint bei al­lem konkreten Elend voller seltsamer Magie, die auch schon mal mit einem Mond, der »furchig uneben wie ein Stück Wurst« vom Himmel scheint, überzeugend schräg geraten darf. Erstaunlich, wie sehr die unerträgliche Hitze durch die Seiten flimmert, fast körperlich. Kaum Sommerfrische in Sicht, stattdessen die ewige Mittagsruhe des August.

Esther Kinsky: Sommerfrische. Matthes & Seitz, Berlin 2009, 128 Seiten, 16,80 Euro