Über die Demonstration »Freiheit statt Angst« in Berlin

Für Tiere, Umwelt und Datenschutz

Die Datenschützer der Republik haben sich gespalten und veranstalten am ­Wochenende zwei Demonstrationen in Berlin.

Vorige Woche kamen die Atomgegner nach Berlin, diese Woche die Datenschützer, Bürgerrechtler und Internetnutzer. Unter dem Motto »Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!« soll am 12. September die größte bundesweite Demonstration zum Thema seit langem stattfinden.
Die Datenschützer möchten ihr Kunststück aus dem vergangenen Jahr – mehrere Zehntausend marschierten für mehr Datenschutz durch die Hauptstadt – wiederholen. Der Termin ist bewusst prominent platziert: zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Es war sogar geplant, dass die Teilnehmer mit Sonderzügen anreisen. Zwar hat das nicht geklappt, weil sich zu wenige voranmeldeten. Das kann allerdings auch am Leumund der Bahn gelegen haben, den sich der Konzern mit der Videoüberwachung von Bahnhöfen, dem Mitlesen von E-Mails und dem Anlegen von Krankenakten der Mitarbeiter ruinierte.

Die Berliner Demonstration ist ein Programmpunkt des internationalen Aktionstags »Freedom Not Fear«, der auch in anderen europäischen Hauptstädten veranstaltet wird. Proteste in ganz Europa ergeben durchaus Sinn, da die Vorratsdatenspeicherung, also das Aufzeichnen und das Speichern von E-Mail-, Anruf- und Handydaten für ein halbes Jahr, ein Projekt der EU ist. Ohne Anlass werden die Daten von Millionen gänzlich Unverdächtigen gespeichert, die, wenn sie ausgewertet werden, ein genaues Bewegungs- und Sozialprofil der Einzelnen ergeben können. Hierzulande wird der Aktionstag allerdings auch genutzt, um gegen die beschlossenen Internetsperren und Stoppschilder von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu demons­trieren, die verbotene Inhalte blockieren sollen.
Zur Demonstration ruft ein sehr großes Bündnis auf, bestehend aus zig Naturschutzverbänden, Bürgerinitiativen, Berufsverbänden und Gewerkschaften. Dazu gesellen sich einige Bundes- und Landesverbände der kleineren Parteien, also der Grünen, der »Linken« und auch der FDP. Kein Wunder ist wohl die Unterstützung der Piratenpartei. Schließlich ist sie der institutionalisier­te Versuch, in der Parteiendemokratie das eigene Anliegen selbständig zu vertreten und die Interessen zu verteidigen.

Wie erfolgreich man im Rahmen des Bestehenden Politik machen kann, bewies die von einer Privatperson im April beim Bundestag eingereichte Petition »Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten«, die innerhalb weniger Wochen genau 134 015 Mitunterzeichner fand und damit die bisher erfolgreichste Petition überhaupt ist. Nichtsdestrotrotz wird sie jetzt erstmal einer »parlamentarischen Prüfung« unterzogen.
Die Demonstration initiiert hat vor allem der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung als Teil des Demonstrationsbündnisses »Freiheit statt Angst«. Eine leichte Verwirrung ist entstanden, da eine zweite Demonstration zwei Stunden früher startet, veranstaltet von einem Aktionsbündnis »Freiheit statt Angst«. Die Teilung ist keine unfreiwillige Reminiszenz an die Demonstrationen der Kreuzberger Linken am 1. Mai, die ja auch seit Jahren im Zweistundentakt abgehalten werden, bei denen aber wohl doch politische Differenzen feststellbar sind.
Bei den unterschiedlichen Demonstrationen am kommenden Wochenende sind es wohl eher die Profilneurosen und verletzte Eitelkeiten der Anmelder, die zu den unterschiedlichen Terminen geführt haben. Dabei wäre es durchaus sinnvoll zu fragen, ob man mit der Unterstützung von Parteien wie der FDP und den Grünen auf die Straße gehen will. Die FDP hat seinerzeit nach der Befragung aller Parteimitglieder für den Großen Lauschangriff gestimmt, die Grünen haben in ihrer Regierungszeit einige Sicherheitsgesetze durchgewinkt.
Es besteht derzeit wohl die Gefahr, dass die Forderung der Bürger nach mehr Datensicherheit und -kontrolle medial erfolgreich ist, aber ansonsten folgenlos. So wie alle für Umwelt- oder Tierschutz sind, so sind auch alle für Datenschutz – mit Ausnahme der Sicherheitspolitiker von der Betonkopffraktion der CDU.
Da wäre zum Beispiel der Gesetzesvorschlag von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) zum Datenschutz für Beschäftigte. Nach den Skandalen bei Lidl, der Bahn und in Großfleischereien sollen für Werktätige bessere Bedingungen gelten. Scholz’ Vorschlag sieht ein grundsätzliches Verbot der Videoüberwachung von Mit­arbeitern vor. Auch sollen »Fragen des Arbeitgebers nach Diagnosen und Befunden gesundheitlicher Untersuchungen der Beschäftigten« grundsätzlich unzulässig sein. In Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern soll dies alles ein Beschäftigtendatenschutzbeauftragter kontrollieren.

Scholz’ Vorschlag ist natürlich zu begrüßen – allerdings sollte seine Ankündigung des Gesetzesvorhabens misstrauisch stimmen: »Jetzt habe ich die Initiative ergriffen. Es gibt nun keine Ausreden mehr. Ein wirksamer Beschäftigtendatenschutz kann sofort nach der Wahl realisiert werden.« Der Bundesarbeitsminister hatte eine volle Wahlperiode Zeit, sein Vorhaben umzusetzen, dass er es jetzt vorlegt, ist reine Wahlkampftaktik. Für den arbeitsmarktpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralf Brauksiepe, eine »Verzweiflungstat und völliger Unsinn«, wie er dem Tagesspiegel erklärte.
Die Aufmerksamkeit in Wahlkampfzeiten nutzt auch der rührige Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung mit der Internetseite www.buergerrechte-waehlen.de gezielt für sich. Wie beim schon bekannten Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung, können hier interessierte Wähler Fragen zu Datenschutz und Sicherheitsgesetzen bejahen oder verneinen. Je nachdem wie sie entscheiden, erfolgt eine Wahlempfehlung. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Liberale stimmen mit den Forderungen der Piratenpartei überein, Paranoiker müssen CDU/CSU wählen.
Allerdings ist nicht nur ein Blick in die Parteiprogramme interessant, manchmal lehrt auch die unvermittelte Realität. So hat vorige Woche der Oberstaatsanwalt und Leiter der sachsen-anhaltinischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Kinderpornografie, Peter Vogt, seinen Rücktritt zum Jahresende angekündigt. Als Grund nannte er einen »Ermittlungsstau« bei der Justiz: Mangels Personal können bei Beschuldigten beschlagnahmte Handys, Festplatten und Computer nicht fristgerecht ausgewertet werden und müssen unausgewertet zurückgegeben werden. Derzeit droht in über 250 Fällen die Einstellung der Verfahren, mehr als die Hälfte davon sind Fälle, die den Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie betreffen. Dieses maßlose Defizit in der Aufklärung von Verbrechen hat die bisherige Landesregierung in Sachsen-Anhalt zu verantworten – eine große Koalition, bestehend genau aus den zwei Parteien, die regelmäßig am lautesten weitere Einschränkungen der Grundrechte fordern.

www.freiheitstattangst.de