Die Kontroverse um die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«

Recherche oder Hommage?

Nach Auseinandersetzungen um die Konzeption wird die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« nun an zwei Orten gezeigt – mit unterschiedlichem Rahmenprogramm.

Philippa Ebéné und Rainer B. Giesel wirken ruhig. Nach der Absage der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« durch Ebéné, Geschäftsführerin der Berliner Werkstatt der Kulturen, am 24. August, treten die Frau, die damit schnell im Zentrum der Kritik stand, und Giesel, der Vorstandsvorsitzende des Trägervereins, zehn Tage später erstmals vor die Presse. Es geht ihnen um die »Darstellung der Fakten«, welche zu jenem »bedauerlichen Streit« über die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« geführt haben.
Was war passiert? Es ist sicherlich eine Aufgabe für sich, das als Außenstehende im Nachhinein annähernd objektiv nachzuvollziehen. Denn der Konflikt um die Ausstellung ist nicht nur einer politischen Auseinandersetzung um deren Konzeption geschuldet. Er zeugt auch von mangelndem Kommunikationsvermögen und Missverständnissen.
Gemeinsam mit dem Verein Africavenir entschloss sich die Werkstatt der Kulturen im vergangenen Jahr, zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen und des Beginns des Zweiten Weltkriegs in Europa eine Ausstellung über jene stillen Helden und Opfer zu machen, die bis dato keinen Eingang in die offizielle Geschichtsschreibung und die europäisch-amerikanische Erinnerungskultur gefunden hatten: People of Colour in den Armeen der USA, Australiens und Neuseelands, französische und britische Kolonialsoldaten, die für das »Mutterland« gekämpft und zur Befreiung der Welt von europäischem Faschismus und japanischer Aggressionspolitik maßgeblich beigetragen haben.
Auf den ersten Blick schien da die von Afrikavenir initiierte Zusammenarbeit mit dem Verein Recherche International und dem Kölner Journalisten Karl Rössel (Jungle World 36/09) nahezuliegen. Recherche International hatte 2005 das Thema erstmals in seiner globalen Tragweite in dem Buch »Unsere Opfer zählen nicht: Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« dem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Auf 400 Seiten zeigen die Autoren, darunter Rössel, die vielen außereuropäischen Schauplätze des Krieges, die bislang in keinem deutschen Schulbuch Erwähnung finden: China, Korea, Burma, der Südpazifik, Äthiopien, die Philippinen und andere. Die Menschen hinter den Opferstatistiken bekommen durch die zahlreichen Interviews und Zeitzeugenberichte ein Gesicht, und es gelingt, den Leser nicht nur auf der Wissensebene, sondern auch emotional anzusprechen.
Ein im Verhältnis zu diesen Schilderungen sehr viel kleinerer Teil des Buches beschäftigt sich mit der Kollaboration mit den Achsenmächten in Asien, Afrika, Ozeanien und Lateinamerika, denn »die Kolonialisierten im Zweiten Weltkrieg (waren) nicht bloß Opfer«. Die Reaktionen auf das Buch, das auch viel Material für den Unterricht bietet, waren durchweg positiv. Tatsächlich passten jedoch die Konzeption der Ausstellung von Rössel – der, wenn man so will, das »Buch im Großformat«, also auf 96 Schautafeln zusammengefasst und mit Hörstationen und Videoinstallationen ergänzt hat – und Ebénés Wunsch nach einer »Hommage« an die bisher ungehörten Helden und Opfer von Beginn an nicht zueinander. Hauptkonfliktpunkt war, dass Kurator Rössel neben dem Gedenken an die unbekannten Opfer und Befreier auch einige Schautafeln über Kollaborateure und Antisemiten außerhalb Europas und Nordamerikas in die Ausstellung miteinbezog. Diese Konzeption entsprach der des Buches.
Dies jedoch wiederstrebte Ebéné nun. Gegenüber dem Tagesspiegel äußerte sie sich am 27. August so: »Geplant war eine Hommage an die gefallenen POCs (People of Colour), die Deutschland vom Faschismus befreiten.« Auch bei anderen Gedenkveranstaltungen, etwa zu Stauffenberg, zeige man nicht auf die Kollaborateure. Dass Rössel dies gemacht habe, sei »rassistisch«.
Harsche Worte, die auf der Pressekonferenz eine Woche später nicht mehr wiederholt wurden. »Wir sind der Auffassung, dass es den Besucher überfordert, wenn man Opfer und Kollaborateure in einem Atemzug nennt, gerade weil sich die Ausstellung vornehmlich an Schüler richtet. Beides sind wichtige Themen, aber es braucht zwei Ausstellungen dafür«, so Giesel, der »voll hinter der Auffassung der Geschäftsführerin« stehe. Ebéné selbst bringt ihre Kritik mit Verweis auf ihren biografischen Hintergrund auf den Punkt: »Mein verstorbener Vater hat an der Seite Frantz Fanons für das freie Frankreich gekämpft. Ich will nicht, dass solche Menschen in der gleichen Ausstellung wie Nazi-Verbrecher auftauchen.«
Tatsächlich kam ihre angeblich von »Beginn an deutlich gemachte« Auffassung nicht so an, wie sie gemeint war. Die Ablehnung der Ausstellung am 24. August kam für den Verein Africavenir überraschend. Man habe zwar von den Kritikpunkten der Geschäftsführerin gewusst, sei jedoch nicht von einer grundsätzlichen Ablehnung des Ausstellungskonzepts ausgegangen, so Judith Strohm, Zweite Vorsitzende des Vereins. Karl Rössel und Recherche International versendeten eine Pressemitteilung, in der von einem »Zensur-Ultimatum eine Woche vor der Vernissage« die Rede war, weil der »Ausstellungsteil über arabische NS-Kollaborateure« nicht gezeigt werden dürfe. Zumindest indirekt legte die Mitteilung nahe, dass Frau Ebéné eine Auseinandersetzung insbesondere mit den arabisch-palästinensischen Kollabo­rateuren der Achsenmächte grundsätzlich ablehne. Diese Wahrnehmung wurde von der Berliner Presse und diversen Politikern übernommen. Der Tagesspiegel sprach von »Zensur«, die BZ vom »Kniefall«, und der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) vermutete eine Intervention arabischer »Platzhirsche«, obwohl in der Werkstatt der Kulturen nicht einmal arabische Vereine organisiert sind.
Rössel und Ebéné haben nie persönlich, sondern immer nur über den zwischengeschalteten Verein Africavenir oder die Presse miteinander kommuniziert. Unabhängig von inhaltlichen Fragen – kann man der Helden gedenken, ohne ihre kollaborierenden Gegner zu nennen, oder relativiert man so das Gedenken an die Befreier? – gerieten alle beteiligten Akteure in die Kritik. Der Verein Africavenir, weil er seine Rolle als Vermittler nur ungenügend wahrnahm, Karl Rössel, der Tabus ausmachte, wo es nicht um grundsätzliche Verweigerung, sondern um einen anderen Ansatzpunkt ging. Vor allem aber hat die Werkstatt der Kulturen versagt: Die Inhalte des »Buches zur Ausstellung« müssen Ebéné lange vorher bekannt gewesen sein.
Zu Gute halten kann man der Werkstatt der Kulturen jedoch, dass sie Fehler in der Kommunikation eingesteht. Hieß es zuerst, dass die Ausstellung und das von Africavenir organisierte aufwendige Begleitprogramm ausschließlich an dem schnell gefundenen Ausweichort, den Uferhallen in Berlin-Wedding, zu sehen sei, hat sie sich mit dem Berliner Integrationsbeauftragten Günter Piening nun darauf geeinigt, die Schautafeln in einem kleineren Format ebenfalls in ihren Räumen zu zeigen, auch wenn man die Ausstellung inhaltlich weiterhin kritisiere. Als Ergänzung soll es in der Werkstatt drei Diskussionsveranstaltungen darüber geben, ob Widerstand und Kollaboration gemeinsam verhandelt werden können. Dass es dabei zum Gespräch zwischen Philippa Ebéné und Karl Rössel kommt, ist zwar kaum anzunehmen, doch für ausreichenden Diskussionsstoff sorgt das Thema sicherlich auch so.