Eine Reise mit afrikanischen Menschenrechtlern durch Burundi und Kongo

Krieg, Bier und Gorillas

Eine Reise mit Menschenrechtlern von Burundi in die Demokratische Republik Kongo, wo die Gewalt zwischen Bevölkerungsgruppen tausende Menschen traumatisiert hat und immer wieder erneut auszubrechen droht.

Der Flughafen von Bujumbura, der Hauptstadt Burundis, ist winzig klein. Vier runde Waben beherbergen fast die gesamte Einrichtung. Die knapp zehn Kilometer lange Straße ins Stadtzentrum führt durch das Industriegebiet. Hier konzentriert sich ein Großteil der wenigen Industrien des Landes: Farb- und Lack-Fabriken, aber vor allem Bierbrauereien. Hergestellt werden hier Biere belgischer Herkunft in lokaler Lizenzproduktion, Amstel und Primus sowie das niederländische Heineken. Lange ziehen sich die Außenmauern der Brauereien hin: »Auf deinen Durst, Freund!« lautet der Slogan auf einem Werbeplakat. Kleine Gruppen stehen zu jeder Tageszeit Schlange, allerdings nicht, um Bier zu kaufen, sondern um Eisbarren zu erwerben, die für viele Menschen hier als Ersatz für einen Kühlschrank dienen. Zwischen den unzähligen Bierfabriken hat, von Stacheldraht umzäunt, auch das Büro der Vereinten Nationen in Burundi seine Niederlassung.
In Bujumbura wartet eine Gruppe von Menschenrechtlern aus Burundi und der Demokratischen Republik Kongo (RDC) auf ihre Kollegen aus Frankreich, Belgien und Québec. Zwei Wochen lang werden sie an verschiedenen Themen wie gesellschaftliche Entwicklungen, Menschenrechte und Migration arbeiten. Die Idee eines internationalen Treffens ist von der burundischen Liga für Menschenrechte, Ligue Iteka, zu Anfang des Jahrzehnts entworfen worden. Seitdem findet einmal jährlich in den Nordprovinzen Burundis das Forum Nord-Süd statt. Es soll, so die Absicht der Initiatorinnen und Initiatoren, gemeinsame Debatten in Afrika, Europa und Kanada fördern und Konferenzen veranstalten. Neben der Ligue Iteka sind das Forum von Organisationen der Zivilgesellschaft (Forsc), die Koalition der Zivilgesellschaft für die Überwachung der Wahlen sowie Journalisten aus Burundi und dem Kongo am Projekt beteiligt.

Die Menschenrechtler sind besorgt. Denn 2010 wird für Burundi ein wichtiges Wahljahr. Im Frühjahr und Sommer werden sowohl der Präsident als auch das Parlament und die Kommunalversammlungen neu gewählt. Eine der großen Diskussionen zwischen der Regierungspartei CNDD-FDD (Nationale Koalition zur Verteidigung der Demokratie) und den anderen politischen Parteien dreht sich derzeit um die Frage des Abstimmungsmodus. In einem Land wie Burundi, wo der politische Wettbewerb in den vergangenen Jahren häufig mit Waffengewalt ausgetragen wurde, geht es dabei um mehr als die technischen Modalitäten der Wahl. Die Alternative lautet: bulletin unique oder bulletins multiples. Die erste Möglichkeit besteht darin, auf einem Stimmzettel ein Kreuzchen hinter dem Namen oder dem Bildsymbol einer Partei zu machen. Die zweite Möglichkeit beruht auf dem französischen Wahlsystem: Auf einem Tisch im Wahlbüro liegen mehrere Stimmzettel bereit, für jede antretende Kandidatenliste gibt es einen. Davon wirft die Wählerin einen in einem Umschlag in die Urne, die übrigen nimmt man mit hinaus. In Frankreich ist dieser Wahlmodus unbedenklich, die nicht benutzten Stimmbulletins landen im Papierkorb. Bei der letzten Wahl im Juni 2005, bei der die regierende CNDD-FDD mit über 60 Prozent gewann, wurde in Burundi mit bulletins multiples gewählt. Die Menschen in den Dörfern wurden nach der Wahl von bewaffneten Anhängern der Regierungspartei dazu aufgefordert, die nicht benutzten Bulletins vorzuzeigen. Eine einfache Methode, um zu kontrollieren, wer wie gestimmt hat. Kein Wunder, dass die Regierungspartei darauf besteht, erneut das System der vielfachen Stimmzettel zu benutzen. Menschenrechtsorganisationen fürchten vor diesem Hintergrund neue Spannungen und eine Eskalation der Gewalt.
Burundi wurde ab 1993 von einem Bürgerkrieg erschüttert, der nach Auffassung von UN und Menschenrechtsverbänden rund 300 000 Menschenleben kostete und dessen letzte Ausläufer sich bis zum Juni des vergangenen Jahres hinzogen. Die Hintergründe des Konflikts ähneln denen für die Massaker und den Genozid von 1994 im nördlichen Nachbarland Ruanda, sie wurzeln in einer gemeinsamen Geschichte. Aber die Fronten waren zum Teil umgekehrt.
In Ruanda waren nach der Unabhängigkeit – die beide Länder im Jahr 1962 erreichten – »ethnische« Hutu-Parteien an der Macht. Die Minderheit der Tutsi wurde dort von Anfang an unterdrückt. Umgekehrt herrschten in Burundi noch bis zum Anfang dieses Jahrzehnts die Tutsi, die zum Teil noch immer das Militär dominieren. Die Unterscheidung zwischen beiden Gruppen geht auf die Kolonialherrschaft der Deutschen und, nach dem Ersten Weltkrieg, der Belgier zurück.
Die Kolonialmächte glaubten, in Ruanda und Bu­rundi jeweils zwei verschiedene »Stämme« oder getrennte »Ethnien« anzutreffen, die Hutu und die Tutsi, und beschrieben sie nach Rassenmerkmalen: Die Tutsi seien relativ hellhäutig, großgewachsen und intelligent, eine Art natürlicher Elite, die Hutu seien hingegen dunkelhäutiger und eine stumpfsinnig vor sich hin brütende Masse.
In Wirklichkeit bildeten Hutu und Tutsi in der präkolonialen Feudalgesellschaft zwei soziale Kasten. Ihr Unterschied war ungefähr mit der sozialen Aufteilung zwischen Ackerbauern und damals wohlhabenden Viehzüchtern vergleichbar. Um es ihrer Verwaltung einfach zu machen, schuf die belgische Kolonialmacht jedoch im Jahr 1931 starre Kategorien und teilte die gesamte Bevölkerung in getrennte »Ethnien« auf: Wer mehr als zehn Rinder besaß, wurde einfach administrativ zum Tutsi erklärt, und wer weniger oder gar kein Vieh hatte, wurde zum Hutu. Die Tutsi machten knapp 15, die Hutu 85 Prozent der Bevölkerung aus.
Diese Mischung aus Rassen- und weitgehend mythischer Herkunftslehre, traditioneller Ungleichheit in der Feudalgesellschaft und moderner sozialer Ungleichheit sollte später zu heftigen Konflikten führen. Viele Hutu erklärten sich von nun an ihre schlechte soziale Situation aus der Vorherrschaft der Tutsi-»Rasse« und sie glaubten, dank der von den Europäern verbreiteten »wissenschaftlichen« Lehre, auch die Lösung für das Problem zu besitzen: Diese »fremdstämmige Rasse« solle doch das Land verlassen und »zu ihren Ursprüngen zurückkehren«. Die Rassifizierung der sozialen Frage hatte perfekt funktioniert.

Burundi und Ruanda wurden 1962 unabhängig. Die politische und ökonomische Kontrolle blieb zunächst bei Belgien, später wude sie von Frankreich ausgeübt. Der wesentliche Unterschied lag jedoch darin, dass die alten Tutsi-Herrscher in Ruanda entmachtet wurden, was seit 1959 mit Massakern an Zivilisten unter den Tutsi einherging und zu Flüchtlingsbewegungen nach Uganda und Tansania führte.
In Burundi dagegen behielten die Tutsi die politische und vor allem die militärische Macht. Als Ethno-Extremisten aus den Reihen der Hutu auch in Burundi Massaker an der Minderheit vorbereiteten, schlug die von Tutsi dominierte Armee im Jahr 1972 zu, löschte einen Großteil des Hutu-Establishments aus und tötete zahlreiche Zivilisten.
Die traditionelle Konstellation verfestigte sich bis Anfang 1993, als in Burundi erstmals ein Präsident aus den Reihen der Hutu demokratisch gewählt wurde, Melchior Ndadaye. Sein Portrait steht heute auf einem zentralen Platz in Bujumbura, umrahmt von der Aufschrift: »Held der Demokratie«. Ndadaye wurde nach nur drei Monaten im Amt von führenden Militärs ermordet. Hutu-Extremisten nahmen dies als Anlass zum Zuschlagen und zum Morden. In der Hauptstadt Bujumbura bildeten sich »ethnisch reine« Wohnbezirke. Wer am falschen Ort angetroffen wurde, starb nur zu oft durch die »Halskrause«, einen um den Hals gehängten und angezündeten Autoreifen, eines qualvollen Todes. Und doch gab es die ganze Zeit über auch Menschen, die gegen die mörderische Logik der Ethnien Widerstand leisteten.

Das Jugendzentrum in Kamenge, einem Armenviertel in der burundischen Hauptstadt, ist ein Beispiel dafür. Es blieb während der gesamten Dauer des Konflikts ausdrücklich für Kinder und Jugendliche aus allen Bevölkerungsgruppen offen. Auch heute lockt es zahllose Besucher an – während im umliegenden Stadtteil inzwischen wieder ansatzweise eine ethnische Mischung zu beobachten ist.
Der Bürgerkrieg in Burundi wurde 2001 offiziell beendet. Aber auch danach blieb eine bewaffnete Bewegung aktiv, die sich Nationale Kräfte für die Befreiung (FNL oder Palipehutu-FNL) nannte. Die Guerilla der Hutu rekrutierte auch Hunderte, möglicherweise auch Tausende von Kindersoldaten, denen oft die Trommelfelle durchbohrt wurden, damit sie bei Angriffen nicht das Gewehrfeuer hören und »ängstlich flüchten« konnten. Noch im April und Mai 2008 bombardierten sie die Hauptstadt Bujumbura, von den nahe gelegenen Hügeln aus, mit Granatwerfern. Am 10. Juni vergangenen Jahres unterzeichnete die FNL eine Vereinbarung, die ihre Umwandlung zu einer politischen Partei und die Niederlegung ihrer Waffen vorsieht. Auch die ehemaligen Guerilleros möchten nun im kommenden Jahr zu den allgemeinen Wahlen im Land antreten.
Da es sich schon jetzt andeutet, dass es im kommenden Jahr zu massivem Wahlbetrug kommen könnte, stellt sich für die Menschenrechtler die Frage, ob die Gewalt wieder auszubrechen droht. »Heute verläuft der Machtkampf nicht mehr entlang ethnischer Grenzen, sondern zwischen so genannten Hutu-Parteien«, meint die Radiojournalistin Alice. Sowohl die Regierungspartei als auch die stärkste Oppositionspartei Demokratische Front Burundis (Frodebu) wie auch die FNL stammen aus der früher einheitlichen Bewegung für die Emanzipation der Hutu, Palipehutu. »Die Mobilisierungskraft des ethnischen Bezugs hat sich abgenützt«, fährt die kritische Journalistin fort, die bereits im Gefängnis gesessen und Morddrohungen erhalten hat. »Die Leute sehen, dass sich hinter der ethnischen Politik nur der Wunsch verbirgt, zu den Fleischtöpfen der Macht vorzudringen.«
In der Demokratischen Republik Kongo stehen der internationalen Gruppe der Menschenrechtler Besuche in Bukavu und der Hauptstadt Goma, den Zentren der Provinzen Nord- und Süd-Kivu bevor. Beide Provinzen sind nach wie vor Kriegsgebiet, wobei die Kampfhandlungen und die massive Gewalt gegen Zivilisten sich inzwischen in die ländlichen Gebiete verlagert haben.
In Bukavu fällt beispielsweise auf, wie wenig Unsicherheit die Provinzhauptstadt der Bürgerkriegsregion ausstrahlt. Noch vor vier Jahren waren die Straßen nachts menschenleer. Heute ist es offenbar kein Problem, eine Kneipe um ein Uhr in der Nacht zu verlassen und durch die Stadt zu laufen. Die Lage in den ländlichen Gebieten ist dagegen alles andere als sicher.
Um ins Landesinnere zu kommen, sei die Straße über Uvira, das nur 30 Kilometer von Burundis Hauptstadt Bujumbura entfernt am Tanganijka-See liegt, nicht zu empfehlen, wie man erfährt. Bei einem Schusswechsel seien auf dieser Straße vor einigen Tagen Menschen getötet worden, heißt es. Gewählt wird also ein anderer Weg, als offizieller Grund der Reise wird ein Besuch bei den Gorillas im Naturschutzgebiet Kahuzi-Biega angegeben. Tatsächlich trifft die Gruppe nach stundenlangem Marsch durch das Unterholz auf einer Höhe von 2 400 Metern den Gorillapatriarchen Chimanuga.
Auf dem Weg ins Innere des Landes ist man als Besucher immer wieder mit der politischen Situation der Region konfrontiert. Auf vorbeikommenden Militär-LKW tragen Soldaten manchmal Masken auf ihrem Gesicht und sehen aus wie Ninja-Kämpfer. Auch frühere Kämpfer aus den Reihen des CNDP (Kongress für die Verteidigung des Volkes) des kongolesischen Tutsi-Rebellen Laurent Nkunda sitzen auf Armeefahrzeugen. Seine Truppen eroberten im Herbst 2008 einen bedeutenden Teil des Ostkongo und gingen im Namen der kongolesischen Tutsi gegen die aus Ruanda stammenden Hutu-Extremisten vor. Ihr Vormarsch wurde im November gestoppt. Vor kurzem sind sie offiziell in die kongolesische Armee integriert worden.

Die kongolesischen Aktivisten begrüßen die früheren CNDP-Rebellen und äußern sich ironisch über deren offizielle »Integration« in die kongolesische Armee. Denn eigentlich sollten die ruandischen Soldaten, die zur Bekämpfung der Hutu-Milizen in Kongo hereingelassen worden waren, offiziell abgezogen sein. Doch wie die Radiomoderatorin Alice berichtet, sieht die Realität anders aus: »Vor kurzem war ich in einem Hotel im Ostkongo. Dort waren auch Ruandisch sprechende Soldaten untergebracht, die mich als ihre Schwester begrüßten«, erzählt sie. »Ich dachte, es handele sich um frühere CNDP-Rebellen, die nun in die Armee integriert sind, da sie kongolesische Uniformen trugen. Die Männer sagten jedoch, sie seien ruandische Soldaten, die von ihrer Armee bei deren offiziellem Rückzug zurückgelassen worden seien und sich nun plötzlich offiziell als kongolesische Regierungssoldaten wiederfänden. Sie fanden ihre Situation sehr seltsam.«
Eine Reihe von Zeugen sagt, dass die ruandische Armee zwar offiziell, jedoch nicht tatsächlich abgezogen sei. Zu verlockend sei die Aussicht, im Ostkongo zu bleiben – sowohl aus strategischen Gründen als auch aufgrund des immensen Rohstoffreichtums des Landes. Für einen Teil des politischen Establishments in Ruanda sei der Ostkongo eine »neue Front«, und ruandische Journalisten sprechen offen von einer »zivilisatorischen Mission« ihres Landes in den Weiten des Kongo. Offenkundig wird in Ruanda die politische und gesellschaftliche Stabilität durch eine Expansionspolitik zu Lasten des Nachbarn aufrechterhalten.
Dies führt auch zu hasserfüllten Reaktionen vieler Kongolesen. »Die Ruander sind einfach Invasoren«, meint zum Beispiel ein kongolesischer Arzt, »sie nehmen der einheimischen Bevölkerung den Ackerboden weg«. Politische Unterscheidungen interessieren hier die wenigsten: »Ruander« sind für die Zivilbevölkerung sowohl die Hutu-Rebellen als auch die offizielle Armee, und wohl auch die einheimischen kongolesischen Tutsi im Umfeld des CNDP.
Im Hafen von Goma werden die Reisenden zwecks irgendwelcher »Formalitäten« zur Hafenpolizei gebeten – ein anderer Ausdruck für die in zahllosen Varianten anzutreffenden Bemühungen örtlicher untergeordneter Behörden, den Besuchern ein weiteres Mal fünf Dollar unter irgendeinem Vorwand abzuknöpfen. Auch ein Russe und ein Ukrainer sind dabei, möglicherweise zwei Söldner. »Nicht unbedingt solche, die hierzulande mit der Waffe kämpfen«, präzisieren später örtliche kongolesische Bekannte. »Aber höchstwahrscheinlich zählen sie zu den vielen Söldnern, die hier sind, meist frühere russische oder sowjetische Piloten. Sie steuern oft die Flugzeuge, mit denen Rohstoffe hinaus- und Waffen hereingeschafft werden.«
Am folgenden Vormittag geht es wieder nach Burundi zurück. Als Belohnung gibt es nun noch drei Tage Rundfahrt quer durch Burundi mit kulturellen und landschaftlichen Sehenswürdigkeiten. Den Erinnerungen an die extreme Gewalt der vergangenen Jahre können allerdings auch Touristen kaum ausweichen. Bei einer Teefabrik in Teza zum Beispiel, wo eine Stele von einem 1996 verübten Massaker an Arbeitern zeugt. Oder im Waisenheim von Margarite Bankirantse alias »Madame Maggy«, die während der Hochphase des Bürgerkriegs die Kinder von Massakeropfern aller Bevölkerungsgruppen aufnahm.