Opel und die deutsche Industriepolitik

Pleitier in spe

Die Einigung um Opel scheint ein großer Erfolg für die deutsche Industriepolitik zu sein. Der könnte sich allerdings schnell als vergänglich erweisen.

»Wir leben«, verkündet Opel bescheiden in Werbespots und Anzeigen, und fügt dann »Autos« hinzu – wie auch immer man sich das vorzustellen hat –, um von den Problemen der vergangenen Wochen zum Kerngeschäft überzugehen. Ansonsten ist allerorten Jubel zu vernehmen.
Während Frank-Walter Steinmeier Wahlkampf in eigener Sache betreibt und betont, dass er es gewesen sei, der Magna im Frühjahr in die Diskussion gebracht habe, kann Angela Merkel sogar noch die Dialektikschulung aus längst vergessenen Zeiten bei der FDJ anwenden. Einen »qualitativen Sprung« stelle die Übernahme Opels durch das von Magna repräsentierte russisch-österreichische Konsortium dar, »um Opel jetzt endlich voranzubringen«, so Merkel. Nur vom eigentlich zuständigen Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der zunächst immer wieder eine »geordnete Insolvenz« ins Spiel gebracht und zuletzt die Hoffnung auf einen Verbleib Opels bei General Motors kaum hatte verhehlen können, ist längst nichts mehr zu hören oder zu sehen.

Euphorischer noch als die Politik reagierte die IG Metall. Im ZDF-Morgenmagazin verlieh ihr Vorsitzender Berthold Huber der Hoffnung Ausdruck, dass »der Knoten gelöst wurde, und nun niemand mehr neue Hindernisse aufbaut«. Dass diese Hindernisse seit Jahrzehnten ausschließlich jenseits des Atlantiks aufgebaut worden seien, daran ließ weder der IG-Metall-Boss noch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel, Klaus Franz (ehemals Mitglied der Gruppe Revolutionärer Kampf, heute stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Rüsselsheimer Unternehmens), einen Zweifel aufkommen. Nun könne endlich gemeinsam mit allen Beteiligten an einem »Zukunftsplan« für Opel gearbeitet werden, verkündete der derzeit bekannteste deutsche Co-Manager. Zwar forderte Franz einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, stellte aber ansonsten die Opferbereitschaft der Belegschaft für die »Heimholung Opels« klar: »Die Beschäftigten sind bereit, Beiträge zur Sanierung des Unternehmens auf der Basis eines nachhaltigen Unternehmensplanes zu leisten.«
Dass Magna und die hinter dem österreichischen Autozulieferer stehende quasi-staatliche russische Sberbank die Offerte von Franz nur zu gerne annehmen würden, lag nicht nur in der Natur der kapitalistischen Sache. Tatsächlich wurden die ersten »Beiträge« der Beschäftigten umgehend festgelegt. Nicht nur der bereits betriebsrätlich abgesegnete Verzicht auf das Urlaubsgeld und auf die tariflich vereinbarte Lohnerhöhung von 4,2 Prozent werden auf sie zukommen, sondern auch der Abbau von mindestens 4 000 Stellen in den vier deutschen Werken. Das sind 1 500 mehr als im Mai ausgehandelt wurde und 1 000 mehr als zuletzt an die Öffentlichkeit gedrungen war. Vor allem die Entwicklungsabteilung soll hiervon betroffen sein.
Katerstimmung wollten Franz und in seinem Gefolge auch die Betriebsräte der deutschen Opel-Werke in Rüsselsheim, Bochum, Kaiserslautern und Eisenach dennoch keine verbreiten. Immerhin standen die deutschen Produktionsstätten selbst offenbar schon nicht mehr zur Disposition, als die Optionen, dass Opel bei General Motors verbleiben oder vom Finanzinvestor Ripplewood übernommen werden könnte, noch diskutiert wurden. Kaum überraschend daher, dass in Großbritannien und vor allem in Belgien kritische Stimmen laut wurden. Insbesondere die belgische Regierung versuchte sofort, eine Garantie für das Werk in Antwerpen zu erhalten. Weder die Bundesregierung noch ein Sprecher von Magna wollte sich aber dazu äußern. Die Schließung scheint also beschlossene Sache zu sein.

Aber der Reihe nach. Kurz bevor die Abmachung am Donnerstagnachmittag bekannt wurde, sah es noch ganz danach aus, als ob Opel bei GM verbleiben würde. Die Bundesregierung holte sich für die von ihr präferierte Lösung (Jungle World 23/09) eine Absage nach der anderen ab. Weder wollte sich der US-Finanzminister Timothy Geithner als Repräsentant des Mehrheitseigners des mittlerweile teilverstaatlichten GM-Konzerns in einem Gespräch mit Steinmeier am Rande des G20-Treffens in London lobend über das deutsche Angebot äußern, noch äußerte der Verhandlungsführer von GM, John Smith, in seiner Internetkolumne »Driving Conversations« Zustimmung.
Gründe dafür dürften die Unterstützung des ehemals weltweit größten Automobilherstellers mit über 50 Milliarden Dollar Staatshilfe und der kleine Verkaufsboom durch die amerikanische Variante der Abwrackprämie gewesen sein. Was John Smith aber vor allem nicht müde wurde zu betonen, war die Angst vor dem Technologietransfer nach Russland und dem Erwachsen neuer Konkurrenten auf dem hart umkämpften internationalen Automobilmarkt. »GM hat sich in den vergangenen Wochen aus einer Position der absoluten Schwäche zum fast schon dominanten Spieler gemausert«, musste so auch der bekannteste deutsche Experte auf dem Gebiet der Automobilwirtschaft, Ferdinand Dudenhöffer, im Gespräch mit Spiegel online kurz vor der überraschenden Abmachung zerknirscht feststellen.

Was den GM-Verwaltungsrat am Mittwoch doch noch dazu bewogen haben mag, dem Verkauf von 65 Prozent der Aktien zuzustimmen – 55 Prozent erwerben Magna und die Sberbank, zehn Prozent gehen an die Beschäftigten –, darüber kann nur spekuliert werden. Klar ist: Opel ist maroder als viele gedacht haben. Aus den führenden Gremien bei GM war zu vernehmen, dass die 4,5 Milliarden Euro, die die Bundesregierung an Sofortkrediten und Bürgschaften bereit stelle, um mindestens weitere zwei Milliarden aufgestockt werden müssten, um Opel im nächsten Jahr durchzubringen. Ohne das Geld aus Berlin, das nur fließen sollte wenn Magna in das Geschäft einbezogen würde, sah sich die Chefetage in Detroit offensichtlich nicht in der Lage, Opel zu halten.
Dieser pessimistischen Sicht der Zukunft schloss sich bei der notwendigen Abstimmung im Treuhandbeirat von Opel ausgerechnet der Vertreter der Bundesregierung und ehemalige Vorstandsvorsitzende von Continental, Manfred Wennemer, an. Trotz heftiger Kritik seitens der Politik stimmte er, anders als die beiden GM-Vertreter, gegen den Verkauf an das neue Konsortium. Der Vertreter der Bundesländer im Treuhandbeirat, Dirk Pfeil, enthielt sich. Opel verliere Milliarden auf Jahre hinaus, die »auf den Schultern der Steuerzahler« lasten würden, lautete Wennemers Begründung, der Pfeil beipflichtete. Er hätte die Aufgabe nicht übernommen, wenn er gewusst hätte, dass es ausschließlich eine poli­tische Entscheidung geben und die Betriebswirtschaft völlig hintenan stehen würde, so der Vertreter der Bundesländer. Der Bild-Zeitung sagte Pfeil: »Der Verkauf an Magna ist genau die Art von aggressiver Industriepolitik, die in Deutschland immer zu Recht kritisiert wurde.«
Das dürfte zutreffen. Denn die durch staatliche Transfers mögliche Rettung Opels, und hier vor allem der deutschen Produktionsstätten, ist nicht nur eine Flucht in den Protektionismus, wie er auch in den USA und anderen Industrieländern derzeit zu beobachten ist, sondern zumindest eine Antizipation dessen, in welche Richtung sich die deutsche Industriepolitik entwickeln könnte. Der Blick richtet sich dabei gen Osten. »Opel wird russisch«, titelten gleich mehrere russische Zeitungen. Der dortige Automarkt, auf dem der Anteil Opels derzeit nur etwas über zwei Prozent beträgt, und die staatliche Unterstützung machen Russland offensichtlich jenseits politischer Verbindungen zum gewollten Partner. Alexander Schochin, der Präsident des russischen Unternehmerverbandes, wollte einen neuen Schwung in der deutsch-russischen Wirtschaftskooperation erkennen, der mit dem Verkauf von Opel eingeleitet worden sei.

Wer sich neue Partner sucht, verärgert natürlich andere. Vor allem innerhalb der EU stößt diese deutsche Industriepolitik auf wenig Zustimmung. Dass die belgische Regierung Deutschland Protektionismus vorwirft, könnte erst den Auftakt kommender Konflikte markieren. Die Europäische Kommission kündigte vorsorglich bereits ein Sondertreffen an, auf dem die Bundesregierung sich gegenüber den anderen Ländern mit Opel-Werken erklären müsste.
Aber nicht nur wegen dieser Konflikte könnte sich Deutschlands Sieg im »Opel-Krieg« (Bild) als vergänglich erweisen. Schätzungen zufolge ist in der Automobilbranche derzeit schon jede dritte Fabrik überflüssig, und das dürfte, wenn alle amerikanischen und deutschen Abwrackprämien verteilt sind, nicht besser werden. Weitere Pleiten sind absehbar. Das kann auch Opel treffen, egal wie viel Geld die Bundesregierung in den Konzern hineinzupumpen gewillt ist und welche Zukunftspläne der Vorstand von New Opel austüfteln wird. Sollte Merkel an ihrer auf der Pressekonferenz am Donnerstag geäußerten Auffassung festhalten, Opel müsse sich nach der Überbrückung »selbständig am Markt bewähren«, könnte sich die deutsche Industriepolitik schnell blamieren und sich selbst die Bescheidenheit der Opel-Werbung noch als zu großspurig erweisen.