Was wollen wir wählen?

Berlin Beatet Bestes. Folge 15. Lerryn & Dadazuzu: Gummiknüppelsong (1971).

Vor etwa zehn Jahren kaufte ich die Single in einem Trödelladen für eine Mark. Die Platte versteckte sich bezeichnenderweise nicht in der Plattenabteilung, sondern in einem Stapel kommunistischer Flugblätter und Zeitungen. Später begann ich, auch andere Platten des Dortmunder Labels Pläne, das zu den ältesten deutschen Independent-Labels gehört, zu sammeln. Leider sind die übrigen Veröffentlichungen des Labels fast ausschließlich ziemlich spröder Liedermacherstoff.
Diese Single von Lerryn & Dadazuzu stellt also ein Novum dar. Sie rockt immer noch! Und sie hat einen sehr politischen Text. Abgesehen von Ton Steine Scherben und Floh de Cologne waren nur wenige Krautrock-Bands mutig genug, sich eine eindeutige politische Agenda zu leisten und einen Song wie den »Gummiknüppelsong« zu machen.
Der Refrain klingt eindeutig wie: »Ich bin der Gummiknüppelpenis, mit dem harten Gummipenis«. Und dieser »Penis« wird dann im Laufe des Liedes zwölf Mal wiederholt. Es klingt wie tausend Mal. Ich habe beim Auflegen der Platte immer wieder amüsiert festgestellt, wie, ungeachtet der wirklich funkigen Bläser, einer großartigen Orgel und einer coolen Rockgitarre, sich die Tanzfläche ratzfatz leerte. Niemand will zum Penissong tanzen.
Denn beim Anhören im vollen Club wird der politische Kontext des Stücks leicht überhört: »Das ist der Gummiknüppelsong, gewidmet dem Frankfurter Polizistenführer Arich Penitz.« Tatsächlich ist dies ein sehr kluger Song, der sich gegen die Polizeigewalt im Frankfurter Häuserkampf richtete. Der Gummiknüppel wird mit dem Penis verbunden, der als Symbol männlicher Dominanz und kapitalistischer Macht herhalten muss. Die Kombination von politischem Lied und progressivem Krautrock ist in Deutschland einzigartig.
Die B-Seite »Lehrlinksmachtgebeat« erschien zwar 1972 auch auf dem Pläne-Sampler »Lehrlinge halten zusammen« und tauchte dann in den neunziger Jahren in der berühmten »Nurse with Wound«-Liste auf, die eine lange Reihe von Outsider-Platten aufzählt. Sie verschaffte Lerryn & Dadazuzu immerhin Kultstatus. Diese herausragende Single wurde allerdings nie wieder veröffentlicht.
Hinter dem Künstlernamen Lerryn (eine Kombination aus Larry und Lenin) verbirgt sich Diether Dehm, der heute als Abgeordneter der »Linken« im Bundestag sitzt. Dehm, geboren 1950, ist eine der dubiosesten Persönlichkeiten der deutschen Linken. Als Autor, Manager, Medienberater und Produzent arbeitet er seit dreißig Jahren im Musikgeschäft. Als Teenager trat er in die SPD ein und wurde 1993 als Abgeordneter in den Rat der Stadt Frankfurt gewählt. 1998 trat er aus der SPD aus und der PDS bei, wo er vor allem mit origineller Deutschtümelei bestach. Nach einer Gerichtsentscheidung von 1996 darf Dehm auch als Stasi-Informant bezeichnet werden. Allerdings stempelte die DDR ihn schon 1977 zum Staats­feind. So genannte West-IMs gab es in den siebziger Jahren in der Linken ja zahlreich, und ehrlich gesagt ist es mir auch egal, was Lerryn da über Wolf Biermann und den SPD-Bezirk Süd-Hessen alles ausgeplaudert hat. Diese Platte ist ein mutiges Stück deutscher Rockgeschichte und immer noch ein absoluter Showstopper! Und ich weiß, was ich am Sonntag wähle.

»Berlin Beatet Bestes« kann man jetzt auch auf Herbstradio (99.1 Mhz ) von 21 bis 23 Uhr hören.