Krawalle beim Hamburger Schanzenfest

Böses von auswärts

Während des Hamburger Schanzenfests wurde eine Polizeiwache attackiert. Die Organisatorinnen und Organisatoren des Fests wollen sich von der Aktion nicht ­distanzieren.

Gegen ein Uhr nachts wurden vier Scheiben der Polizeiwache in der Lerchenstraße eingeworfen. Auf einem Foto ist zu sehen, wie mehrere Vermummte mit der Stange eines Verkehrsschildes technisch versiert ein Fenster aushebeln. Anwohnerinnen und Anwohner berichteten, es seien auch ein paar Böller geflogen.
In den Worten des Hamburger Polizeisprechers, Ralf Meyer, klang am nächsten Tag alles höchst dramatisch: Randalierer hätten »die Polizeiwache gestürmt«, wobei sie »die Fenster« eingeworfen hätten. Als die Polizei sich näherte, habe die Gruppe mit Steinen geworfen, Reifen angezündet, eine Bushaltestelle zerstört und ein Auto umgeworfen. Danach seien die Randalierer brand­schatzend in Richtung des Fests gelaufen, hätten Schaufenster eingeworfen, die Auslage eines Elektrogeschäfts ausgeräumt und sich anschließend unter die Feiernden gemischt.

Ein aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengezogenes Großaufgebot von 2 000 Polizistinnen und Polizisten in Nahkampfmontur, das nebst Wasserwerfern auf dem nahe gelegenen Heiligengeistfeld bereitstand, rückte daraufhin zum Schanzenfest vor. Viele Besucherinnen und Besucher des Fests wurden von der Schnelligkeit und der Heftigkeit des Einsatzes überrascht. Wer sich eben noch an einer Bierflasche festgehalten hatte, mutmaßend, ob es noch zu militanten Aktionen kommen werde, musste sich schnell vor einem Wasserwerfer in Deckung begeben oder stellte sich der Polizei entgegen. 48 mutmaßliche Randalierer wurden festgenommen, 28 Polizisten und 19 Passanten verletzt, gab die Polizei Auskunft.
Auf der Pressekonferenz am nächsten Tag erhielt ein Redakteur des linken Radiosenders FSK keine Antwort auf seine Frage, wohin denn die Angreiferinnen und Angreifer der Polizeiwache weggelaufen seien, liegen doch Polizeiwache, Bushaltestelle, Elektroladen und Schanzenfest nicht gerade auf einem Weg – er wurde schlicht ignoriert. Aber auf seinem Mitschnitt ist zu hören, wie Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU), Einsatzleiter Peter Born und Polizeipräsident Werner Jantosch nach der Frage tuscheln und einer von ihnen raunt: »Budapester Straße«. Damit wäre die Rechtfertigung für den Großeinsatz auf dem Schanzenfest hinfällig, denn diese Straße führt davon weg zur Reeperbahn.
Stattdessen war fast einhellig die Rede von »Krawallmachern«, die das friedliche Fest kaputtgemacht hätten. Rücksichtslose »erlebnisorientierte Jugendliche« von außerhalb hätten Randale gesucht, und niemand wisse eigentlich, warum.
Diese Version der Ereignisse sollte offenbar dem Koalitionsfrieden in Hamburg dienen. Das vorhergehende Schanzenfest am 4. Juli war auf Veranlassung des Innensenators gestürmt worden, der angekündigt hatte, keine »rechtsfreien Räume« zu dulden, schließlich sei das Schanzenfest nicht angemeldet gewesen. Es gab Unstimmigkeiten in der schwarz-grünen Regierungskoalition. Die GAL ist im Schanzenviertel die stärkste Partei und sah sich wohl in der Pflicht, gegen allzu viel Law and Order zu protestieren. Als zahlreiche Läden und Gruppen, nicht nur aus dem alternativen bis autonomen Milieu, für den 12. September zur Fortsetzung des Festes aufriefen, um gegen den Polizeieinsatz zu protestieren, war die Spannung groß.
Mit der Rede von den grundlos randalierenden »erlebnisorientierten Jugendlichen«, die das friedliche Fest störten, wurde der politische Ansatz des Fests bewusst ignoriert. Tatsächlich gab es eine Reihe von Ständen und Transparenten, von der Roten Hilfe bis zur Aufforderung »Regierung stürzen!« – aus Sicht der Vorbereitenden hätten es aber gern noch mehr sein dürfen. Sicher gab es planloses Handeln wie vereinzelte Flaschenwürfe. Unterbunden wurden am Vorabend, während noch Kinder auf dem Fest waren, auch kleine barrikadenähnliche Lagerfeuer vor den Flohmarktständen.

Doch von dem Angriff auf die Lerchenwache mit seiner klar erkennbaren Kritik an den Repressalien der Polizei, bei der keine Gefahr für Unbeteiligte bestand, hat sich der »Vorbereitungskreis Schanzenfest reloaded« nicht distanziert. »Das bösartige Fremde kommt wie immer von außerhalb, während mensch es sich drinnen scheinbar in heimeliger Gemütlichkeit einrichtet und mit dem Freund und Helfer arrangiert. So viel Einigkeit und Frieden wäre für die Schanze dann aber doch überraschend und weltfremd«, hieß es in einer ersten Erklärung.
Der Sprecher des Vorbereitungskreises, Andreas Blechschmidt, ein Autor der Jungle World, wurde in eine Sendung des Regionalfernsehens HH1 eingeladen – und sagte dort, es sei politisch falsch, von unpolitischen »Krawallkids« zu sprechen. »Es war uns wichtig, dem Hype des angeblich einigen friedlichen Schanzenviertels, das sich mit Entsetzen von auswärtigen Krawallmachern distanziert, eine etwas differenziertere Haltung entgegenzusetzen«, sagte er der Jungle World.
Am nächsten Tag titelte das Hamburger Abendblatt: »Schanzenfest-Sprecher rechtfertigt Überfall auf Polizeiwache«. Neben einem Portrait von Andreas Blechschmidt stand als Zitat herausgehoben: »Gewalt als politisches Mittel schließe ich nicht aus.« Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) sagte daraufhin der Zeitung: »Wer schwere Gewaltstraftaten gegen Polizeibeamte rechtfertigt, hat ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat und der Polizei und entlarvt sich selbst.« Blechschmidt stehe auf einer Stufe mit Randalierern und Extremisten.
Sogleich wurde auch über die Zukunft der Roten Flora debattiert. Der offizielle Besitzer, Klausmartin Kretschmer, nutzte die Gelegenheit, das seit knapp 20 Jahren besetzte autonome Zen­trum erneut als »Fremdkörper« zu bezeichnen, der »keine soziale Verbindung in die Bevölkerung« mehr habe und »sich von Extremisten vereinnahmen« lasse. Auf die Frage, ob es die Rote Flora »so« in zehn Jahren noch geben werde, fabulierte Kretschmer: »›Alles hat seine Zeit‹ … und diese macht auch vor der Roten Flora nicht halt.«