Die Debatte über die Ausstellung

Täter, Opfer und Geschichte

Ist es anstößig, in Deutschland, dem Land der Täter, die NS-Kollaborateure in der Dritten Welt anzuprangern? Die Debatte um die Berliner Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« hat plastisch gezeigt, wie sich Antirassismus in Deutschland zwischen Schuldabwehr und Opferkonkurrenz behaupten muss.

»Opfer eines Verbrechens haben das Bedürfnis und das Recht auf Anerkennung des ihnen zugefügten Leids und Unrechts. Bleibt diese Anerkennung aus, hat das verheerende Folgen (…) Sie verlieren das Selbstvertrauen, ohne das sie keine gesunde Beziehung zu ihrem Umfeld aufbauen können.« Diese Worte der schwarzen kolumbianischen Autorin Rosa Amelia Plumelle-Uribe aus ihrem letzten Buch lesen sich, als kommentiere sie den Berliner Streit um die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«. Die Geschäftsführerin der Neuköllner Werkstatt der Kulturen, Philippa Ebéné, hatte die Ausstellung aus ihren Räumen verbannt – mit der Begründung, sie sei nicht die gewünschte »Hommage an die gefallenen POCs (People of Colour), die Deutschland vom Faschismus befreiten«.
Die folgende heftige Konfrontation zwischen Ebéné und Kurator Karl Rössel entzündete sich vor allem an der Frage, ob es angemessen sei, in der Ausstellung auch die Kollaborateure der Nazis in Ländern der Dritten Welt zu thematisieren. Für Ebéné war das nicht akzeptabel: »Kann man nicht, statt gleichzeitig immer auch von Schuld zu sprechen, zum Jahrestag dieses Krieges einfach mal die würdigen, die im Kampf gegen die Nazis ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben?« Gruppen wie die Initiative Schwarzer Deutscher verteidigten Ebénés Position, der Migrationsrat Berlin-Brandenburg warf der Ausstellung gar vor, sie sei »kolonial­rassistisch«. Der ursprüngliche, auch von der Werk­statt der Kulturen geteilte Zweck der Ausstellung, die Ignoranz gegenüber den nichteuropäischen Opfern des Weltkrieges zu kritisieren, geriet dabei in den Hintergrund.

Eigentlich hätte man erwarten können, dass Mi­granten und Schwarze Deutsche mit deutschen Antirassisten gemeinsame erinnerungspolitische Anliegen teilen. Ausstellungsmacher Rössel ging es explizit darum, die hierzulande »vergessenen« Seiten des Zweiten Weltkriegs zu thematisieren: die Millionen Opfer, die der Krieg in vielen Ländern der Dritten Welt gefordert hatte. Und die Ausstellung sollte über eine weitere Tatsache informieren, die in der Geschichtsschreibung üblicherweise nicht vorkommt: »Bis 1945 leisteten Millionen Soldaten aus der Dritten Welt einen wichtigen Beitrag, um die Welt vom europäischen Faschismus und japanischen Großmachtwahn zu befreien.« Ziele, die so oder ähnlich von Ebéné geteilt wurden.
Wieso konnte es dann zu einer so zugespitzten Konfrontation kommen? Warum die Heftigkeit der Kritik Schwarzer Deutscher und der Organisationen der Migrantinnen und Migranten? Einiges an ihrer Empörung leuchtet ein. Denn es stimmt ja: Die hegemoniale Debatte in Deutschland über den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg kreist um die eigene Befindlichkeit und das Bedürfnis, als Täternation eigentlich selbst Opfer gewesen zu sein. Da ist die Gefahr groß, mit dem Verweis auf die Kollaborateure anderer Länder Schuldabwehr zu betreiben oder die Schuld wenigstens zu teilen. Vollkommen zutreffend ist auch die Beobachtung, dass deutsche Widerstandskämpfer zu Helden stilisiert werden, während man die vielen nichteuropäischen Befreier nicht einmal erwähnt. Und ja, es ist kritikwürdig, den deutschen Kolonialismus als historische Marginalie darzustellen, die hinter der Monstrosität des Nationalsozialismus verschwindet. Wer wie die Nachfahren der Kolonisierten die Kontinuität des Kolonialrassismus alltäglich erlebt (auch wenn dieser Rassismus heute weniger biologistisch als vielmehr kulturalistisch aufgeladen ist), hat da verständlicherweise einen anderen Blick.
Es ist auch keineswegs neu, dass sich Migranten und Schwarze Deutsche auf der einen und weiße Antirassisten und Linke auf der anderen Seite heftig zoffen. Auch wenn die Bekämpfung von Rassismus das gemeinsame Ziel zu sein scheint, so gibt es doch zahlreiche Konflikte um Fragen von Sprache, Repräsentation und Anerkennung. Erinnert sei beispielsweise daran, wie die Migrantengruppe »Café Morgenland« 1999 der deutschen Linken Rassismus vorwarf, nachdem der Polemiker Kay Sokolowsky in der Zeitschrift Konkret die Taliban mit Vokabeln wie »analphabetische Irre«, »Kopfwindeln« und »Gesichtspelze« lächerlich gemacht hatte.

Jüngst klagte Osara Igbinoba, Sprecher der Mi­gran­ten-Organisation »The Voice«, über große Probleme in der Zusammenarbeit mit deutschen antirassistischen Gruppen: »Teilweise hat dieser Konflikt damit zu tun, dass die deutsche Linke ihre Positionen, Konzepte und Organisationsmethoden oft als universelles Beispiel der Aufklärung, als fortschrittlichstes und politisch korrektes Vorbild betrachtet. Von den Flüchtlingen wird dabei erwartet, dass sie sich in beinahe allen Aspekten nach den deutschen Gruppen richten.« Damit sprach Igbinoba beispielsweise die Konflikte um die Residenzpflicht-Kampagne an, die unter anderem darum kreisten, ob der Begriff »Apartheid« in Hinblick auf Deutschland gerechtfertigt sei. Viele »weiße« Gruppen lehnten das als überzogen ab. Bei Igbinoba klingt ein weiteres Moment an, das solchen Konflikten zugrunde liegt: der Widerspruch zwischen einer partikularen Perspektive als Angehörige einer spezifischen Opfergruppe und einer universalistischen Perspektive, die auf allgemeine Menschenrechte, ungeteilte Aufklärung und Rekonstruktion der historischen »Wahrheit« zielt.
Genau jenes Pochen auf Wahrheit war eines der Motive, warum in der Ausstellung die Kollaboration nicht verschwiegen werden sollte. Das hatte nichts mit Geschichtsrevisionismus zu tun, im Gegenteil. Die Grundüberlegung dahinter war: Die Befreier können nur angemessen gewürdigt werden, wenn herausgearbeitet wird, dass ihr Verhalten keineswegs selbstverständlich war. Dieses Anliegen wird nicht nur vom »weißen Mann« Karl Rössel geteilt, sondern beispielsweise auch von Alice Cherki, einer Mitstreiterin von Frantz Fanon im antikolonialen Befreiungskampf. »Geschichte kann man nicht ausklammern«, kritisierte sie bei ihrem Vortrag im Begleitprogramm der Ausstellung die Position von Ebéné.
Cherki verweist damit auf ein Grundproblem antirassistischer Erinnerungspolitik: dass nicht nur Täter-, sondern auch Opfergruppen Geschichte umschreiben und ideologisieren können. Wie so etwas funktioniert und wohin das führen kann, demonstriert die eingangs zitierte Rosa Amelia Plumelle-Uribe. In ihrem 2004 erschienenen und in antirassistischen Kreisen weitgehend mit Zustimmung aufgenommenen Buch »Weiße Barbarei – vom Kolonialrassismus zur Rassenpolitik der Nazis« zeichnet sie zunächst die Grausamkeiten durch Kolonialismus und Rassismus nach. Völlig zu Recht prangert sie an, dass die schwarzen Opfer und ihre Nachfahren bis heute von den Nachfahren der Täter diskriminiert werden. Doch dann zieht sie eine direkte Linie vom »Völkermord an den Indianern« über die Sklaverei und den Kolonialismus zur Shoah. All das sei Ausdruck ein und derselben weißen Vorherrschaft. Das deutsche Volk habe daher im Nationalsozialismus »mehr oder weniger gleich« reagiert »wie alle anderen europäischen Völker auch« bei deren Umgang mit den Opfern des Rassenwahns. Die Juden wurden Plumelle-Uribe zufolge »zum Zielobjekt einer Barbarei, die vorher denjenigen vorbehalten war, die bislang die unterste Stufe der Rassenhierarchie eingenommen hatten«.
Wenn also die nationalsozialistische Vernichtungspolitik nur eine Spielart der weißen Vorherrschaft ist, dann liegt der Schluss nahe, Schwarze oder Araber könnten schon qua Status als Nichtweiße nicht daran beteiligt gewesen sein. Konsequenterweise tauchen in Plumelle-Uribes Buch Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner nur als Opfer auf, nie als Mittäter, Kompradoren oder Kollaborateure, obwohl es diese in nahezu allen Kolonien gab. Zweifelsohne ist Mittäterschaft anders zu bewerten als Täterschaft, insbesondere da, wo sie erzwungen war. Aber muss deshalb in einem Buch, das vorgibt, endlich einmal die historische Wahrheit über die kolonialen Verbrechen auszusprechen, verschwiegen werden, dass in Deutsch-Ostafrika afrikanische Askari als Söldner in deutschen Diensten Tausende Afrikaner umbrachten? Oder dass die Nazis teils begeisterte Zustimmung in arabischen und asiatischen Ländern erfuhren?
Unter Auslassung all jener Umstände konstruiert Plumelle-Uribe eine Opferkonkurrenz zwischen schwarzen und weißen Opfern. Nach 1945 sei »ergänzend zur Rassenhierarchie« eine »Hierarchie der Welt des Grauens« entstanden, in der die Juden bevorzugt würden, weil sie weiß seien. Die Shoah sei von ihnen zu einem »rentablen politischen Instrument« gemacht worden. Da verwundert es nicht mehr, wenn Plumelle-Uribe unter der Kapitelunterschrift »Ein und dieselbe Familie« die »Verwandtschaft« der zionistischen Bewegung mit dem Nationalsozialismus behauptet und Israel als rassistischen »Apartheidstaat« brandmarkt.
Derlei Hetze dürfte von Ebéné und ihren Unterstützern nicht geteilt werden. Aber zurückgewiesen wurde sie von ihnen auch nicht. Plumelle-Uribe war 2005 und 2006 mehrfach zur Vorstellung ihres Buchs nach Berlin eingeladen worden, unter anderem in die Werkstatt der Kulturen. Große Anerkennung erwarb sie sich bei Berliner Migranten-Organisationen zudem als Prozessbeobachterin im Fall des Flüchtlings Oury Jalloh, der 2005 an Händen und Füßen gefesselt in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte. Deshalb kann sie durchaus als Ideengeberin für die seltsamen Positionen angesehen werden, die in Berlin unter einigen Migranten und Schwarzen Deutschen, aber auch weißen Antirassisten verbreitet sind.

Diese Positionen stellen einen Rückfall dar hinter die Diskussionen der neunziger Jahre, die mit dem Schwarz-Weiß-Denken, den Gut-und-Böse-Schemata und der Viktimisierung früherer Jahrzehnte aufgeräumt hatten. Selbst die nun verwendeten Wortbildungen sind fragwürdig: Der von Ebéné bevorzugte Begriff »People of Colour« ist eine auf Hautfarbe bezogene Zuschreibung, er stellt gegen seine Intention einen Rückfall in biologistische Muster der Beschreibung von Menschen dar.
Im Gegensatz dazu ist die Bezeichnung »Dritte Welt« eben kein »rassekundlicher« Begriff, wie jetzt im Zuge der Berliner Auseinandersetzung von einigen Schwarzen Deutschen behauptet wurde, sondern ein Klassenbegriff. Er stammt begriffshistorisch vom »Dritten Stand« ab, der in der Französischen Revolution gegen das Ancien Régime kämpfte. Popularisiert wurde der Tiermondisme von Frantz Fanon und anderen, oft afrikanischen, Vorkämpfern des Antikolonialismus.
Fanons Entscheidung, an der Seite des Freien Frankreich gegen die Nazis zu kämpfen, beruhte übrigens auf seiner Empörung über die Kollaboration des Vichy-Regimes. An der vielschichtigen und widersprüchlichen Geschichte der Kollaboration kommen wir nicht vorbei – weder als Nachfahren der Täter noch der Opfer.