Susana Elisa pavlou im Gespräch über Gender Studies

»Der Nationalismus hat die Frauenbewegung klein gehalten«

Das Mediterranean Institute of Gender Studies ist an der Universität von Nikosia angesiedelt und forscht zu sozialen, politischen und ökonomischen Themen aus genderspezifischer Perspektive. Ein Gespräch mit der Institutsleiterin Susana Elisa Pavlou

Welche besonderen Herausforderungen für Gender Studies gibt es in einem Land wie ­Zypern?
In diesem Land wurde bisher wenig über Gender geforscht, es fehlten nicht nur der politische Wille und das Geld, es gab auch keinen gesellschaftlichen Kontext für die Forschungsarbeit. Die Vernachlässigung des Themas steht in einem Zusammenhang damit, dass auf Zypern die Zivilgesellschaft noch sehr schwach ausgeprägt ist. Ein Bewusstsein für die Genderproblematik entwickelt sich nur ganz langsam, und wir können dabei auch nicht auf gut funktionierende Organisationsstrukturen zurückgreifen.
Hat der militärische Konflikt die traditionelle Rollenverteilung zementiert?
Der Nationalismus hat die Frauenbewegung klein gehalten und viele Energien absorbiert. Der militärische Konflikt, die ethnische Segregation und der Nationalismus hatten immer Priorität, die Ausbildung zivilgesellschaftlicher Standards wurde dadurch unterdrückt. Allerdings wird die Genderequality stärker berücksichtigt, seit Zypern in der EU ist. Problematisch ist auch, dass es auf Zypern nur eine sehr schwache Frauenbewegung gegeben hat.
Hat sich die Frauenbewegung vor dem Hintergrund des Zypern-Konflikts eher in Friedens­projekten engagiert und damit überwiegend traditionelle Politikformen bedient?
Nach der Unabhängigkeit gab es nur wenige Möglichkeiten für Frauen, sich zu organisieren und Genderthemen voranzubringen. Eigentlich boten nur die politischen Parteien auf Zypern eine mögliche Plattform. Und die haben die Frauen dann auch genutzt, es gibt eine Reihe von Frauenorganisationen, aber sie sind alle eng verbunden mit den jeweiligen Parteipositionen. Und das ist ein Problem, weil es immer wieder zu Interessenkonflikten kommt, und sehr oft sind es die Frauen, die dann zurückstecken müssen. Mit dem Ergebnis, dass die Frauenthemen dann auf der Agenda plötzlich fehlen. Die Hauptaktivitäten der Frauen konzen­trierten sich auf Friedensinitiativen und die Wiedervereinigung, allerdings auf einem sehr soften Level. An den Verhandlungstischen der politischen Entscheidungsträger waren für Frauen keine Plätze reserviert. Sobald es um die offizielle Politik geht, sind Frauen komplett abgemeldet. Im Hinblick auf die Friedensaktivitäten waren Organisationen wie »Hands Above the Divided« aktiv. Es gibt viele Demonstrationen, die von Frauen organisiert wurden, aber eine Verknüpfung mit genderpolitischen Forderungen hat dabei nicht stattgefunden.
Wenn die Berufstätigkeit ein Indikator für Emanzipation ist, stehen zyprische Frauen ganz gut da. Die Mehrheit der Zyprerinnen ist erwerbstätig.
Auf den ersten Blick wirken die Zahlen erfreulich, im europäischen Vergleich schneidet Zypern gut ab, was die Rate der Beschäftigung von Frauen betrifft. Wir haben die Zielvorgaben der EU erreicht, und alles ist ganz wunderbar, könnte man denken. Bei näherer Betrachtung sieht die Sache anders aus, es sind die schlecht bezahlten Jobs, die von Frauen übernommen werden. Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit niedrig. Zugleich haben wir eine der höchsten Gender Pay Gaps in der EU. 2005 hatte Zypern die größten geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede. Wenn Frauen arbeitslos werden, dauert es in der Regel sehr viel länger, bis sie wieder einen Job finden, als bei männlichen Arbeitslosen. Es ist nicht so, dass Frauen beim Einkommen direkt diskriminiert werden, vielmehr sind Frauen vor allem im Niedriglohnsektor beschäftigt. Das wiederum bedeutet, dass Frauen in Zypern ein besonders hohes Armutsrisiko haben. Ältere Frauen auf Zypern gehören in der EU zu der am stärksten von Armut betroffenen Gruppe überhaupt.
Die Doppelbelastung von Frauen in Beruf und Familie ist ein Klassiker der feministischen Debatte. Ist sie in der zyprischen Gesellschaft ein Thema?
Frauen sind in der Familie für die Betreuung der Kinder und die Pflege der Alten und Kranken zuständig. Selbst wenn sie erwerbstätig sind, ist das so, und die Dekonstruktion dieser Rollen kommt nur schwer voran.
Gibt es zumindest in der jüngeren Generation eine geschlechtergerechte Aufteilung von Hausarbeit, Erziehung und Pflege?
Frauen, die sich qualifizieren und beruflich stark engagiert sind, delegieren Hausarbeit und Kindererziehung verstärkt an Migrantinnen. Die Gründe für diese Entwicklung sind struktureller Natur. Wir haben auf Zypern nur unzureichende gesetzliche Regelungen für die Elternzeit, und wir verfügen über kein funktionierendes Kinderbetreuungssystem. Frauen müssen kurz nach der Geburt ihres Kindes wieder zurück in den Job, oder sie verlieren ihren Arbeitsplatz. Aus diesem Grund stellen viele Familien Migrantinnen ein, die dann zu sehr schlechten Konditionen die Hausfrauenarbeit übernehmen.
Viele Migrantinnen arbeiten als Prostituierte auf Zypern.
Bis vor kurzem wurde die sexuelle Ausbeutung vor allem in so genannten Nachtclubs, Bars oder Cabarets praktiziert. Die Betreiber dieser Bars konnten ganz legal Migrantinnen beschäftigen, die sie mit einem so genannten Künstlervisum ins Land geholt hatten. Vor allem Frauen aus Osteuropa wurden ganz legal ins Land gebracht und ganz legal beschäftigt. Wir haben uns aktiv für die Abschaffung dieser Visa-Regelung eingesetzt, weil sie dem Frauenhandel einen gesetzlichen Rahmen verschafft hat.
Wissen Sie schon, welche Auswirkungen die Abschaffung dieses Visums hat?
Die Neuregelung ist erst seit einem Monat in Kraft, leider gibt es bisher noch keine Infor­mationen darüber, welche Erfahrungen die zuständigen Behörden mit dem neuen Prozedere gemacht haben. Die Arbeitserlaubnis für Migrantinnen aus Drittstaaten erteilt jetzt das Arbeitsministerium, während das früher über das Justizministerium lief. Auch wenn wir die Abschaffung des Künstlervisums begrüßen, mussten wir feststellen, dass die Clubs weiterhin existieren und dass dort weiterhin die sexuelle Ausbeutung von Migrantinnen betrieben wird.
Welche Haltung nehmen Sie und das Institut gegenüber der Prostitution ein? Verstehen Sie sich da als Wissenschaftlerinnen oder als Feministinnen?
Das Projekt »Human Trafficking« nimmt explizit eine feministische Perspektive ein. Unser Ziel ist es, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Problematik sexueller Ausbeutung zu schaffen. Ich lehne jede Form von sexueller Ausbeutung ab und nehme da eine politische Position ein. Unser Institut sammelt nicht irgendwelche Fakten und sagt dann, schau mal, wie interessant. Nein, wir betreiben Forschung mit dem Ziel, genderpolitische Positionen zu Themen wie Prostitution zu promoten. Wir sind also für die Abschaffung der Prostitution, sind aber nicht gegen die Prostituierten, das ist ein Unterschied, der manchmal übersehen wird, denn wir wollen nicht die Prostituierten kriminalisieren. Als Feministinnen sind wir der Überzeugung, dass Prostitution keine Option sein darf. Prostitution ist keine Wahl, sondern eine erzwungene Entscheidung. Keine Frau, die die freie Wahl hat, wird unter lauter Möglichkeiten ausgerechnet die Prostitution wäh­len. Was wir erreichen können, ist zwar nicht die Abschaffung der Prostitution, aber wir können die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen so gestalten, dass Prostitution nicht länger eine existenznotwendige Option ist.
Sie haben ein Projekt gegen häusliche Gewalt initiiert. Sind Beziehungstaten ein besonderes Problem auf Zypern?
Die Gründe für Gewalt in Beziehungen sind wenig kulturspezifisch, sondern struktureller Art. Häusliche Gewalt existiert, solange sie in der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert wird. In jüngerer Zeit ist häusliche Gewalt auch hier ein Thema geworden. Aber es herrscht weiterhin viel Unkenntnis zum Beispiel auf Seiten der Polizei, wenn eine Frau häusliche Gewalt zur Anzeige bringt. Die Opfer haben noch immer das Gefühl, dass ihnen nicht geglaubt wird.
Welche Gesetzesänderungen müsste es geben, um die Opfer besser zu schützen?
Wir haben gute Gesetze zum Schutz vor familiärer Gewalt. Das Problem jedoch ist, dass diese Gesetze Frauen nicht als gefährdete Gruppe definieren. Man hat sie ganz allgemein und geschlechtsneutral gefasst. Alle Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen basieren auf den gesetzlichen Regelungen, und weil diese geschlechtsneutral sind, laufen sie oft am Opfer vorbei.
Was wissen Sie über die Gründe für die Gewalt?
Wenn man die Geschlechterperspektive einnimmt, bekommt man die Ursachen der Gewalt in den Blick, und diese Ursachen liegen in der Geschlechterungleichheit und den entsprechenden Machtverhältnissen begründet. Im gesellschaftlichen Mainstream herrscht dagegen die Ansicht vor, dass das Oper die Gewalt provoziert hat. Dasselbe Muster findet man in der Debatte um Vergewaltigungen. Man fragt nach wie vor, was habe sie getan, wie war sie angezogen, war sie betrunken, hat sie es gewollt? All diese Stereotypen sind immer noch sehr wirksam.