Deutschland schiebt Roma in das Kosovo ab

Bleiberecht auf Abschiebung

Deutschland will zahlreiche Roma in den Kosovo abschieben. Die so genannte Bleiberechtsregelung und die gute Zusammenarbeit mit den kosovarischen Behörden machen es möglich.

Familie V., deren Mitglieder der Roma-Minderheit angehören, kam kurz nach dem Krieg aus dem Kosovo nach Deutschland, mittlerweile lebt sie seit fast zehn Jahren in Münster. Die fünf Kinder gehen zur Schule, eins der Mädchen steht kurz vor dem Schulabschluss. Seit mehr als einem Jahr ist die Familie nicht mehr auf staatliche Unterstützung angewiesen – der Vater leidet an einer Tuberkulose im Knie und konnte erst nach langer Suche eine Stelle als Fahrer finden, die Mutter arbeitet als Putzfrau. »Die Familie ist gut integriert, so wie es von Seiten der Innenpolitiker immer gefordert wird«, sagt Thomas Grünewald, Flüchtlingsberater bei der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA) in Münster.

Trotzdem haben die V.s keinen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland. Von Beginn an bekamen sie nur eine Duldung und durften zunächst nicht arbeiten. Da sie keine Perspektive sahen, gingen sie 2005 nach Schweden. Nach europäischem Recht konnten sie dort keinen Asylantrag stellen und kehrten nach wenigen Monaten wieder nach Münster zurück. Wegen des Aufenthalts in Schweden gewährt der deutsche Staat den V.s aber kein dauerhaftes Bleiberecht, denn das gibt es nur, wenn man mindestens sechs Jahre ohne längere Unterbrechung in Deutschland gelebt hat. Die Münsteraner Ausländerbehörde hat die Familie aufgefordert, bis zum 31. Oktober »freiwillig auszureisen«, ansonsten könnte eine Abschiebung drohen.
Bereits 2003 versuchte der damalige Innenminister Otto Schily (SPD), die Rückführung von Roma in das Kosovo zu veranlassen. Die zu der Zeit noch zuständige internationale Verwaltung UNMIK lehnte dies ab. Seit der Unabhängigkeit des Kosovo im Februar 2008 sind kosovarische Behörden für die Rücknahme von Flüchtlingen zuständig. Die kosovarischen Behörden sind an guten Beziehungen zu den europäischen Staaten interessiert, weil sie sich um die internationale Anerkennung ihres Staats bemühen. Nun hat die Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der »Linken« hin bestätigt, dass mit dem deutschen Staat ein Rücknahme­über­ein­kommen geschlossen wurde, in dem sich das Kosovo verpflichtet, jegliche Personen, und damit auch abgeschobene Roma, wieder aufzunehmen, sobald nachgewiesen ist, dass die Flüchtlinge vormals auf dem Gebiet des heutigen Kosovo gelebt hatten. Von einer medizinischen und sozialen Versorgung und sicheren Wohnverhältnissen ist in dem Abkommen keine Rede.

Indes sind antiziganistische Übergriffe im Kosovo weiterhin an der Tagesordnung. Erst jüngst berichtete die Menschenrechtsorganisation Chachipe von mehreren Misshandlungen in einem traditionellen Romaviertel in Gnjilane im Osten des Kosovo durch albanische Nachbarn. Weder die ansässigen internationalen Organisationen wie die UNMIK oder die OSZE noch die kosovarische Polizei unternähmen genug gegen solche gewalttätigen Übergriffe.
Stephan Dünnwald, der für Pro Asyl in das Kosovo gereist ist, berichtet im Gespräch mit der Jungle World, die Diskriminierung der Roma gehe so weit, dass sie auch keine Arbeit fänden – die Arbeitslosigkeit unter ihnen liege bei annähernd 100 Prozent. »Den meisten bleibt nicht viel anderes, als etwas Subsistenzwirtschaft zu betreiben oder den Müll nach recyclingfähigen Produkten zu durchsuchen«, sagt Dünnwald. Diejenigen, die aus Deutschland oder anderen europäischen Ländern in das Kosovo zurückkehren, können in den seltensten Fällen in ihre alten Häuser zurückkehren, da diese zerstört sind oder der kosovarische Staat die Eigentumsverhältnisse nicht zu ihren Gunsten klärt.
In Mitrovica, im Norden des Kosovo, wurden neben der Abraumhalde einer ehemaligen Bleischmelzanlage zwei Lager für Roma errichtet. Die Belastungen mit Blei, Cadmium und Quecksilber haben ärztlichen Untersuchungen zufolge bereits zu gesundheitlichen Schäden vor allem bei Kindern geführt. Umsiedlungen scheiterten bislang zumeist am Unwillen und der Ignoranz der internationalen Organisationen und der kosovarischen Behörden.
Der deutsche Staat hat mit all dem kein Problem und setzt mit seiner Politik einmal mehr ein Beispiel. Als Vertreter des Innenministeriums entgegen den Forderungen von Flüchtlingsorganisationen und des Europa-Rats im Mai deutlich machten, dass sich Deutschland nicht »das Abschieberecht streitig machen lassen wird«, erklärten auch die Schweiz, Österreich und Schweden, Roma von nun an abzuschieben.
Wenngleich das Rücknahmeübereinkommen mit dem Kosovo noch nicht in Kraft getreten ist, wurden nach Informationen der nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Monika Düker (Grüne) Ende September bereits 32 Menschen, unter ihnen zwölf Angehörige der Roma, von Düsseldorf nach Pristina abgeschoben, eine weitere Sammelabschiebung ist für November vorgesehen. Von jenen, die, wie Familie V., derzeit noch zu einer »freiwilligen Ausreise« aufgefordert werden, werden manche nach Stellung eines Härtefallantrags nach Einschätzung von Thomas Grünewald von der GGUA Münster eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. So wohl auch Familie V. »Aber das wird nicht bei allen Erfolg haben. Insgesamt kann nur eine politische Lösung, also ein genereller Abschiebestopp, helfen«, sagt Grünewald. Ansonsten sind von den etwa 23 000 in Deutschland lebenden Roma aus dem Kosovo knapp 10 000 von der Abschiebung bedroht. Vier Familien aus dem münsterländischen Steinfurt sind bereits untergetaucht.

Viele der Betroffenen sind zugleich Leidtragende der 2007 beschlossenen Bleiberechtsregelung – so auch Familie V. Nach dem Beschluss sollten die damals etwa 200 000 Menschen, die lange Zeit nur mit dem unsicheren Status der Duldung gelebt hatten, ein sicheres Bleiberecht erhalten. Allerdings unter hohen Voraussetzungen: So mussten die Betroffenen seit mindestens acht oder, als Familien, mehr als sechs Jahre in Deutschland gelebt haben. Durch eine kleine Straftat wie den mehrfachen Verstoß gegen die Residenzpflicht kann bereits das Bleiberecht verwirkt werden. Dabei muss die gesamte Familie für die Straftat eines einzelnen Familienmitglieds in Form einer Sippenhaftung büßen – so im Fall einer sechsköpfigen Roma-Familie, ebenfalls aus Münster, die wegen einer Bewährungsstrafe des Vaters beinahe in jenem Flugzeug von Düsseldorf nach Pristina gesessen hätte. Die Abschiebung wurde kurzfristig gestoppt, das Bundesverfassungsgericht wird sich demnächst mit der Sippenhaftung-Bestimmung beschäftigen.
Als Folge dieser restriktiven Regelungen bekamen zunächst nur gut 35 000 der Geduldeten eine Aufenthaltserlaubnis. Den meisten von ihnen wurde sie zudem nur auf Probe erteilt. Das bedeutet, dass ihnen das Bleiberecht am Ende dieses Jahres wieder entzogen werden kann, wenn sie keine Arbeit haben und auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Dann droht die Abschiebung oder die Rückkehr in den perspektivlosen Zustand der »Kettenduldung«.
Angesichts der schwierigen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, vor allem im Niedriglohnsektor, ist zwar sogar aus den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen zu vernehmen, dass über die Bleiberechtsregelung nachgedacht werden soll. Bernd Mesovic von Pro Asyl geht jedoch davon aus, dass mehr als eine Verlängerung der Frist zur Arbeitssuche über dieses Jahr hinaus derzeit nicht zu erwarten sei. »Und das bringt relativ wenig. Denn so wird die Hängepartie nur etwas hinausgeschoben«, sagt Mesovic.