Über die Massenimpfung gegen die Schweinegrippe

Risiko mit Nebenwirkungen?

Weltweit sind in den vergangenen Monaten 2 000 Menschen an der Schweinegrippe gestorben. Für die Erforschung eines neuen Impfstoffs blieb nicht viel Zeit. In Deutschland beginnt man jetzt trotzdem mit der Massenimpfung.

Am 26. Oktober kommt sie endlich, die Spritze, die uns allen das Leben retten soll. Bloß scheinen die Menschen das noch nicht begriffen zu haben.
Einer Forsa-Studie der DAK zufolge können es nur rund 14 Prozent der Befragten kaum abwarten, sich impfen zu lassen. Dem entgegen stehen 29 Prozent, die sich der Spritze auf jeden Fall verweigern wollen. Viele glauben nicht daran, überhaupt an der Grippe zu erkranken, und halten eine Impfung für überflüssig, schließlich ist die Schweinegrippe bis jetzt sehr mild verlaufen.
Das Robert-Koch-Institut warnt jedoch vor einer Verharmlosung der Krankheit. Die Pressesprecherin des Instituts, Susanne Glasmacher, fordert, sich nicht täuschen zu lassen: »Es gibt bei der neuen Grippe eine ganze Reihe von Fällen, die gar nicht mild verlaufen sind, insbesondere in den USA, Kanada und Ländern auf der Südhalbkugel. Auch in Deutschland gab es schon einzelne, schwere Verläufe.«
Der englische Arzt Dr. Richard Halvorsen, der auf Impfungen spezialisiert ist, ist anderer Meinung. »Es gibt keinen Grund, warum sich ein gesunder Mensch einer unzureichend getesteten Impfung unterziehen soll. Denn über die Sicherheit des Impfstoffes wissen wir noch zu wenig.«

Wegen ihres schwachen Immunsystems zählen Kinder, chronisch Kranke und Schwangere zur Risikogruppe. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt vor allem Schwangeren, sich möglichst schnell impfen zu lassen. »Zwar haben Schwangere ein erhöhtes Risiko, an der Schweine­grippe zu erkranken«, räumt Halvorsen ein, »doch das bedeutet auch, dass die Risiken einer Impfung bei ihnen größer sind.«
Alles Quatsch, meint man im Paul-Ehrlich-Institut, das für die Zulassung von Impfstoffen in Deutschland zuständig ist. Forschungen sollen ergeben haben, dass von einer Gefährdung für Schwangere durch die zur Verfügung stehenden Impfstoffe nicht auszugehen sei. Zwar wurde die Impfung schon an gesunden Menschen ausprobiert, bei schwangeren Frauen wurden aus ethischen Gründen jedoch keine Tests durchgeführt.
Der Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber des Arznei-Telegramms, hält diese Situation für skandalös: »Studien mit dem hierzulande produzierten Impfstoff, der bislang einen nicht in handelsüblichen Impfstoffen enthaltenen Wirkverstärker enthält, gelten als ethisch nicht vertretbar. Aber es soll ethisch vertretbar sein, einen bei Schwangeren nicht erprobten Impfstoff zu verimpfen?«

Ärzte wie Becker-Brüser und Halvorsen raten nicht nur ihren Patienten von einer Impfung ab. Viele Mediziner wollen sich auch selbst nicht impfen lassen. In Großbritannien, einem der von der Schweinegrippe am stärksten betroffenen Länder, würden 49 Prozent der Hausärzte eine Impfung ablehnen, wie die britische Zeitung Daily Mail berichtet. Als Hauptgrund nannten die meisten Zweifel an der Sicherheit des Impfstoffes.
Das sei ein ganz normales Phänomen, sagt Glasmacher vom Robert-Koch-Institut. Auch bei der saisonalen Grippewelle sei die Impfquote bei Ärzten »mangelhaft«. Kein Grund zur Sorge also. Wirklich? Es ist schon auffallend, dass Mediziner die Impfung ablehnen, immerhin gehören die Beschäftigten des Gesundheitswesens ebenfalls zur gefährdeten Bevölkerungsgruppe. Ihr Risiko, sich anzustecken und selbst die Pandemie unter den Patienten weiter zu verbreiten, ist berufsbedingt höher. Ist also die Gefahr, an der Schweine­grippe zu sterben, geringer als die, an der Impfung zu sterben? Genaues kann man dazu nicht sagen. Und gerade das gibt Medizinern zu denken.

Impfkritiker erwähnen gern, dass es bereits 1976 in den USA zu einem Ausbruch der Schweine­grippe kam. Damals erhielten über 40 Millionen Menschen einen Impfstoff, der dem heutigen sehr ähnlich gewesen sei. Kurz darauf erkrankten 500 geimpfte Menschen am so genannten Guillain-Barré-Syndrom (GBS). Diese Krankheit greift die Nerven an und lähmt die Lunge oder andere Körperorgane. 25 Menschen starben an dem Syndrom, nur ein einziger starb an der Grippe. Die Impfung wurde nach nur zehn Wochen eingestellt. Die amerikanische Regierung musste Millionenbeträge an Betroffene zahlen.
Ganz auszuschließen ist es nicht, dass sich ein ähnliches Szenario auch heute noch abspielen könnte. Das Paul-Ehrlich-Institut geht jedoch von keinem erhöhten Risiko aus. Auch bei saisonalen Grippeimpfungen bestehe die Gefahr einer Erkrankung mit dem Guillain-Barré-Syndrom. Dies trete jedoch selten auf. Sieben von neun Untersuchungen mit dem saisonalen Influenza-Impfstoff ergaben keinen Zusammenhang zwischen GBS und der Impfung.
Studien mit dem neuen Schweinegrippeimpfstoff gibt es hinsichtlich des Syndroms aber noch nicht. »Vielleicht kann es bei der Schutzimpfung zu einem erhöhten Auftreten von GBS kommen, vielleicht auch nicht. Der Impfstoff wurde noch nicht ausreichend getestet, um darüber eine Aussage zu treffen«, so Halvorsen.
Sorgen machen den Medizinern auch die Adjuvanzien. Das sind Wirkverstärker, die nicht in saisonalen Grippeschutzimpfungen enthalten sind. Weil sie noch nicht in handelsüblichen Impfstoffen eingesetzt wurden, fehlt die Erfahrung mit dem Stoff. Deshalb findet Becker-Brüser eine großangelegte Impfung unverantwortlich. Und er geht noch weiter: »Da hinreichende Erfahrungen mit diesem wirkverstärkenden Schweine­grippeimpfstoff fehlen und gleich 25 Millionen Menschen geimpft werden sollen, erachte ich dies als Massenversuch.« Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Johannes Löwer, behauptet jedoch, dass die Impfstoffe, die in Deutschland zur Verfügung stehen, »auf Wirksamkeit und Verträglichkeit getestet worden« seien. Die Bundeswehr und Bundesbeamte werden allerdings einen Impf­stoff ohne Wirkverstärker erhalten.
Für die Pharmaindustrie rentiert sich die Schweine­grippeimpfung jedenfalls. Bund und Länder haben bereits 50 Millionen Dosen des ­Serums bestellt. Weitere 18 Millionen Dosen sollen dazukommen. Das würde für 30 Millionen Menschen reichen. Die Kosten dafür liegen bei etwa einer Milliarde Euro. Ein ausreichender Gewinn, um die Pharmaindustrie übermütig werden zu lassen und einen Massenversuch zu starten? Ganz so schlimm sei es dann doch nicht, meint Halvorsen. »Ich glaube nicht, dass es der Pharmaindustrie nur ums Geld geht, aber ich denke, dass das Geld einen gewissen Einfluss darauf hat, wie die Krankheit und der Impfstoff in den Medien dargestellt werden.«