Über die Wahlen in Tunesien

Kredit statt Freiheit

Die Wahlen in Tunesien bestätigten den Diktator Ben Ali.

Eine schwache Leistung hat Tunesiens Präsident Zine al-Abidine Ben Ali bei den Präsidentschaftswahlen hingelegt. Zum Antritt seiner fünften Amtszeit erhielt er am Sonntag offiziellen Angaben zufolge nur 89,62 Prozent der Stimmen. Ein schlechtes Ergebnis, wenn man gegen drei handverlesene Kandidaten antritt, von denen jeder den großen Staatsmann Ben Ali lobt. Dass Ben Ali bei dieser »Wahl« erstmals weniger als 90 Prozent der Stimmen zugesprochen wurden, war nach Ansicht der tunesischen Journalistin Sou­hayr Belhassen, derzeit Vorsitzende der Internationalen Menschenrechtsvereinigung FIDH in Brüssel, allerdings dessen eigene Entscheidung. Sie glaubt, dass Ben Ali das Ergebnis etwas demokratischer aussehen lassen wollte.
Im beliebten Urlaubsland Tunesien gehören Folter, politische Verhaftungen und die Zensur von Presse und Internet zum Alltag. Allerdings baut die Diktatur auf keinerlei Ideologie auf, es geht allein um den Machterhalt und die Bereicherung der regierenden Clans.
Ein Großteil der Tunesier hält sich von Politik und staatlicher Sphäre so weit entfernt wie nur möglich und bevorzugt den Konsum. Die Durchschnittslöhne liegen zwar noch 20 Prozent unter denen im relativ armen Marokko. Das tunesische »Wirtschaftswunder« basiert darauf, dass es dem Land durch extrem niedrige Löhne gelungen ist, europäische Firmen wie etwa Automobilzulieferer anzulocken. Dass die Leute dennoch konsumieren können, liegt an den leicht zu erlangenden Krediten. Viele Tunesier sind jedoch gezwungen, mindestens zwei Jobs gleichzeitig auszuüben, um ihre Schulden abzuzahlen.
Der Mangel an politischen oder sozialen Idealen nutzte in jüngster Zeit zunehmend religiösen Agitatoren. Noch in den neunziger Jahren hatte das Regime eine brutale Jagd auf tatsächliche und vermeintliche Islamisten betrieben. Parallel dazu hatte es sich selbst zum »Schutzschirm« für die Frauen, die Intellektuellen und die sich modern fühlenden Angehörigen der Mittelschichten erklärt. Diese neigen dazu, die Repressionspolitik stillschweigend zu akzeptieren, nachdem sie die Erfolge der islamistischen Bewegung En Nahda um 1990 zu spüren bekommen hatten.
Eine Haltung, für die die ehemaligen Linken ebenso wie die »Zivilgesellschaft« einen sehr hohen Preis bezahlt haben. Denn es waren ihre Freiheiten, die vom Regime kassiert wurden. Die Islamisten benötigen keine offene Diskussion, keine kritischen Bildungsinhalte und keinen Pluralismus, um ihre Bestrebungen im Verborgenen blühen und gedeihen zu lassen. Ihre Ideologie hat den Vorzug, an die vermeintliche Evidenz der breit verankerten Glaubensinhalte anzuknüpfen und keiner kontroversen gesellschaftlichen Debatten zu bedürfen.