Bodo Ramelow im Gespräch über Schwarz-Rot in Thüringen

»Das ist doch ein Unterlassungsvertrag«

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD in Thüringen ist am Wochenende von den Parteitagen angenommen worden. Damit steht in Thüringen die schwarz-rote Regierungskoalition. Der SPD-Vorsitzende Christoph Matschie hatte zuvor auch mit der zweitstärksten Fraktion im Landtag, der »Linken«, und mit den Grünen über eine rot-rot-grüne Regierung verhandelt. Bodo Ramelow ist der Vorsitzende der Thüringer »Linken«, war der Kandidat der Partei für das Ministerpräsidentenamt und ihr Verhandlungsführer.
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Die CDU-SPD-Koalition in Thüringen steht. Die SPD hat der CDU einige Zugeständnisse abringen können, oder sehen Sie das anders?

Hätte die SPD mit ihren 18,5 Prozent Anteil eine 50prozentige Dividende bekommen, wäre das ja sogar für einen Hedgefonds abenteuerlich. Das, was die SPD mit der CDU jetzt erreicht hat, hätte sie mit uns schon im Kleingedruckten erledigt, und dann hätten wir anschließend gemeinsam über einen echten Politikwechsel reden können, nämlich über einen Koalitionsvertrag für den Aufbruch. Stattdessen gibt es jetzt einen Koalitionsvertrag, der der SPD vier von acht Ministerposten und damit noch weitere Posten und Pöstchen sichert, der aber eher ein Koalitionsvertrag der Unterlassung ist, ein Unterlassungsvertrag.

Als wir vor gut einem Jahr miteinander sprachen (Jungle World 47/08), waren Sie noch recht zuversichtlich, dass die SPD Sie zum Ministerpräsidenten wählen würde, wenn die »Linke« bei der Wahl mit deutlichem Abstand vor der SPD liegen würde. Bis wann haben Sie daran geglaubt?

Ich habe wirklich nie daran geglaubt, dass die SPD mich zum Ministerpräsidenten in Thüringen wählen würde, jedenfalls nicht im Jahr 2009. Aber ich habe an einen Politikwechsel geglaubt und daran, dass es mit der SPD und später dann auch mit den Grünen gemeinsam möglich wäre, ein Reformprojekt zu starten. In diesem Oktober jährt sich zum 40. Mal die Rede Willy Brandts: »Wir wollen mehr Demokratie wagen.« Und das ist meine Perspektive: Mehr direkte Demokratie, mehr Bürgerbeteiligung, ein Bündnis, das eine Landesregierung aus Reformkräften mit der Bevölkerung schließt, um dieses Land zu verändern. Meine Vernunft hat mir schon gleich nach der Landtagswahl gesagt, dass die SPD-Führung uns nur über die Bundestagswahl täuschen will, mein Gefühl hat mir gesagt: Hoffe bis zum Schluss!

Und wann war Schluss?

An dem letzten Freitag in der Sondierungsrunde, das war der Freitag vor der Bundestagswahl, da haben wir sechseinhalb Stunden wirklich über Politik geredet, das war ein guter Tag. Am Montag nach der Bundestagswahl, bei der die SPD in Thüringen sämtliche Direktmandate verloren hatte und Christoph Matschie im Kern seine größte politische Niederlage hätte reflektieren müssen, hat er sich im Größenwahn zum Königsmacher für die CDU aufgespielt. Da war dann Schluss.

Mehr Demokratie wagen – bedeutet das heutzutage auch, einen Ministerpräsidenten zu wählen, der keiner der regierenden Parteien angehört? Es sollen ja bereits Namen verhandelt worden sein, etwa der des Theologen Ralf-Uwe Beck.

Ralf-Uwe Beck wäre mein Favorit gewesen. Er ist der Vorsitzende der größten Bürgerbewegung, die wir in Thüringen haben, nämlich der Bürgerbewegung für mehr direkte Demokratie. Er hat 15 Jahre lang bewiesen, dass er drei Parteien und viele Organisationen moderieren kann, darunter auch so verschiedene wie den DGB und den Bund der Steuerzahler. Deswegen hatte ich schon vor der Wahl Christoph Matschie unter vier Augen diesen Vorschlag gemacht. Doch das hätte bedeutet, dass wir beide mit ihm hätten reden müssen und wir beide ihn hätten vorschlagen müssen. Dies hat Matschie strikt und brüsk abgelehnt. Er hat gesagt, er kann sich nicht vorstellen, dass jemand gewählt wird, der nicht das SPD-Parteibuch hat.

Nun mag es zwar absurd sein, dass ein Ministerpräsident gewählt werden sollte, der das Parteibuch der nur drittstärksten Partei hat, aber einen zu wählen, der gar kein Parteibuch hat, ist auch seltsam. Ist das nicht sogar demokratisch bedenklich? Der Wähler wählt schließlich Parteien, die mit einem bestimmten Programm angetreten sind, und nachher wird er von einem extrapolitischen Theologen regiert, der nicht einmal ein Landtagsmandat hat.

Ein Großteil der Landesregierung besteht demnächst wahrscheinlich aus Theologen. Die Theologendichte im Stammland der Reformation ist sehr hoch und in der künftigen Regierung noch höher. Aber im Ernst: Ralf-Uwe Beck ist ja nicht extrapolitisch, er verweigert sich nur einer parteipolitischen Verengung. Ein Politikwechsel, der den Namen wirklich verdient, wäre einer hin zu den Menschen, und wer kann das besser repräsentieren als derjenige, der die erfolgreichsten Bürgerbegehren in Thüringen geleitet hat? Er hat es geschafft, die Demokratie selbst zum Thema zu machen, was in einem der neuen Bundesländer ein enorm wichtiger Vorgang ist.

Auch höchst ungewöhnlich war, dass bei den Sondierungsgesprächen die Grünen mit am Tisch saßen, obwohl die für eine Mehrheitsbildung überhaupt nicht notwendig waren. Was haben die denn da gemacht?

Verhandelt, und das ernsthaft. Und zwar deshalb, weil die SPD gesagt hat: Rot-Rot gibt es nur, wenn es Rot-Rot-Grün wird. Ich habe gesagt, es kann Rot-Rot geben, wenn wir eine feste Tolerierungsvereinbarung mit den Grünen schließen, und die Grünen sahen das auch so. Es war die SPD, genauer Christoph Matschie, der die Grünen in die Sondierungsgespräche geholt hat. Ich will es jetzt mal ganz klar und deutlich sagen, was der Grund war: Matschie hat immer neue Stöckchen hingehalten, über die wir springen sollten, in der Hoffnung, dass wir irgendwann »Nein« sagen. Und vor diesem Hintergrund waren die Grünen eingeladen worden, und das wussten sie und haben deshalb – völlig zu Recht – ihre Skepsis formuliert. Es war dann so, dass die Grünen und wir, also die kleinste und die größte Partei in diesem Bündnis, verlangt haben, dass auf gleicher Augenhöhe verhandelt werde. Das fand Matschie aber unzumutbar. Die Sozialdemokraten fühlen sich in Verkennung der Realität so, als wenn sie mit ihren 18,5 Prozent 50 Prozent Thüringens repräsentieren würden, und drum haben sie sich jetzt wenigstens im Kabinett 50 Prozent der Beute, also der Posten, gesichert. Man könnte die Thüringer SPD als Beutegemeinschaft bezeichnen.

Im Unterschied zu Ihnen regiert die SPD jetzt.

Ja, aber zu welchem Preis? Mit einem Koalitionsvertrag, der das Papier nicht wert ist, auf dem er geschrieben ist. Ein Regieren um des Regierens willen! Aufbruch und Demokratie – das hätte eine Beteiligung der Bürger an der Macht bedeuten müssen. Und eine Schulreform, die diesen Namen verdient, hätte bedeuten müssen, dass sie das längst überfällige längere gemeinsame Lernen bringt. Stattdessen hat die SPD jetzt eine Gemeinschaftsschule erfunden und einfach dazugepackt und zementiert so nur die verfehlte Struktur der Thüringer Schulen. Die Schulpolitik zu verändern, hätte kein Geld gekostet, nur politischen Mut. Dasselbe hätte dafür gegolten, die Mitbestimmung in der Verwaltung über die Personalräte zu verbessern. Aber solche Dinge stehen nicht in diesem Stagnationsvertrag von CDU und SPD.

Wie vergiftet ist das Verhältnis zur SPD und zu Herrn Matschie jetzt? Wie konstruktiv oder wie konfrontativ wird Ihre Oppositionsarbeit künftig sein?

Konfrontativ werden wir uns mit den Themen auseinandersetzen, bei denen die SPD ihre Wahlversprechen gebrochen hat. Wir werden die Reden der letzten fünf Jahre von Herrn Matschie und die Anträge, die die SPD in dieser Zeit gestellt hat, genau anschauen und sind gespannt, was nun da­raus wird, zum Beispiel die Kulturraumfinanzierung, das Volksbegehren für eine bessere Familien­politik, die Finanzierung von 2 000 Kita-Stellen. Konstruktiv sind wir dort, wo man mit uns gemeinsam vernünftige Erklärungen oder Deklarationen verabschieden möchte, die den Bürgern helfen, oder auch das Programm gegen Nazis, das haben wir sehr massiv mitgetragen.

Sie selbst sitzen nun nicht mehr im Bundestag. Auf Bundesebene gibt es ja eine andere Konstellation. Dort muss die »Linke« jetzt mit SPD und Grünen gemeinsam Opposition machen.

Es gibt keine Koalition in der Opposition. Wir werden eigenständig unser Profil prägen und da zusammenarbeiten, wo es Sinn macht. Das haben wir in der vorigen Legislaturperiode auch so gemacht und sogar mit der FDP zusammengearbeitet, wenn es um prinzipielle parlamentarische Fragen ging. Obwohl uns mit der FDP so gut wie gar nichts verbunden hat – mit Ausnahme von Bürgerrechten. Bei dem Thema war die FDP oft viel eindeutiger als zum Beispiel die Grünen.

Jetzt wird es auf den Oppositionsbänken aber mehr darum gehen, sich voneinander abzugrenzen.

Drum ist es mir ein besonderes Anliegen, dass jetzt in unserer Partei die Priorität auf die Programmdebatte gelegt wird. Zur Souveränität unserer Partei gehört auch ein souveränes Erarbeiten eines jetzt in der gemeinsamen Partei zu verabschiedenden Parteiprogramms. Bisher haben wir als Programmbasis nur die »Programmatischen Eckpunkte«, die wir vor der Fusion zwischen den zwei Parteien ausverhandelt hatten. Das reicht nicht mehr aus. Jetzt ist der Punkt gekommen, an dem wir in der gemeinsamen Partei sagen, was wir wollen. Drum plädiere ich strikt gegen einen Wettbewerb mit der SPD in der Opposition, sondern dafür, die Eigenbestimmung unserer Partei vorzunehmen.

Welche Rolle wird Oskar Lafontaine dabei spielen?

Eine große! Er ist unser Vorsitzender. Und er ist jemand, der den Mut hatte, was man bei kaum einem älteren Politiker erlebt, von sich aus den Generationswechsel einzuleiten. Er hat gesagt, er geht aus der Spitze der Bundestagsfraktion hinaus, und er schlägt vor, über Kreuz eine Doppelspitze zu bilden, die sich nach Geschlechtern orientiert und die biografische Herkunft berücksichtigt: also ein Ost-Mann und eine West-Frau bzw. eine Ost-Frau und ein West-Mann. Das ist sein Vorschlag, darüber diskutieren wir jetzt.
Und ich begrüße es sehr, dass sich viele dazu öffentlich äußern, denn damit wird ja auch über einen inhaltlichen Punkt geredet, nämlich den, wie wir mit der Geschlechterfrage umgehen wollen. Wenn man zum Schluss kommt, für den Parteivorsitz ist eine Doppelspitze richtig, dann bin ich sehr dafür. Oder man gelangt zu der Meinung, eine Doppelspitze ist unnötig, es kann auch eine einzelne Frau die Vorsitzende sein, und wir konzentrieren uns in Nachfolge unserer jetzigen Vorsitzenden auf eine Frau, dann wäre es mir auch recht. Eine Entscheidung werden wir gemeinsam treffen, und drum freut es mich, dass Oskar Lafontaine diese Debatte nun angeregt hat.