Werbung für einen Naziladen im Südharz

An der Hauptstraße rechts abgebogen

Im Südharz veröffentlichte die Stadt Bad Lauterberg in einer Bürgerbroschüre Werbung für einen Neo­naziladen.

Die Lage von »Zettel am Zeh« ist bestens. An der Hauptstraße des Kurortes Bad Lauterberg, in dem sich das älteste Wasserheilbad Deutschlands befindet, liegt das Tätowierstudio. Seit über zwei Jahren geht dort die Szene der »Nationaldemokratischen Partei Deutschlands« (NPD) und »Freien Kameradschaften« (FK) ein und aus. Hier in der Hauptstraße 175 kommen Kameraden zusammen, schauen Mitläufer vorbei. Sie können sich Tattoos und Piercings stechen lassen, szenetypische Bekleidung anprobieren oder einfach herumhängen. »Wir haben eine feste Szene«, sagt Otto Matzenau­er. Der parteilose Bürgermeister beschönigt die Situation nicht. In der offiziellen Bürgerinformationsbroschüre der niedersächsischen Stadt fand sich bis vor kurzem dennoch eine Anzeige des Szeneladens von Oliver Keudel. Auf Seite 27 der aktuellen Farbbroschüre prangte der Schriftzug: »Tattoo & Piercing, Zettel­AmZeh, Di.–Fr. 15–18 Uhr oder nach Absprache«.
Fand sich? Prangte? Ja, denn am 22. Oktober zog die Stadtverwaltung die Broschüre zurück, mit der sie über die amtlichen Strukturen und das örtliche Vereinsleben informieren wollte. Fast zwei Wochen vorher hatte Matzenauer zwar auch schon gemeint, dass diese Anzeige »mehr als unglücklich« sei, aber die Kosten für eine Neuauflage ohne Werbung für den Neonaziladen noch gescheut. »Neu auflegen, wer soll das denn bezahlen?« sagte er am 8. Oktober.

Im Stadtrat dürfte sich alleine NPD-Ratsherr Michael Hahn über den Werbecoup der Gesinnungskameraden leise gefreut haben. Eine öffentliche Stellungnahme vermied er bisher. Die anderen Ratsmitglieder sollen indes arg entsetzt gewesen sein, die Stadtverwaltung soll eher peinlich berührt gewesen sein. In der Stadt mit rund 13 000 Einwohnern im Südharz hofften die Verantwortlichen jedoch, dass die unerwünschte Werbung keinen allzu großen Wirbel verursachen würde. Nur langsam kam in dem Kurort vereinzelt Kritik auf. »Unglaublich« fand der Rektor der Lutterbergschule, Martin Struck, die Werbung. »Seit Jahren wehren wir uns gegen diesen Laden und versuchen, die Kinder davor zu schützen, und jetzt bekommen sie mit der Broschüre quasi noch eine Empfehlung der Stadt für das Geschäft«, schimpfte Struck, dessen Schule eine der ersten Förderschulen war, aus der eine »Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage« wurde. Fritz Vokuhl, Sprecher der »Arbeitsgemeinschaft für Weltoffenheit und Demokratie im Landkreis Osterrode«, wurde ebenso deutlich: »Mit dieser Anzeige haben die Bemühungen für Demokratievermittlung und gegen Rechtsextremismus Schaden genommen.« Und er fragt sich: »Warum bemühen wir uns eigentlich noch, zum Beispiel im Rahmen des Landesprogramms ›Vielfalt tut gut‹ oder des Präventionsrates der Stadt über dieses Thema aufzuklären?« Der Grund seiner Verbitterung besteht darin: Im Präventionsrat sei über den Laden und den Betreiber informiert worden.

Das Tattoostudio ist auch längst über die lokale Naziszene hinaus bekannt. Und dessen Betreiber nicht minder. Oliver Keudel ist Sänger der Band Agitator, die in der Sszene sehr geschätzt wird. Einer ihrer Hits ist »Das Lied«, in dem Keudel bekennt: »Ich bin mit Leib und Seele Nazi und ich weiß mit Sicherheit: Für mich kann’s nix Schöneres geben, ich bleib Nazi für alle Zeit!«
Die Band tritt gern bei der NPD auf und lieferte für eine der Wahlreklame-CDs der Partei einen etwas moderateren Song. Man will ja Wähler erreichen und keinen Rechtsstreit führen. Nahe Bad Lau­terberg spielte Agitator auch schon im Gasthof »Kutscherstuben«. Bei dem Gig am 8. Juli 2006 im Odertal waren auch Annett und Michael Müller mit von der Partie. 2007 fand bei dem Liedermacherpaar in Bad Lauterberg eine Hausdurchsuchung statt. Die Ermittler hatten den Verdacht, dass das Paar zusammen mit Thorsten Heise, Bundesvorstandsmitglied der NPD, an einer inkriminierten Rechtsrockproduktion beteiligt gewesen sei. Nach Michael Müllers Tod aufgrund einer Krebs­erkrankung im Mai 2009 trauerte die Szene. Mit den Müllers stand Keudel häufiger auf einer Bühne.
»In der Stadt ist das alles bekannt«, sagt Vokuhl. Die Behörden gehen von mindestens 30 Personen aus, die den harten Kern der Szene ausmachen. Für Vokuhl ist die Anzeige nicht nachvollziehbar. »Keudel ist dem Bürgermeister nachweislich ein Begriff, da sein Lied ›Ich bin mit Leib und Seele Nazi‹ im Präventionsrat vorgespielt wurde«, betont er.

Dort im Tal des Südharz scheint aber gerade bei den Zuständigen die Sensibilität für das Erstarken der Neonaziszene gering zu sein. Offen räumt Matzenauer ein, dass in der Stadtverwaltung die Anzeige trotz Überprüfung des Probeabzugs schlicht und einfach übersehen wurde. Fünf Tage soll die Infobroschüre der Verwaltung vorgelegen haben, bevor die Zustimmung zum Druck kam. Mangelnde Aufmerksamkeit darf den Verantwortlichen schon unterstellt werden. Schon bei der Akquise hat niemand aufgepasst. Ausgehend von einer Liste der ortsansässigen Gewerbetreibenden hatte eine beauftragte Agentur die Anzeigen eingeholt, mit denen die Kosten für die Broschüre gedeckt werden sollten. Der Name des Szeneladens auf der Liste weckte keine Bedenken. Das Geschäft, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, scheint als ordentliches Unternehmen in der örtlichen Geschäftswelt hingenommen zu werden. In der Stadt und dem Umland soll auch längst ein Netz von Läden, Gaststätten und stillen Geldgebern bestehen, auf das die Szene sich verlassen kann. Selbst Wolfgang Freter vom niedersächsischen Verfassungsschutz warnt, dass aus diesen Verflechtungen durch ein persönliches Netzwerk ein »Nukleus einer tatsächlichen Landergreifung« werden könnte. So verwundert es kaum, dass Matzenauer anfänglich betonte, die Auflage von 2 000 Exemplaren nicht einfach zurückziehen zu können, da er Schadensersatzforderungen aus der Geschäftswelt befürchte. Vor diesem Hintergrund ist es auch keine Überraschung, dass Michael Hahn mit seinem Engagement in der örtlichen »Bürgerinitiative Müllgebühren Osterode« (BIMO) wenig aneckt. Erst nach der Kritik von Bernhard Reuter, SPD-Landrat des Landkreises Osterode, im September rang sich die BIMO zu einer Stellungnahme durch. »Hahn ist kein Mitglied der Initiative«, erklärte ihr Vorsitzender Marian Bitter. Der frühere CDU-Kreistagspolitiker erläuterte jüngst zudem zu dessen Beteiligung bei Aktionen: »Es würde gegen unser Demokratieverständnis verstoßen, wenn wir ihn ausschließen würden.« Am 14. Oktober saß der NPD-Kader denn auch wohlgelitten in einer Saalveranstaltung der Bürgerinitiative.