Athar Minallah im Gespräch über Pakistan und den Kampf gegen die Taliban

»Pakistan kämpft an zwei Fronten«

Athar Minallah ist Anwalt am Obersten Gerichtshof in Pakistan und engagiert sich in der Anwaltsbewegung für Rechtsstaatlichkei und Demokratie. 2007 war er Sprecher von Iftikhar Muhammad Chaudhry, dem Obersten Richter Pakistans, der vom damaligen Militärregime Pervez Musharrafs abgesetzt wurde.

Pakistan macht unruhige Zeiten durch. Die Armee rückt gegen die Taliban vor, während diese Pakistan landesweit mit Terror überziehen.

Pakistan ist ein bedrängtes Land, es wird an zwei Fronten gekämpft. An der einen Front geht es darum, einen funktionierenden Rechtsstaat zu errichten, an der anderen Front haben wir mit dem Terrorismus zu kämpfen. Aber Pakistan hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren auch eine Menge Veränderungen erlebt. Wir haben jetzt Pressefreiheit. Und vor allem haben die Menschen verinnerlicht, dass die grundlegenden Probleme unseres Landes auf rechtsstaatlichen De­fiziten beruhen.

Wie beurteilen Sie die Entwicklungen in der Nordwestlichen Grenzprovinz und in den Stammesgebieten?

In dieser Region spiegeln sich seit dem Ende der siebziger Jahre die Interessen vieler Staaten wieder – mit den bekannten Folgen. Die dort aufgekommene Kultur der Waffen hat die Kultur dieser Region nachhaltig gestört. Gegen die Auswirkungen dessen kämpfen wir bis heute an.

Es scheint so, als seien diese Gebiete am weitesten von der von Ihnen geforderten Rechtsstaatlichkeit entfernt.

In der Tat sind die dortigen Missstände am deutlichsten sichtbar, was aber nicht heißt, dass die Ursachen nur dort liegen. Die landesweite Schwächung staatlicher Institutionen spielt eine wichtige Rolle. In das so entstehende Vakuum stoßen dann andere Kräfte. Die Taliban und andere Gruppierungen haben nichts mit dem Islam zu tun – nein, es geht um Macht. Aber mit der momentan laufenden Offensive der pakis­tanischen Armee dürfte sich das Kräfteverhältnis in den nächsten Wochen verschieben.

Erscheint in nächster Zeit ein Erfolg absehbar?

Es wird viel Zeit brauchen, die Lage ist komplex. Es sind nicht die Armeeoperationen, welche die Situation verändern werden – es ist die Politik, der die Hauptrolle zukommt. Wenn sie dort Vertrauen wecken kann, werden sich die Menschen gegen diese terroristischen Elemente, bekannt als Taliban, wehren.

Wenn man sich das Handeln der politischen Klasse Pakistans ansieht, wirkt diese aber wenig vertrauenerweckend.

Die Wähler bestimmen die politische Führung, und wir müssen den Willen des Volkes respektieren. In den letzten 62 Jahren wurde der Bevölkerung aber meist der Wille von oben aufgedrückt, was zu der jetzigen chaotischen Situation führte.

Welchen Anteil hat die Anwaltsbewegung im Kampf für eine rechtsstaatliche Demokratie?

Die Wiedereinsetzung der vom Regime geschassten Richter war nur ein erster Schritt. Das Ziel ist die Errichtung eines funktionierenden, demokratischen Rechtsstaats. Jede politische Entscheidung muss offen und frei im Parlament diskutiert werden. Das Parlament muss gestärkt werden. Dass es jetzt ein frei gewähltes Parlament gibt, ist auch ein Ergebnis unserer Arbeit.

Präsident Asif Ali Zardari genießt noch immereine Machtfülle, die so ohne das Handeln Pervez Musharrafs nicht möglich gewesen wäre.

Das Parlament entscheidet über die in der Verfassung festgeschrieben Rechte und Pflichten. Ich hoffe, dass das Parlament die Verfassung wieder zu einer demokratischen Verfassung macht, wie sie es zuletzt im Jahr 1973 war.

Wird es einen Hochverrats-Prozess gegen den im Exil lebenden General Musharraf geben?

In unserer Verfassung steht, dass jeder, der sich über die Verfassung hinwegsetzt, Hochverrat begeht. Musharrafs Handlungen waren nicht vom Parlament gedeckt, das hat auch der Oberste Gerichtshof festgestellt. Aber nach unseren Gesetzen ist es die Regierung, die Hochverratsverfahren initiiert. Dies ist bislang nicht geschehen.

Was wünschen Sie sich hinsichtlich der Wahrnehmung Ihrer Bemühungen im Ausland?

Grundsätzlich würde ich mir ein besseres Verständnis der Situation in Pakistan wünschen. Unsere Bewegung ist eine pluralistische, liberale und moderne Bewegung, die erhebliche Erfolge erreicht hat. Ein funktionierender Rechtsstaat ist das effektivste Instrument für das, was gern als »Krieg gegen den Terror« bezeichnet wird. Die so genannte westliche Welt hat lange Zeit unseren Kampf weitgehend ignoriert. Unsere Bewegung stellte ein Unikum in der islamischen Welt dar, das wurde leider nicht so wahrgenommen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Staaten wie Deutschland fortan mehr daran setzen würden, dass die Werte, die für ihre eigenen Bürger gelten, auch für die Bevölkerung Pakistans gelten sollen.