Sirenen des Systems

Alfred Schobert erzählte mir einmal, Jacques Derrida, sein Lehrer, habe ihm am Telefon berichtet, er werde sich demnächst mit Jürgen Habermas treffen. Die Begegnung habe »Axel honnête« arrangiert.
Die Anekdote fiel mir wieder ein, als ich Axel Honneths Polemik gegen Peter Sloterdijk las. Hier begehrte tatsächlich ein honnête homme, ein redlicher Bürger, gegen das Milieu aus den »Redaktionsstuben der Feuilletons, den Kasinos der Banken, den Architekturbüros und Werbeagenturen« auf, dem der systematische Abriss des Sozialstaats noch längst nicht schnell genug geht. Auch wenn von Mami und Papi alimentierte Bubis dies als reformistisch verurteilen mögen, kann, wer die Opfer dieses Abrisses kennt, den Sozialstaat nur verteidigen. Das ist redlich. Aber Honneths Redlichkeit hat ihre Grenze doch in seiner Bürgerlichkeit selbst, die ihn Sloterdijk nahe legen lässt, er möge »für die politische Gestaltung der Zukunft irgendeine tragfähige Idee« entwickeln. Das ist so, als wollte er von einem Totschläger verlangen, einen Erste-Hilfe-Kasten bereitzuhalten.
Sloterdijk behauptet bloß das, was, noch dumpfer, Thilo Sarrazin in Lettre International behauptet hat: Die »Unproduktiven« lebten »mittelbar auf Kosten der Produktiven«. Es herrsche in Deutschland, man denke, ein »Semi-Sozialismus«. Die »Leistungsträger« – damit meint er Sirenen des Systems wie sich selbst – dürften nicht länger »geplündert« werden. Oder, wie es Karl-Heinz Bohrer formuliert: Solange der »Plebs« mit Steuergeldern am Leben erhalten werde, bringe er via Sozialstaat »mich und viele andere um die Pfründe wohlverdienten finanziellen Zugewinns«.
In Bohrers Polemik findet sich ein wichtiger Hinweis. Er hält nichts von Moral. Weshalb also Leuten von seinem, Sarrazins oder Sloterdijks Schlag mit Moral kommen? Gegen Klassenkampf von oben kann nur Klassenkampf von unten helfen.