Über den Umgang mit dem Holocaust in Rumänien

Spätes Gedenken

Die Mitschuld am Holocaust wird in Rumänien noch immer verdrängt und verleugnet. Jetzt wurde mit der Einweihung eines zentralen Mahnmals in Bukarest ein öffentliches Eingeständnis der Mitverantwortung geleistet.

Seit Anfang Oktober erinnert das Holo­caust-Mahnmal in der Bukarester Innenstadt an die im Faschismus in Rumänien begangenen Verbrechen. Eine Gedächtnishalle soll das Andenken an die 300 000 ermordeten Juden und Roma bewahren helfen. Das Gebäude ist einige Meter ins Erdreich eingelassen – der Besucher steigt beim Betreten in die Vergangenheit hinab. Die Konstruktion besteht aus Beton, im Inneren aus poliertem Granit. Durch die Öffnungen im Dach dringt Tageslicht von außen ein und wirft eine Schraffur aus Licht und Schatten, die mit der Zeit über die Steine wandert – Ausdruck für die Vergänglichkeit.
Entworfen wurde das Mahnmal von dem rumäniendeutschen Bildhauer Peter Jacobi, der sein architektonisches Konzept mit den Worten umriss: »Um es ganz klar zu sagen, die Idee des Grabes, des Massengrabes, soll suggeriert werden.« Für Peter Jacobi ist dieses Mahnmal das Ergebnis von Erfahrungen, die er in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Thema Holocaust gesammelt hat. Das von fünf skulpturalen Objekten und der Gedächtnishalle gebildete Ensemble ist an einem historisch bedeutsamen Platz entstanden. Das Mahnmal wurde vor dem Gebäude des ehemaligen Innenministeriums errichtet, dem Ort, an dem die Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der rumänischen Juden und Roma geplant und in die Tat umgesetzt wurde.
Ohne Zweifel handelt es sich um ein Schuldbekenntnis des rumänischen Staats, der damit seine Beteiligung und Mitverantwortung am Holocaust zugibt. Man liest die Namen der Opfer und Deportationsorte, doch werden das Mahnmal und die Opferzahlen ein Bewusstsein für die Dimension des Verbrechens schaffen? Was fehlt, ist ein Dokumentationszentrum mit den Geschichten der Opfer, wie sie im »Ort der Information« am Berliner Mahnmal erzählt werden. Der jüdisch-rumänische Historiker Andrei Oisteanu macht den Unterschied zwischen beiden Gedenkstätten und Gedenkkulturen deutlich: »Wir sind erst am Anfang, die Geschichte zu akzeptieren. Deutschland hat das unmittelbar nach dem Krieg in den fünfziger, sechziger Jahren gemacht. Ein Mahnmal im heutigen Berlin beginnt damit, einen Prozess abzuschließen, ein Mahnmal im heutigen Bukarest beginnt, einen Prozess anzustoßen.«
Anlässlich der Einweihung des Mahnmals in Bukarest sagte Staatspräsident Traian Basescu, es sei die Pflicht Rumäniens, den Völkermord während des Zweiten Weltkriegs zuzugeben und die Opfer zu ehren. Wovon er nicht sprach, war die aus dem Schuldbekenntnis resultierende Pflicht zur Wiedergutmachung. Fast 60 Jahre lang waren Völkermord, Verfolgung und Enteignungen totgeschwiegen worden. Ähnlich wie in der DDR lehnten die kommunistischen Machthaber in der Zeit nach dem Krieg die Verantwortung des rumänischen Staats für die Verbrechen des Faschismus ab. Der in der Zeit der Anto­nescu-Diktatur in Staatseigentum überführte jüdische Besitz wurde nach 1945 erneut enteignet; damit wurden die Enteignungen legitimiert.
Erst im Jahre 2004 legte eine internationale Historikerkommission eine umfassende Beweissammlung vor. Erst seither wird der Völkermord an Juden und Roma als Thema im Geschichtsunterricht überhaupt behandelt. 2007 wurde eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten vom Staatlichen Institut zum Studium des Holocaust in Rumänien herausgegeben. Der Historiker Andrei Pippidi, Mitglied der Expertenkommission, sieht noch ein weiteres Problem: »Mit Ausnahme der Holocaustüberlebenden selbst kennt die rumänische Bevölkerung die Fakten nicht, und ich würde sogar sagen, der Bevölkerung gefällt es auch nicht, diese Informationen zu hören.«
Wie viel Aufklärungsarbeit in Rumänien noch notwendig ist, zeigt eine im Oktober 2007 veröffentlichte Umfrage des Instituts zum Studium des Holocaust. 65 Prozent der befragten Rumänen gaben an, dass sie vom Holocaust gehört hätten. 27 Prozent sagten, sie hätten davon noch nie gehört, und nur ein Viertel vertrat die Ansicht, Antonescu habe sich des Verbrechens gegen die Juden schuldig gemacht – ein angesichts der tatsächlichen Dimension des Völkermordes in Rumänien bedenkliches Ergebnis.
Das Antonescu-Regime war an der Ermordung von mehr als 280 000 Juden und 11 000 Roma direkt beteiligt und steht damit in der Schreckenshierarchie der am Holocaust beteiligten Staaten an zweiter Stelle – nach Deutschland. Die antisemitischen Gesetze vom August 1940 waren der Auftakt für landesweite antijüdische Maßnahmen, die mit öffentlicher Diskriminierung, Vertreibung aus dem Berufsleben und Enteignungen begannen und in Pogromen sowie Deportationen ihren Höhepunkt fanden.
»Die Verwandten in Iasi wurden ermordet, nur eine Großtante überlebte«, erzählt die Nachfahrin einer jüdischen Familie aus Timisoara und bittet darum, dass ihr Name nicht erwähnt wird. Ein Teil der Familie fiel den Pogromen in Iasi Ende Juni 1941 zum Opfer. An den von rumänischen Polizisten, Soldaten, Paramilitärs und Zivilisten begangenen Massakern waren auch Einheiten der deutschen Wehrmacht beteiligt. Mehr als 13 000 Juden wurden ermordet, von den 127 Synagogen der Stadt blieb nur eine einzige erhalten. Die Pogrome von Iasi waren der Beginn des von Marschall Ion Antonescu erdachten Plans zur »ethnischen Säuberung« des rumänischen Territoriums.
Zwischen Sommer und Herbst 1941 fanden zahlreiche weitere Massaker in Bessarabien, der Bukowina sowie in dem von rumänischen und deutschen Truppen besetzten Odessa statt. Bis Ende 1942 wurde die jüdische Bevölkerung aus der Bukowina, Bessarabien und vereinzelt auch aus anderen Teilen Rumäniens nach Transnis­trien deportiert. Viele starben in den Lagern an den Folgen von Unterernährung, Unterkühlung und Typhus.
»Mein Großvater verlor als Folge der antisemitischen Gesetze seine Stellung als Fabrikdirektor in Timisoara.« Die Enkelin erzählt, wie die wertvolle Immobilie im Bukarester Stadtzentrum, ein Mehrfamilienhaus, und die Anteile ihres Großvaters an der Fabrik vom rumänischen Staat enteignet wurden. »Mein Vater und sein älterer Bruder mussten Zwangsarbeit leisten und waren von Juli 1941 bis Ende Juli 1944 in verschiedenen Arbeitslagern inhaftiert.« Diese Erzählung ist ein Beispiel für das Schicksal vieler Juden im so genannten Altrumänien. Nicht vergessen werden darf das Schicksal der Juden in dem ab 1940 zu Ungarn gehörenden Nordsiebenbürgen, das im März 1944 von deutschen Truppen besetzt wurde. In Folge dessen wurden rund 135 000 Juden aus Siebenbürgen nach Auschwitz verschleppt und ermordet.
Bis vor wenigen Jahren wurde der rumänischen Öffentlichkeit ein Mythos der nationalen Unschuld vermittelt. Parlament, Regierung und Medien vertraten den Standpunkt, Rumänien habe sich am Holocaust nicht beteiligt. Besonders beliebt war die These, Antonescu habe die Juden vor der Ermordung bewahrt. Dies machte es den staatlichen Autoritäten leicht, Ansprüche auf Wiedergutmachung entweder zurückzuweisen oder die Gerichtsverfahren zu verschleppen.
Der 2008 von Felicia Waldman und Mihai Chioveanu, Wissenschaftler der Universität Bukarest, veröffentlichte Beitrag »Public Perceptions of the Holocaust in Post-Communist Europe« dokumentiert die zögerliche Restitutionspolitik des rumänischen Staats. Erst im August 1999 wurde das Wiedergutmachungsgesetz für die Opfer des Kommunismus aus dem Jahre 1990 um den Personenkreis der Opfer des Faschismus ergänzt. Ein 2002 verabschiedetes Gesetz ermöglichte der Vereinigung der Juden in Rumänien (FEDROM), die 1 809 von den Kommunisten beschlagnahmten Gemeindeimmobilien zurückzufordern, ohne Berücksichtigung der in der Zeit des Faschismus enteigneten 1 042 Immobilien. Bis heute fand in nur 50 Fällen eine Rückübertragung statt. Die Zahl der Immobilien, die sich in jüdischem Privatbesitz befanden, lässt sich nur erahnen. Sie dürfte um ein Vielfaches höher gewesen sein.
Die letzten Nachkommen des Fabrikdirektors aus Timisoara führen seit mehr als zehn Jahren einen Prozess um die Rückgabe der enteigneten Immobilie. »Dass es sich dabei um ein besonders wertvolles Objekt handelt, von dem sich der Staat, in diesem Fall die Stadt Bukarest, nicht trennen möchte, macht die ganze Sache natürlich nicht einfacher«, erzählt eine Verwandte aus Bukarest, die ihren Namen ebenfalls nicht nennen möchte. Eine 2008 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg eingelegte Beschwerde offenbarte die hohe Zahl der seit den neunziger Jahren verschleppten Rückgabeverfahren. »Gegen die Korruption und Willkürpraxis im rumänischen Justizapparat hat der einzelne Kläger keine Chance. Ich weiß von vielen Betroffenen, die bereits aufgegeben haben«, so die Frau aus Bukarest. »Es ist an der Zeit, dass dies zu einem Thema im Europäischen Parlament wird.«
Noch ist nicht abzuschätzen, wie viele Rückgabeverfahren in Zukunft auf den rumänischen Staat zukommen werden. Eines machen diese Erfahrungen jedoch deutlich – dass Rumänien bei der Aufarbeitung der Verbrechen seiner Vergangenheit noch lange nicht in Europa angekommen ist. Daran ändert auch der Bau eines Mahnmals wenig. Dem Eingeständnis von Schuld müssen nun Taten folgen.