Über die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom

Und es geht doch!

Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom erhält für ihre Forschungen zur Nutzung gemeinschaftlichen Eigentums den Wirtschaftsnobelpreis.

In der Geschichte der Klassenkämpfe war die Allmende, auch Commons genannt, lange Zeit eines der umkämpftesten Terrains. Die Forderung nach freier Aneignung und Nutzung von Gemeingütern, nach öffentlichem Weidegrund, freiem Wegerecht, uneingeschränktem Holzschlag oder Fischfang ist vor allem im Mittelalter und im Absolutismus immer Teil der Forderungen der Bauern und Grundlage häretischer Bewegungen gewesen, von den Katharern bis zum christlichen Kommunisten Fra Dolcino. Die Faszination, die von der Legende Robin Hoods bis zu ihrer endgültigen Zerstörung durch Kevin Costner ausging, ist beispielsweise ohne den Hintergrund der Verteidigung des Gewohnheitsrechts des freien Waldes gegen die königliche »Privatisierung« – das in der Magna Charta schließlich sogar verbrieft wurde – kaum zu verstehen. Auch von den Zwölf Artikeln der Aufständischen des Deutschen Bauernkriegs beschäftigten sich immerhin vier mit der Forderung nach Aufrechterhaltung bzw. Ausdehnung der Allmenden.
Der Kapitalismus ist auch ein Produkt der endgültigen Entscheidung des Kampfes um die Allmende. Hinter dem englischen Sprichwort, dass »die Schafe die Menschen fressen«, stand die Erfahrung der Einhegung fast des gesamten Weidegrunds und der daraus folgenden Verarmung und langfristigen Proletarisierung der Bevölkerung. Wenn große Insurrektionen nach Art des Bauernkriegs auch ausblieben, so fand die private Aneignung öffentlicher und nicht verarbeiteter Güter in der Frühphase des Kapitalismus offensichtlich allgemein nur geringe Akzeptanz. Allein für das Jahr 1850 verzeichnete die preußische Kriminalstatistik 265 000 Fälle von Holzdiebstahl. Aber dieses Problem haben die bürgerlichen Staaten durch Repression, vor allem aber dank der Eigentumsmoral über die Jahrzehnte überwunden.
Die letzte Phase der Privatisierung der Allmenden seit Mitte der siebzier Jahre, gerne auch als Zeitalter des Neoliberalismus bezeichnet, wurde 1968 von einer programmatischen Schrift des Biologen Garrett Hardin mit dem Titel »The Tragedy of Commons« vorbereitet. Gemeinschaftseigentum war für ihn aufgrund des »Egoismus aller Teilnehmer« von vornherein zum Untergang verurteilt. Seine Argumentation, ergänzt durch die Entdeckung bzw. Erfindung des »egoistischen Gens« durch den Evolutionsbiologen Richard Dawkins, stellte die Munition für hunderte Studien und Aufsätze der neoklassischen Ökonomie und vor allem der wirtschaftsliberalen »Chicago Boys« dar. Die Privatisierung nicht nur des Bodens, sondern auch von Wissen, Saatgut und anderen Commons nahm dabei immer totalere und absurdere Formen an, wie zuletzt vor allem der Fall des Biotechnologie-Unternehmens Monsanto gezeigt hat.
Mitte Oktober jedoch gab das Nobelpreiskomitee in Stockholm bekannt, dass der diesjährige Wirtschaftsnobelpreis an die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom geht. (Sie teilt sich die Auszeichnung mit Oliver E. Williamson, der für seine Forschung zur Entstehung von Unternehmen und deren Agieren auf den Märkten geehrt wird.) In ihrem Hauptwerk, auf Deutsch unter dem Titel »Die Verfassung der Allmende« erschienen, konnte sie anhand von Feldstudien über Fischgründe in der Türkei, Almen im Wallis, Weidegründe in der Mongolei und Wasserquellen in Nepal herausarbeiten, »dass gemeinwirtschaftliche Nutzung natürlicher Ressourcen teilweise nachhaltiger gelingen kann, als dies durch privates oder öffentliches Eigentum geschieht«. Der Wirtschaftsnobelpreis stellt, wie auch der Friedensnobelpreis, eine Art politische Manifestation des Zeitgeistes dar – man denke an die Vergabe an den Neokeynesianer Paul Krugman im vorigen Jahr, der seit Jahrzehnten kaum noch an der Forschung beteiligt war. Daher kann die Ehrung Ostroms als symbolische Kehrtwendung zumindest eines Teils der globalen Elite in Sachen Verwaltung endlicher Ressourcen verstanden werden.
So verwundert es auch kaum, dass plötzlich die Gratulanten Schlange standen. Vor allem aber bei den Kritikern des »Neoliberalismus« stellte sich naturgemäß Genugtuung ein. »Elinor Ostrom hat in ihrem wissenschaftlichen Werk den Nachweis erbracht«, so die offizielle Stellungnahme von Attac, »dass Gemeinschafts­besitz sehr gut und nachhaltig bewirtschaftet werden kann. Voraussetzung ist die gemeinsame demokratische Kontrolle über das öffent­liche Gut. Die ausgerufene ›Tragik der Allmende‹ wurde von ihr als neoliberale Legende widerlegt.« Dabei stört offensichtlich auch nicht, dass Ostrom selbst ihre Ergebnisse sehr viel vorsichtiger formuliert hat. In einem Beitrag in dem von der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebenen Band »Wem gehört die Welt? Zur Entdeckung der Gemeingüter« schreibt sie: »Dennoch hat die Forschung kein Allheilmittel für die komplexen Probleme gefunden, die damit einhergehen. Fehlschläge gibt es bei allen Rechtsregimen: bei Gemeineigentum ebenso wie bei Privateigentum oder öffentlichem Eigentum.«
Genossenschaftliches Wirtschaften, und um nichts anderes handelt es sich hier, ist im Gegensatz zu den anarchistischen Ideen etwa eines Peter Kropotkin für Ostrom lediglich als Ergänzung anderer Eigentumsformen und in Konkurrenz zu ihnen denkbar.
Von »gemeinsamer politischer Kontrolle über das öffentliche Gut« ist bei ihr schon gar nicht die Rede. Die neuzeitliche Unterscheidung zwischen Gemeineigentum und öffentlichem Eigentum, sinnvoll erst seit der Trennung ökonomischer und politischer Macht durch den bürgerlichen Staat, ist sogar die Grundbedingung ihrer Forschung. Denn während traditionellerweise die Allmende gerade keinen Ausschluss beinhaltet – wer sonst als die ansässigen Bauern sollte die Bergwiese nutzen wollen? –, ist das Gemeineigentum exklusiv. Eigentum eben.
So skizziert Ostrom in dem schon genannten Beitrag auch selbst das ökologische Dilemma. »Die Übernutzung einer wertvollen (endlichen) Ressource ist jedoch zweifellos vorprogrammiert, wenn die Ressource allen jederzeit offen steht und die Nutzung in keiner Weise reguliert ist.« Die Überfischung der Weltmeere als international gemeinschaftlich genutztem Gut hätte eine andere Position auch von vornherein ad absurdum geführt. So gelingt der Nachweis der »Nachhaltigkeit« des Genossenschaftswesens auch nur in Fällen regional abgeschotteter Problembereiche und Communities wie der Wasserversorgung in Nepal oder den Weidegründen der Mongolei, die zudem mit geringer Kapitalintensität zu bewirtschaften sein müssen. Die relevanteren Teile der Weltwirtschaft will Elinor Ostrom eher reguliert als gemeinschaftlich bewirtschaftet sehen.
Das muss man ihr nicht zum Vorwurf machen. Nie hat sie behauptet, einen Schlüssel zur Lösung der ökologischen Katas­trophe oder gar eine neuen Produktionsweise gefunden zu haben. Und zumindest in einem Punkt präzisiert sie die Erfahrungen, die schon der preußische Agrarforscher Franz Christoph zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts gemacht hatte: »Äußerste Armut ist in Ländern mit Gemeingut weniger bekannt.« Das Verdienst Ostroms liegt so vor allem darin, den dümmlichsten und nicht zuletzt in ihrer Anwendung grausamsten Thesen der Anthropologie nach kapitalistischem Maß widersprochen zu haben. Dass sich auch auf ihren Rat hin Genossenschaften bilden, die nicht nur das Armutsrisiko ihrer Mitglieder senken, sondern auch andere Verkehrsformen beinhalten, wäre nicht das schlechteste Ergebnis ihrer neu gewonnenen Popularität.