über die Pädophilie-Vorwürfe gegen den französischen Kulturminister

Unterm Strich

Vor Jahren verfasste Frédéric Mitterrand ein autobiografisch angehauchtes Buch über schwulen Sextourismus auf Thailand. Nun muss der amtierende französische Kulturminister sich gegen den Verdacht wehren, pädophil zu sein.

Das Sexualleben des schwulen Kulturministers war das beherrschende Thema der franzö­sischen Innenpolitik und Feuilletons in den vergangenen 14 Tagen. Man erfuhr Einzelheiten über die Vorlieben des Ministers, die man so genau gar nicht hatte wissen wollen, aber Frédéric Mitterrand, Francois Mitterrands Neffe, der seit Anfang des Jahres 2009 Kulturminister ist, sah sich gezwungen, genaue Auskünfte über seinen Thailandurlaub zu geben, nachdem eine Kampagne gegen ihn begonnen hat.
Die von der extremen Rechten auf breiter Front geführte Kampagne gegen den Minister vermengt dabei so unterschiedliche Aspekte wie Homosexualität, Sextourismus, Pädophilie und Vergewaltigung miteinander.
Ursprünglich war Marine Le Pen, Tochter des Front-Gründers Jean-Marie Le Pen, am späten Abend des 5. Oktober in eine Sendung eingeladen, um über schwere sexuelle Gewalt und den Umgang mit Sextätern zu diskutieren – Anlass war der Mord an einer Joggerin durch einen verurteilten psychopathischen Sexualstraftäter, der sich auf Freigang aus der Haftanstalt befand. In der Sendung grub die rechtsextreme Nachwuchspolitikerin jedoch ein vier Jahre ­altes Zitat aus einem zum Teil autobiografischen Buch des damaligen Kulturfunktionärs Frédéric Mitterrand aus.
Der bekennende Homosexuelle stellte in diesen Passagen dar, dass er schwulen Sex in Thailand hatte. Das Buch erschien im Jahr 2005 unter dem Titel »La Mauvaise vie« (Das schlechte Leben) und wurde über 200 000 Mal verkauft. Bis dahin hatte niemand an den fraglichen Passagen, die einen Bericht über homosexuelle Kontakte in Thailand literarisch verpackten, Anstoß genommen. In diesem Teil des Buches schildert Frédéric Mitterrand zudem vor einem eher tragischen persönlichen Hintergrund, wie er seine gesamte Jugend und ersten Erwachsenenjahre hindurch mit der Ablehnung seiner Homosexualität durch seine Umgebung konfrontiert wurde und wie er einen regelrechten Selbsthass entwickelt habe. Dies sei der Beweggrund, warum er den Schutz der Entfernung und der Anonymität in Thailand, wo niemand ihn kenne, gesucht habe.
Die Vorwürfe von Marine Le Pen brachten ihn nun jedoch in die Defensive. Mitterrand hat inzwischen eingeräumt, dass die Sache mit dem schwulen Sex in Thailand auf ihn zutrifft und dass er in manchen Fällen auch dafür bezahlt habe – was er im Nachhinein als schweren Fehler bezeichnet; er bestreitet aber äußerst energisch, dass es sich dabei um Minderjährige gehandelt habe, deren Missbrauch er als Verbrechen bezeichnete. Zwar heißt es im Buch an einer Stelle: »All diese Rituale des Marktes für schöne Knaben, des Sklavenmarktes, erregen mich gewaltig. Die verschwenderische Fülle sofort verfügbarer Jungs versetzt mich in einen Zustand der Begierde, den ich nicht mehr zurückhalten oder kaschieren muss«, allerdings beteuert der 62jährige Minister, dass er nur mit Volljährigen Sex gehabt habe, z.B. mit einem 40jährigen Boxer.
Die extreme Rechte führt nun eine lautstarke Kampagne für seinen Rücktritt und tut dabei so, als sei Mitterrand nicht nur homosexuell, sondern auch ein überführter Pädophiler – wofür es jedoch keine Beweise gibt – und Vergewaltiger oder jedenfalls Rechtfertiger von Ver­gewaltigern. Schließlich habe sich Mitterrand auch schon solidarisch mit Vergewaltigern gezeigt. Bereits im September wurde er kritisiert, als er den in Zürich verhafteten Filmemacher Roman Polanski verteidigte, der die französische und die polnische Staatsbürgerschaft besitzt. Polanski wird vorgeworfen, im Jahr 1977 in Kalifornien eine 13jährige unter Drogen gesetzt zu haben, um Analverkehr mit ihr zu haben, in den sie nicht eingewilligt hatte. Mitterrand verteidigte ihn – nicht seine Tat an sich, sondern Polanski als »wichtige Kulturgröße« und in seinen Augen epochalen Cinéasten, den man nicht mit einer »alten Geschichte« behelligen solle.
Ähnlich argumentierten auch andere französische Politiker und Prominente, die in erster Linie einen prominenten eingebürgerten Franzosen in Schutz genommen sehen wollten. Sie kritisierten den Fanatismus des zuständigen US-Richters, der die Strafsache gegen Polanski seit 32 Jahren mit unglaublichem Eifer verfolgt; er hatte den jüngst in Zürich vollstreckten Haftbefehl bei Interpol erwirkt. Viele Unterstützer von Roman Polanski meinten schließlich, dass es auch ein Recht auf Verjährung geben müsse.
Hingegen nutzte die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen den Anlass sehr schnell, um Law & Order-Propaganda zu verbreiten: Die Regierung, die Kulturschickeria, die »Bobos« – eine Abkürzung für bourgeois-bohèmes, die französische Bezeichnung für linksliberale Yuppies – seien Komplizen eines Verbrechers und zeigten dadurch einmal mehr ihr wahres Gesicht. Gleichzeitig spielte für andere Teile der extremen Rechten ohne Zweifel auch eine Rolle, dass Polanski jüdischer Abstammung ist. Umgekehrt verwies Alain Finkielkraut darauf, dass Polanskis Familie in Polen dem Holocaust zum Opfer gefallen sei, um Kritik an ihm als illegitim zurückzuweisen. Gleichzeitig erblickte Finkielkraut in den Vorwürfen gegen den Filmemacher, ebenso wie in den später gegen den Kulturminister erhobenen, eine populistische Kampagne gegen die Kultureliten – gegenüber der man sich notwendig auf die Seite der Letztgenannten und gegen den Volkszorn zu stellen habe.
Im Mittelpunkt der rechten Agitation steht dabei die Figur des »Perversen«, der als von Natur aus bösartig und triebgesteuert bezeichnet wird. Auf rechtsradikalen Demonstrationen gegen den Minister macht sich eine regelrechte Vernichtungswut Luft. Am 10. Oktober besuchte Mitterrand Bordeaux, wo unter dem schmutzigen Motto »Mitterrand, fass’ unsere Kinder nicht an« die rechtsextreme Gruppe Bloc identitaire gegen ihn demonstrierte. Doch der Forderung nach einem Rücktritt des Ministers schloss sich wiederum, aus als populistisch zu bezeichnenden Gründen, auch ein Teil der französischen Sozialdemokraten an.
Zu denen, die seinen Rücktritt lautstark forderten, zählte zunächst auch der zum eher linken Flügel zählende Parteisprecher Benoît Hamon. Er erklärte, aus »sowohl sozialen wie moralischen Gründen« – unter erstgenannte fasst er die Ablehnung von Sextourismus und der Ausbeutung von Abhängigen – müsse der Minister zurücktreten. Dass auch die extreme Rechte diese Forderung erhebe, verhindere diese Positionierung nicht, vielmehr dürfe man der Rechten »nicht das Terrain überlassen«. Am 9. Oktober zog er die Forderung dann jedoch wieder zurück, da der Minister erläutert habe, dass es in keinem Fall um Sex mit Minderjährigen gegangen sei.
Unterdessen war aus anderen Teilen der zurzeit heillos zerstrittenen und konfusen franzö­sischen Sozialdemokratie bereits heftiger Widerspruch erklungen. So warf beispielsweise der Europa-Parlamentarier Harlem Désir (früher Sprecher von SOS Racisme) seinem Parteifreund die Beteiligung an »einer populistischen Kampagne« von ganz rechts vor.
Vergleichbare Positionen bezog auch der Grüne Daniel Cohn-Bendit, während Benoît Hamons anfängliche Position Applaus von der äußersten Parteirechten in Gestalt des populistischen Bürgermeisters von Evry und Law & Order-Politikers, Manuel Valls (»Es gibt Regeln«), erhielt. Auch der Philosoph Bernard-Henri Lévy meldete sich unterdessen zu Wort und warf einigen PS-Politikern vor, eine rechtsextreme Kampagne zu bedienen und sich an sie anzuhängen.
Die Debatte klingt nun allmählich in den französischen Medien ab, doch wird sie noch weitere Auswirkungen haben. In Brüssel, wo die Justiz sich eine »universelle Zuständigkeit« bei Menschenrechtsverletzungen zuerkennt, wurde eine Strafanzeige gegen den Pariser Minister wegen »Propagierung des Missbrauchs in Thailand« erstattet. Auch eine französische rechtsextreme Polizeigewerkschaft hat eine Strafanzeige gegen Mitterrand angekündigt – der inzwischen seinerseits seinen Verfolgern mit Klagen droht.