Die kubanische Regierung muss sparen

Castro bittet zur Kasse

Die kubanische Regierung will Subventionen streichen. Die erwarteten großen Reformen hingegen blieben bislang aus.

Alle Jahre wieder stimmt die UN-Vollversammlung ab und alle Jahre wieder wird das US-Wirtschaftsembargo gegen Kuba verurteilt. Nun zum 18. Mal in Folge, am Mittwoch der vergangenen Woche stimmten 187 der 192 Mitgliedsstaaten für eine Resolution zur Aufhebung der seit 47 Jahren währenden »Blockade«, wie sie in Kuba genannt wird. Sie wird für die schwierige wirtschaftliche Situation verantwortlich gemacht, dem kubanischen Außenministerium zufolge belaufen sich die direkten wirtschaftlichen Folgekosten auf insgesamt rund 96 Milliarden US-Dollar.
Das ist eine immense Summe für die Karibikinsel, und eine Veränderung ist vorerst nicht in Sicht, denn Zugeständnisse der US-Regierung sind nicht zu erwarten. Das hat Präsident Barack Obama den Kubanern über den spanischen Au­ßen­minister Miguel Ángel Moratinos, der kürzlich die Insel besuchte, ausrichten lassen. Reformen erwartet Obama von Raúl Castro, doch auf die warten die Kubaner schon seit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch den jüngeren der beiden Castro-Brüder im Juli 2006. Mehr ökonomischen Pragmatismus hatten sich viele Kubaner von Raúl versprochen und auf höhere Löhne, mehr ökonomische Freiheit und effizientere Struk­turen gehofft.
Doch die großen Reformen sind ausgeblieben, stattdessen hat sich der Staatschef daran gemacht, nach und nach die Subventionen zu kürzen. So sind die Urlaubszuschüsse für die Lohnabhängigen abgeschafft worden, und auch das unentgeltliche Mittagessen, das ihnen seit Beginn der sechziger Jahre gewährt wird, steht auf der Streichliste. »Niemand, weder eine Einzelperson noch ein Land, kann auf Dauer mehr ausgeben, als er einnimmt«, mahnt Castro.

Sparen heißt die Devise, und daran führt angesichts der prekären finanziellen Situation kein Weg vorbei. Knapp, überaus knapp sind Devisen, und der Geldmangel der Regierung hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschärft. Jeder Centavo musste und muss zweimal und öfter umgedreht werden, weil die Insel sich weder von den enormen Schäden der drei Hurrikane, die voriges Jahr über die Insel fegten, erholt hat noch auf die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise auch nur ansatzweise vorbereitet war. »Der Preisverfall beim Nickel hat uns hart getroffen, aber auch beim Tourismus gab es einen Dämpfer«, sagte der kubanische Sozialwissenschaftler Omar Everleny Pérez. Die Wachstumsprognosen mussten mehrfach nach unten korrigiert werden. Gespart werden soll nun bei den Subventionen.
Comedores heißen die rund 25 000 staatlichen Kantinen in Kuba. Hier treffen sich die Lohnabhängigen zum Mittagessen auf Staatskosten. Die kostenlose warme Mahlzeit gehörte über Jahr­zehnte genauso zur Revolution wie Parteibuch und Che-Wandmalerei. Doch der revolutionäre Ser­vice kostet die Regierung jährlich 350 Millionen US-Dollar, und das will oder kann man sich nicht mehr leisten. Zunächst wurden nur vier Kantinen, allesamt in Ministerien gelegen, geschlossen. Als Ausgleich erhalten die Bediensteten einige kubanische Pesos ausbezahlt, um sich selbst zu versorgen.
Die Gründe für die geplante Abschaffung des kostenlosen Mittagessens sind vielfältig. So meldet das Parteiblatt Granma, die Zustände in den comedores seien skandalös, und viele Kubaner sei­en mit der Qualität von Essen und Service alles andere als zufrieden. Das bestätigte auch die Spre­cherin der kommunistischen Partei, Leticia Martínez. Und Marino Murillo, Planungs- und Wirt­schaftminister, monierte die Desorganisation des gesamten Sektors, der ohnehin von Schwund und Misswirtschaft geprägt sei. Finanzielle Erleich­terungen ließen sich, so ergänzte Staatschef Raúl Castro, nur dann aufrechterhalten, wenn mehr pro­duziert werde und die Staatseinnahmen stiegen.

»Die Situation ist ausgesprochen kompliziert, denn wir haben es mit einem enormen Handelsbilanzdefizit und mit einer extrem niedrigen Produktivität zu tun. 2008 belief sich unser Handelsbilanzdefizit auf mehr als zehn Milliarden US-Dollar, und wir bekamen Zahlungsbilanzpro­bleme«, erklärt Omar Everleny Pérez. Kuba erhielt Finanzhilfen aus China und Russland, doch zwischenzeitlich war selbst das Angebot in den Devisenläden der Regierung ausgesprochen knapp. »De facto müssen wir produktiver arbeiten, nur dann haben wir die Chance, auch mehr zu verteilen. Solange wir das nicht schaffen, geraten wir immer wieder in eine finanzielle Schieflage«, sagt Pérez.
Langsam, aber sicher scheint die Regierung von Raúl Castro die 11,2 Millionen Kubaner nun auf härtere Zeiten vorbereiten zu wollen. Jeder Einzel­ne müsse dazu beitragen, Lösungen für die Probleme des Landes zu finden, lautet der Tenor in der staatlichen Presse. Eine klare Forderung, denn auch »Bruderstaaten« wie Venezuela, die eng mit Kuba im Rahmen der Alba, der bolivarianischen Allianz für Amerika, kooperieren, haben ökonomische Probleme und müssen mit den eigenen Mitteln haushalten. Folglich versucht die kubanische Regierung, die Werktätigen in die Pflicht zu nehmen und Subventionen abzubauen.

Dabei könnte auch die liebgewonnene Rationierungskarte, die libreta, auf der Strecke bleiben. »Viele Kubaner sind doch kaum mehr auf die libreta angewiesen, weil sie Devisen aus dem Ausland erhalten, im Devisensektor des Landes arbei­ten oder über andere Einnahmequellen verfügen«, sagt Pérez. Er wirbt seit längerem für neue und effektivere Fördersysteme anstelle der allgemeinen Subventionen. Nur sind derartige Systeme bisher noch nicht entwickelt worden. Sie sind jedoch notwendig, um Panik und soziale Härten zu vermeiden.
Wissenschaftlichen Studien zufolge geben die Kubaner durchschnittlich 60 bis 70 Prozent ihrer Einnahmen für Lebensmittel aus, sodass abrupte Änderungen für viele kaum bezahlbar wären. Das weiß auch die Regierung, allerdings ist das En­de der libreta politisch schon längst beschlossen worden. Bereits 2005 haben sich die Castro-Brüder darauf verständigt, so ist es in der von Ignacio Ramonet aufgezeichneten Autobiographie Fidel Castros zu lesen. Nur auf den richtigen Moment haben sich die beiden Brüder noch nicht geeinigt.
Für Everleny Pérez wäre der Kongress der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), der ursprünglich in diesen Tagen stattfinden sollte, der richtige Zeitpunkt gewesen, um die Maßnahme und neue Sicherungssysteme zu debattieren. Doch der Parteitag wurde abgesagt, und so wird die libreta den Kubanern noch ein Weilchen erhalten bleiben. Die Tage des unentgeltlichen Mittagsmahls scheinen hingegen gezählt.