Nazi-Überfall bei einem Fußballspiel in Brandis

Nazis gegen Roter Stern

Der Überfall beim Spiel der Fußball-Beszirksliga in Brandis kam für niemanden überraschend – nur für die Polizei.

Nur zwei Minuten lang war es eine Bezirksliga-Begegnung wie jede andere auch, dann aber wurde aus dem Fußballspiel zwischen den Kickern des FSV Brandis und des Roten Sterns Leipzig eine Horror-Veranstaltung. Zwei Minuten nach dem Anpfiff, so berichtete ein Augenzeuge Stunden später, »stürmten 50 vermummte Nazis mit Eisenstangen, Pyros und allerlei anderen Utensilien den Platz«.
Das Ziel der Angreifer waren die Fans und Spieler von Roter Stern – der 1999 gegründete Verein ist bei Rechtsradikalen besonders verhasst. Das Engagement des Clubs gegen Rassismus und Diskriminierung hatte in der Vergangenheit schon öfter zu Naziangriffen während Spielen geführt, der offenbar gut organisierte Überfall zu Beginn des Gastspiels beim FSV Brandis ging jedoch weit über das hinaus, was Fans und Aktive bis dato erlebt hatten.
Rund zehn Minuten lang habe die folgende »Konfrontation zwischen Stern-Fans und Nazis« gedauert, berichtete der Augenzeuge dem Nachrichtenportal Sportswire.de, »die von den vier anwesenden Verkehrspolizisten natürlich in keinster Weise aufgelöst werden konnte«. Nach »heftigen Szenen« sei es dann jedoch gelungen, die Nazis »vom Sportgelände zurückzuschlagen. Fazit: drei (teils schwer) verletzte Sterne-Fans«.
Der am schwersten Verletzte erlitt, wie man mittlerweile weiß, einen Jochbeinbruch; ob es den behandelnden Ärzten gelingen wird, sein Augenlicht zu retten, ist eine Woche nach dem Angriff noch unklar.
Kurz nach dem Überfall auf Indymedia veröffentlichte Fotos und Videos zeigen unter anderem das Waffenarsenal der Angreifer, die mit Latten und Eisenstangen auf die Fans einprügelten.
Dass sich ausgerechnet im Örtchen Brandis mit seinen knapp 9 500 Einwohnern einer der brutalsten Nazi-Angriffe der an Nazi-Angriffen nicht eben armen Geschichte des ostdeutschen Fußballs ereignete, überrascht Einheimische nicht. Die Kleinstadt liegt nur 15 Kilometer von Wurzen entfernt, das in den neunziger Jahren als erste »national befreite Zone« galt. Im Jahr 2005 schrieb die Zeit in einer Reportage über das Leben alternativer Jugendlicher in Wurzen, die versuchen, dem rechten Alltagsterror etwas entgegenzusetzen. Sie beschrieben ein Gefühl ständiger Bedrohung; beispielsweise sei es eine Erleichterung, wenn sich andere Passanten abends auf der Straße als ältere Leute entpuppten, denn »Gruppen von Jugendlichen könnten Schläger sein«.
Dass ein Club, der sich als »kulturpolitisches Sportprojekt im Spannungsfeld zwischen normalen Fußballvereinen und linksradikaler Politik« versteht, in einer solchen Gegend als Hassobjekt gilt, hätte normalerweise zu erhöhten Sicherheitsmaßnahmen führen müssen. Hinzu kommt, »dass schon im Vorfeld Gerüchte über einen Nazi-Angriff auf uns kursierten«, wie der Augenzeuge erklärte. Michael Sommer, Vizepräsident des FSV Brandis, bestätigte dies in einem Interview mit dem MDR: »Das war ja angekündigt worden. Wir haben es der Polizei mitgeteilt, wurden aber allein gelassen.« Es habe vor der Begegnung sogar Gespräche zwischen Verein und Polizei gegeben, eine Aufstockung der Sicherheitskräfte sei jedoch abgelehnt worden. Die Ereignisse während des Spiels bezeichnete Sommer als »absehbar«.
Auch der Augenzeuge meinte, dass die Polizei von diesen Gerüchten Kenntnis gehabt habe, aber »aus Personalmangel keine Leute bereitstellen« wollte. »Erst eine halbe Stunde nach dem Überfall traf eine Hundertschaft in Brandis ein.« Zeit genug für die Angreifer, sich in aller Seelenruhe wieder zurückzuziehen, wobei sie jedoch, offenkundig heimlich, mit einem Handy gefilmt wurden.
Das bei Youtube eingestellte Video zeigt, so ergaben später Analysen von Indymedia-Nutzern, einige bekannte Nazis aus Wurzen und Umgebung. Als Reporter von Spiegel-TV einige der mutmaßlichen Täter im Laufe der Woche mit den Aufnahmen konfrontierte, äußerten sich die Männer übrigens bemerkenswert kleinlaut. Ermöglicht wurde der Überfall möglicherweise mit Hilfe eines FSV-Ordners. Der Augenzeuge sagte, nicht nur er habe kurz vor Spielbeginn »beobachten können, dass einer der Ordner des Heimvereins den Nazis den Zugang zum Sportgelände ermöglichte, kurz vor den Auseinandersetzungen die Ordnerbinde abnahm und während der Schlägerei auf Seiten der Nazis mitmischte«.
Und in einem Bericht der Leipziger Volkszeitung heißt es, dass die politische Gesinnung des fraglichen Mannes im Verein zwar bekannt gewesen sei, man jedoch geglaubt habe, er sei resozialisierbar.
Andererseits schrieb die Volkszeitung wenig später, dass FSV-Sprecher Gert Große die Nazis ins Stadion gelassen habe: »Die sollten draußen nicht die Autos demolieren. Wir dachten, wir könnten so Zeit gewinnen, bis die Polizei da ist. Das war im Nachhinein ein Fehler.«
Im gleichen Bericht wird auch die Polizei kritisiert, ein Bild zeigt die wenigen Beamten an Ort und Stelle teilnahmslos dastehend und teilweise gelangweilt in eine andere Richtung schauend, während einige Meter entfernt mit Schlagwerkzeugen bewaffnete Nazis auf Fans und Spieler von Roter Stern losgehen. »Untätige Beamte«, heißt es dazu in dem Artikel. Die Reaktion des Polizeichefs Bernd Merbitz auf diese Vorwürfe schildert die Leipziger Volkszeitung so: »›Hui‹, stöhnte Merbitz, ›da müssen wir drüber sprechen. Was machen die Beamten da?‹«
Während die Polizei nun ermittelt und vermutlich intern auch »drüber spricht«, waren die Opfer des Überfalls damit beschäftigt, die beängstigenden und schockierenden Erlebnisse zu verarbeiten.
Wie nahe der Mannschaft das Erlebte gegangen sein muss, zeigt eine Erklärung, aus der hervorgeht, dass man zumindest kurz mit dem Gedanken spielte, einfach aufzuhören. Dort heißt es: »Die Ereignisse vom letzten Wochenende sind für uns immer noch kaum fassbar. Obwohl wir Sonntag, wie jedes Wochenende, wieder auf dem Platz stehen werden, um Fußball zu spielen, kann von Normalität keine Rede sein. Zu schockiert sind wir über die menschenverachtende Weise, in der unser letztes Spiel überfallen wurde, und zu betroffen über die Opfer dieses brutalen neonazistischen Angriffs.«
Man wolle nun nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, schreiben die Spieler, »die im Gespräch gereifte Entscheidung weiterzumachen, gründet sich in der Dringlichkeit, auf faschistische Tendenzen im Fußball und überall sonst hinzuweisen, und ist Ausdruck für unsere Entschlossenheit, solche Verhältnisse nicht hinnehmen zu wollen«. Dabei sei man sich bewusst, »dass das Problem faschistischer Übergriffe nicht nur uns betrifft, sondern in vielen Orten Sachsens und anderswo Menschen Opfer von Rassismus und anderer Diskriminierungen werden«. Antifaschismus sei daher »eine Notwendigkeit«.