Die »Verbesserungen« der Hartz-IV-Gesetze

Vergiftete Geschenke

Die schwarz-gelbe Regierung möchte für mehr »Gerechtigkeit« bei den Hartz-IV-Gesetzen sorgen. Allerdings betreffen die »Verbesserungen« nur einen verschwindend geringen Anteil der Hartz-IV-Empfänger.

»Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen!« – so heißt es in einem 1922 entstandenen Lied, das zum Inflationshit wurde. Das Lied spiegelte vor allem die Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg. Nach 1945 schien diese Angst zunächst der Vergangenheit anzugehören – sie wurde über 50 Jahre gedämpft durch die Systeme zur sozialen Absicherung. Bei Arbeitslosigkeit half das Arbeitslosengeld und im Anschluss die Sozialhilfe. So lange, bis die sozialen Sicherungssysteme »nicht mehr zeitgemäß erschienen« und zu teuer wurden.

Nach dem Skandal um geschönte Vermittlungsstatistiken des Arbeitsamts machte sich die rot-grüne Bundesregierung daran, die Arbeitsmarktpolitik radikal zu »modernisieren«. Mit der Agenda 2010 brachten SPD und Grüne eine Reihe von Gesetzen (Hartz I–IV) auf den Weg. Von den ersten drei hört man fast nichts mehr – das vierte hat auch maßgeblich zu den Wahlerfolgen der »Linken« beigetragen. Die als »Hartz IV« bezeichnete und erfolgte Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialhilfe zu einer Grundsicherung, dem Arbeitslosengeld II, konfrontiert auch sieben Jahre nach der Einführung jede Regierung mit einer Debatte um soziale Gerechtigkeit. Die SPD führt ihre schlechten Wahlergebnisse auf ihre Mitverantwortung für die Einführung der Agenda 2010 zurück – doch ändern möchte sie daran wenig.
Im September bezogen knapp 6,7 Millionen Menschen in Deutschland Leistungen aus Hartz IV, darunter knapp 1,7 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Etwa jeder zehnte Bezieher von Hartz IV arbeitet zwar, kann seinen Lebensunterhalt jedoch nicht mit der Arbeit allein bestreiten. Ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger hat Anrecht auf eine monatliche Pauschale von 359 Euro, Sozialverbände bemängeln, dass diese Pauschale nur für ein Leben in Armut reiche. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält einen Regelsatz von 440 Euro für erforderlich.
Auf höchster Ebene befasst sich nun das Bundesverfassungsgericht mit den Hartz-IV-Sätzen. Ein Urteil wird frühestens 2010 erwartet.

Doch bis dahin erhalten die Hartz-IV-Empfänger Unterstützung von ungewohnter Seite. Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung, deren gelbe Fraktion angetreten ist mit der Forderung nach Abschaffung des Kündigungsschutzes und dem Ruf nach wirtschaftlicher Liberalisierung, schickt sich an, das Los derjenigen, die auf Hartz IV angewiesen sind, zu erleichtern. Das Schonvermögen zur Altersvorsorge, das Hilfebezieher nicht antasten müssen, wird von 250 auf 750 Euro pro Lebensjahr erhöht. So kann ein 40jähriger Bezieher der staatlichen Unterstützung bis zu seiner Rente knapp 20 000 Euro anstatt 6 700 Euro für seine Altersvorsorge zurücklegen, ohne dass diese Summe mit den Hartz-IV-Bezügen verrechnet würde. Darüber hinaus soll die Hinzuverdienstregelung »deutlich« verbessert werden, konkrete Zahlen werden nicht genannt. Bisher dürfen monatlich 100 Euro ohne Abzüge vom Regelsatz hinzuverdient werden. Bei darüber hinaus gehender Beschäftigung werden 80 Prozent des Verdienstes einbehalten. Gerade mit diesem Passus führte die Reform den Wunsch nach mehr Beschäftigung ad absurdum. Wer arbeitet schon gerne fast ausschließlich für den Staat?
Eine weitere Neuregelung ist für das Wohn­eigentum geplant, es soll künftig bei der Antragstellung und Berechnung von Hartz IV gänzlich außen vor gelassen werden. Nach eigenem Bekunden möchte die neue Regierung so der Alters­armut vorbeugen. Es können jedoch nur wenige der Menschen, die langfristig auf Hartz IV angewiesen sind, überhaupt Rücklagen in ihrem Leben bilden, geschweige denn eine eigene Wohnung oder gar ein Haus erwerben. Der durch die Wirtschaftskrise von Arbeitslosigkeit bedrohte leitende Angestellte von Arcandor oder Quelle mag sich freuen, dass sein bisheriger Besitz nicht ganz so arg angetastet wird und er sein von Oma geerbtes Häuschen behalten darf, dem Gros der Empfänger bringen die Änderungen wenig. Das Internetportal »Gegen Hartz« kommentiert die geplanten Änderungen lapidar: »Für momentan Hartz-IV-Betroffene spielt in der Regel diese Neuregelung keine Rolle, da es ALG-II-Empfängern nicht möglich ist, Geld für die Altersvorsorge anzusparen. Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes lag das durchschnittliche Bruttogeldvermögen aller Bundesbürger bei 40 000 Euro – mit Aktien, Renten und pro Haushalt. Nur die wenigsten Hartz-IV-Bezieher dürften über eine solche Altersvorsorge-Summe verfügen.« Der DGB teilt diese Kritik. »Von einer Änderung des Schonvermögens profitiert nur eine kleine Minderheit der Hartz-IV-Antragsteller. Die Allermeisten verfügen nicht über die entsprechenden Rücklagen«, sagt Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Nach Schätzungen haben die geplanten Änderungen Auswirkungen auf gerade einmal 0,5 Prozent der Betroffenen.

Wo »Anreize« geschaffen werden, dürfen Drohungen nicht fehlen. Die schwarz-gelbe Regierung fordert in ihrem Koalitionsvertrag ein »wirksames Controlling« der Leistungen und ein hohes Maß an »Ermessensspielraum« für die Sachbearbeiter. Was die »Bürgerarbeit« für Hartz-IV-Empfänger bedeuten könnte, bleibt vage, doch entstehen sofort Assoziationen zu den Ein-Euro-Jobs und anderen Ideen, die Arbeitskraft der Hartz-IV-Bezieher gewinnbringend zu nutzen und den Schlendrian der Dauerarbeitslosigkeit zu beenden. Um die Trennung von kommunaler Beratung und der Bundesagentur für Arbeit kommt die Regierung nach einem Verfassungsurteil nicht herum. Doch drohen durch die Trennung, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, den Antragstellern deutlich weitere Wege.
Und neben den großzügigen Geschenken hat die Koalition natürlich auch über mögliche Einsparungen nachgedacht. Die neue Bundesregierung möchte vom bisherigen Modell der Bezahlung von Energie- und Nebenkosten sowie der Kosten für die Unterkunft abrücken. Es wird über die »Pauschalierung« von Leistungen nachgedacht. So sollen »Anreize für einen sparsamen Energieverbrauch« geschaffen werden. Direkt übersetzt bedeutet »Pauschalierung« demnach wohl »Sparmaßnahme«.
Bleibt die Frage, warum sich gerade die schwarz-gelbe Koalition überhaupt an »Verbesserungen« bei den Hartz-IV-Gesetzen macht. Und das gleich zu Beginn ihrer Regierungszeit. Ronald Pofalla zufolge schließt sich eine fundamentale »Gerechtigkeitslücke«. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt begründete die Änderungen bei Hartz IV damit, dass man Arbeitslosen einen Anreiz bieten wolle, schneller wieder eine reguläre Arbeit aufzunehmen. Hintergrund könnte aber auch der für das kommende Jahr prognostizierte Anstieg der Arbeitslosenzahlen sein. Und dann droht nicht nur den traditionell links wählenden Schichten der Abstieg, sondern auch dem Klientel der FDP.