Der Prozess gegen den Mörder von Marwa al-Sherbini in Dresden

Vollstrecker des Rassismus

Der Dresdner Prozess gegen den Mörder von Marwa al-Sherbini erregt Aufmerksamkeit vor allem in der muslimischen Welt.

Bereits der Auftakt des Prozesses um den Mord an Marwa al-Sherbini machte deutlich, dass das zuständige Dresdner Landgericht unter besonderer Beobachtung steht. Im Zuschauerraum hatten sich am Montag vergangener Woche unter anderem der ägyptische Botschafter in Deutschland, der Präsident der von Sympathisanten der Muslimbruderschaft dominierten ägyptischen Rechtsanwaltskammer und der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland eingefunden. Der arabische Fernsehsender al-Jazeera war an Ort und Stelle, mehrere ägyptische Journalisten hatten sich akkreditieren lassen, und auch aus dem Iran waren Beobachter erschienen. Sie alle verfolgten mit besonderem Interesse, wie die deutsche Justiz mit dem Fall des 28jährigen Alex W. verfährt, der die drei Jahre ältere ägyptische Pharmazeutin Marwa al-Sherbini, die ebenso wie er in der sächsischen Hauptstadt lebte, vor knapp vier Monaten mit 16 Messerstichen getötet hatte – im selben Gerichtsgebäude, in dem nun die Verhandlung stattfindet.
Die Vorgeschichte reicht länger als ein Jahr zurück. Alex W. hatte al-Sherbini im August 2008 als »Schlampe«, »Islamistin« und »Terroristin« beschimpft, als sie ihn auf einem Dresdner Spielplatz gebeten hatte, eine Schaukel für ihr Kind freizugeben. Das Amtsgericht Dresden verurteilte W. deshalb zu einer Geldbuße, gegen die er Widerspruch einlegte. Es kam zur Hauptverhandlung, bei der W. seine Verbalinjurien nicht nur zugab, sondern sogar noch ergänzte. »Solche Leute« könne man gar nicht beleidigen, weil sie »keine rich­tigen Menschen« seien, fand er. Die daraufhin verdoppelte Geldstrafe genügte der Staatsanwaltschaft nicht; sie wollte eine Freiheitsstrafe für den Angeklagten erwirken und ging in Berufung. Der Berufungsprozess fand am 1. Juli vor dem Landgericht statt.

Dort gab Alex W. weitere Einblicke in sein Weltbild. Er finde es falsch, dass Ausländer in Deutschland leben dürften, sagte er dem Richter. Man müsse Menschen nach ihrer »Rasse« unterscheiden, und für ihn gebe es nur die europäische »Rasse« und nicht-europäische »Rassen«. Er habe die NPD gewählt und bedaure, dass sie nicht an der Regierung sei. Nachdem Marwa al-Sherbini als Zeugin ausgesagt hatte und den Gerichtssaal anschließend verlassen wollte, eskalierte der Prozess zum tödlichen Drama. Alex W. stürzte sich auf sie und stach mit einem Messer 16mal auf sie ein. Vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes verblutete al-Sherbini noch am Tatort. Ihren Ehemann Elwi Ali O., der seiner Frau zu Hilfe geeilt war, verletzte W. mit weiteren 16 Stichen in den Unterkiefer, den Hals, die Brust und den Bauch lebensgefährlich. Zudem wurde O. von einem aus dem Nachbarraum herbeigeeilten Polizisten, der ihn für den Angreifer hielt, in den Oberschenkel geschossen. Ob gegen den Beamten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, ist derzeit noch offen.
Der Mord löste vor allem in der muslimischen Welt ein vernehmliches Echo aus. Ägyptische Zeitungen erklärten al-Sherbini zur »Märtyrerin im Hijab« und beklagten eine wachsende »Islamophobie« in Europa; in Kairo und Teheran gab es Protestkundgebungen vor der jeweiligen deutschen Botschaft. Teilnehmer einer Demonstration in Istanbul machten deutlich, welche Kräfte sie hinter der Tat vermuteten, indem sie eine deutsche Fahne zeigten, auf die ein Hakenkreuz und ein Davidstern gemalt worden waren. In ihrer Herkunftsstadt Alexandria wurde die Ermordete als »Märtyrerin« in einem »Ehrengrab« beigesetzt; mehrere tausend Menschen forderten den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak in Sprechchören auf, die Beziehungen zu Deutschland abzubrechen. Zudem gab es Rufe wie »O Deutschland, ägyptisches Blut ist nicht billig« und »Es gibt keinen Gott außer Gott – nieder mit Deutschland«. Zwei Konzerte, die die Dresdner Staatskapelle zum Gedenken an al-Sherbini in Kairo und Alexandria geben wollte, wurden vom ägyptischen Kulturministerium vorläufig abgesagt.

Der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad nannte die Tat »vorprogrammiert« und forderte von den Vereinten Nationen eine Sanktionierung Deutschlands. Axel Ayyub Köhler, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, behauptete, eine »wachsende Islamfeindschaft« – die sich vor allem gegen jene »Schwestern« richte, die wie al-Sherbini ein Kopftuch tragen – habe den Boden für den Mord bereitet. Dieser Einschätzung des zum Islam konvertierten Köhler schlossen sich unter anderem die Taz, das Neue Deutschland und die Junge Welt sowie das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung an.
Die Vorsitzende Richterin der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Dresden, Birgit Wiegand, steht nun vor einer schwierigen Aufgabe. Gleich beim Prozessauftakt im streng bewachten Gerichtsgebäude sah sie sich dem Antrag eines Anwalts von Alex W. gegenüber, der die Befangenheit des Gerichts feststellen lassen wollte, weil der Tatort das Dresdner Landgericht und die Tatzeugen Richterkollegen seien. Ein anderer Verteidiger bat allen Ernstes darum, zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass der Islam »nicht gerade ein Bild der Barmherzigkeit« biete. Eine Reporterin des ägyptischen Staatsfernsehens wiederum sagte in der ARD-Nachrichtensendung Tagesthemen, ein möglicher lebenslänglicher Freiheitsentzug für Alex W. sei unzureichend: »Dieser Mann hat zwei Menschen getötet, nicht nur einen Menschen, denn die Frau war schwanger. Ich glaube, diese Strafe ist nicht genug.« Und dann ist da noch der Angeklagte selbst, der jegliche Kooperation mit dem Gericht verweigert, sich gegen seine Vorführung mit Händen und Füßen wehrt und lieber eine Geldstrafe in Kauf nimmt, als seine Vermummung abzulegen. Mehrere Gerichtszeugen beschrieben ihn als einsamen Außenseiter, der zu unkontrollierten Aggressionen neige und bereits früher Mitschüler mit einem Messer bedroht habe.

Es ist nicht auszuschließen, dass der Gerichtspsychiater in seinem Gutachten zu dem Schluss kommt, dass die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund eines psychischen Defekts erheblich eingeschränkt ist. Doch selbst wenn Alex W. für voll schuldfähig befunden und verurteilt werden sollte: Ihn als Vollstrecker einer angeblich grassierenden »Islamophobie« zu betrachten, geht an der Sache vorbei. Marwa al-Sherbinis Mörder ist vielmehr ein ordinärer Rassist, ein Neonazi, der ausweislich seiner Einlassungen vor Gericht einen ausgeprägten Hass auf jeden pflegt, den er nicht zur »europäischen Rasse« zählt. Dazu gehören in seinem kruden Weltbild auch – aber nicht ausschließlich – Muslime. Mit dieser Einstellung ist er vor allem im Osten der Republik mit seinen »national befreiten Zonen« bei weitem nicht alleine. Dass nun aber insbesondere seine Tat auf solche Aufmerksamkeit stößt – national wie international –, liegt vor allem daran, dass die Ermordete eine gläubige Muslima war und nicht eine säkulare Migrantin aus Ägypten oder gar eine Asylbewerberin aus Vietnam. Denn wenn diese hierzulande von Rassisten abgestochen werden, rührt sich nachweislich kaum eine Hand – weder in den deutschen Medien noch in Kairo oder Teheran.