Proteste gegen die Baupolitik der Regierung in Spanien

Bauen gegen die Krise

Trotz der Immobilienkrise wird in Spanien derzeit in Infrastrukturprojekte investiert. Mit den ökologischen und sozialen Konsequenzen verschiedener Bauprojekte beschäftigen sich soziale Bewegungen. Eine Bestandsaufnahme aus dem südlichen Granada.

Spaziergänge durch Granada und Umgebung haben derzeit etwas von Baustellenbesichtigungen. Plätze und Häuser werden saniert, Straßen erneuert. Eine neue U-Bahn und ganze Viertel befinden sich im Bau. Angesichts der Immobilienkrise erst einmal ein seltsames Bild. Aufschlussreich sind da die Schilder, die auf die öffentliche Finanzierung der meisten Projekte hinweisen. Im Sinne einer antizyklischen Konjunkturpolitik sind die Investitionen in Infrastruktur und Wohnraum in den vergangenen zwei Jahren intensiviert worden. Das Geld kommt sowohl aus dem »Plan E«, dem nationalen Sofortprogramm der Regierung zur Milderung der Auswirkungen der Krise, als auch aus den Haushalten der Provinzregierungen. So ist der Anteil der Ausgaben für Bauprojekte in der Provinz Granada in dem kürzlich verabschiedeten Haushalt für 2010 so hoch wie nie, während die Mittel für Umwelt und Kultur gekürzt werden.
Eines der größten dieser Bauvorhaben in Granada ist die so genannte Ronda Este. Sie soll den Autobahnring um die Stadt schließen und durch den vierspurigen Ausbau einer Zubringerstraße ergänzt werden. Derzeit werden die Details des Bauvorhabens ausgearbeitet, wobei die Streckenführung durch die Vorgebirge der Sierra Nevada ex­trem aufwendig ist und enorme Erdbewegungen nötig macht. Der Bau des Abschnitts würde, so argumentiert die Provinzregierung, Arbeitsplätze schaffen, die Umgebung besser an die Stadt anschließen, zur Vermeidung von Staus beitragen und letztlich die Lebensqualität verbessern.

Das allerdings sehen nicht alle so. Umweltschutzgruppen und die Linksautonomen von der »Asamblea contra el cierre de la circunvalación« (Versammlung gegen die Schließung des Autobahnrings) versuchen seit mehreren Jahren, die sozi­alen und ökologischen Konsequenzen des Projekts aufzuzeigen. Der Autobahnausbau würde, so argumentieren sie, wichtige und großteils unter Naturschutz stehende Naherholungsgebiete zerstören. Auch würden große Teile des bisher ländlich geprägten Osten Granadas ins Stadtgebiet eingegliedert und die umliegenden Dörfer zu reinen Schlafstädten degradiert. Die Asamblea betont, dass es nicht nur um die Autobahn gehe, sondern ebenso um die mit ihr einhergehende Ausbreitung der Stadt und Zersiedelung der Landschaft. Bereits der Bau des ersten Teils des Autobahnrings hätte die Errichtung einer ganzen Reihe von neuen Wohn- und Industrievierteln nach sich gezogen. Mit der Ronda Este würde dieser Prozess weiter vorangetrieben und ein auf Individualverkehr und Funktionstrennung beruhendes Stadtmodell zementiert. Dies zerstöre nicht nur die Natur, sondern auch die soziale Struktur in den Dörfern und der Stadt.
Dass die Expansion der Stadt den Widerstand vieler Linker hervorruft, ist nicht ohne den Boom der spanischen Bauwirtschaft der vergangenen zwei Jahrzehnte zu verstehen. Dieser hat die eher ländliche Struktur des Landes völlig verändert. Neben einer enormen Ausweitung städtischer Großräume durch langgestreckte Einfamilienhaus­siedlungen und der fast vollständigen Bebauung der Mittelmeerküste hat ein massiver Ausbau der Infrastruktur stattgefunden. Spanien ist mittlerweile das EU-Land mit den meisten Autobahnkilometern pro Einwohner, und in der Provinz Granada sind 40 Prozent der Gebäude weniger als 20 Jahre alt. Die pittoreske Innenstadt mit ihren 200 000 Einwohnern ist, abgesehen vom Osten, inzwischen von einem Gürtel aus Einfamilienhäusern umgeben, in denen knapp 300 000 Menschen leben.
Seit den achtziger Jahren haben sowohl sozialdemokratische als auch konservative Regierungen die Spekulation auf steigende Immobilien- und Grundstückspreise gezielt gefördert. Gemeinde­eigentum wurde privatisiert, billiges Ackerland zu teurem Bauland umdeklariert, die Baugesetzgebung liberalisiert und der Kauf von Wohneigentum durch finanzielle Anreize gefördert. Gleichzeitig wurden die Rechte von Mietern eingeschränkt. Der Infrastrukturausbau wurde mit privaten und öffentlichen Geldern vorangetrieben, nicht zuletzt mit Transferzahlungen der EU an »strukturschwache« Regionen.

Die gegenwärtige Politik der sozialdemokratischen Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero erscheint nun als der Versuch, den krisenbedingten Ausfall privater Investitionen durch öffentliche Gelder zu kompensieren. Auch wenn sie von einer notwendigen Neuorientierung hin zu mehr Industrieproduktion und neuen Technologien spricht, schreibt die Regierung so die zentrale Rolle des Bausektors in der spanischen Wirtschaft fest. Die reale Nachfrage nach Wohnraum und Infrastruktur spielt dabei eine untergeordnete Rolle. War bis zur Krise die so genannte Spekulationsblase die treibende Kraft, ist es heute die Angst vor dem völligen Zusammenbruch der Wirtschaft und des beschäftigungsreichen Bausektors. So bestehe, wie Javier Egea von der Umweltgruppe Ecologístas en Acción hervorhebt, auch für die Ronda Este kein realer Bedarf. Die Zahlen, die zur Rechtfertigung des Projekts angeführt werden, seien, gemessen an den offiziellen Statistiken zum Verkehrsaufkommen, weit übertrieben.
Die Asamblea stellt eine Kritik am kapitalistischen Entwicklungsparadigma und an dessen Konsequenzen für die Raumordnung in den Mittelpunkt. Dazu kommt die Bereitschaft, in Bündnissen auch mit institutionalisierten Kräften zusammenzuarbeiten. Wichtige Bezugspunkte sind hier vor allem Bewegungen aus dem Baskenland wie der international bekannt gewordene Widerstand gegen den inzwischen abgeschlosse Bau des Itoiz-Staudamms oder die derzeitigen Proteste gegen den TAV, einen Schnellzug, der das Baskenland durchqueren soll. Diese werden von einer starken sozialen Basis getragen, nicht zuletzt aufgrund der Protestaufrufe baskischer linksnationalistischer Gruppen.
Im Vergleich dazu ist die Bewegung gegen die Ronda Este bisher relativ klein. Getragen wird sie vor allem von der Asamblea, Umweltschützern und linken Akademikern. Immer wieder müssen sie allerdings feststellen, dass die Ronda Este in den betroffenen Dörfern keineswegs auf allgemeine Ablehnung stößt. Wie ein Mitglied der Asam­blea im Gespräch resümiert, wiegen das Bedürfnis nach einem Ausbau des Individualverkehrs, der Wunsch nach »Fortschritt« sowie die Hoffnung auf Arbeit bisher bei vielen schwerer als die langfristigen sozialen und ökologischen Konsequenzen des Bauvorhabens.