Über die Proteste in Hamburg gegen die Sanierung des Gängeviertels

»Der Senat missbraucht Künstler und Kreative«

In Hamburg lässt sich beobachten, was passiert, wenn die Sanierung alternativer Viertel abgeschlossen ist. Plötzlich unterstützten die Befürworter der Gentrifizierung die Gegner. Von Springer über die CDU bis zur Subkultur, alle lieben das Gängeviertel.

Da stehen sie. Die modernen Hochhäuser aus Stahl, Beton und Glas; viel Glas. Es gibt gut ausgeleuchtete Indoor-Gärten, in denen immergrüne Bäume ein Ambiente erzeugen, das die gestressten Top­verdiener kurz verschnaufen lässt. So sieht es aus, in Hamburgs Innenstadt zwischen Binnenalster und Axel-Springer-Platz. Doch irgendetwas passt nicht in die Glaspalast-Skyline. Nur einen kurzen, schmalen, gepflasterten Weg entfernt liegt das Gängeviertel. Heruntergekommene, ver­schimmelte Häuser aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stehen hier, bepinselt, bunt beschmiert und besprüht – Street Art vom Feinsten. Zehn der zwölf Bauten gehörten der stadteigenen Woh­nungsgenossenschaft Saga. Die Genossenschaft ließ die historischen, denkmalgeschützten Gebäude einfach vergammeln. Eine Plane am Dach schützte die Fassade notdürftig vor Feuchtigkeit. Seit August haben insgesamt 200 Leute das Areal zu Atelier- und Wohnräumen umfunktioniert. Das Motto der Besetzung lautet: Komm in die Gänge. Das Kollektiv wehrt sich damit gegen die Pläne des niederländischen Investors Hanzevast, der die Wohnungen von der Stadt vor zwei Jahren gekauft hat und seinem Nutzungskonzept zufolge 80 Prozent davon abreißen will.
Doch die Sympathien liegen nicht beim Sanierer. Ob Welt, Hamburger Abendblatt oder Bild – man steht auf der Seite der Besetzer. Da werden Überschriften getextet wie »Hier ist alles so schön verrucht«. Punkbands kommen plötzlich zu Wort und dürfen im Abendblatt über das Ausster­ben der Off-Szene in St.Pauli, Altona und im Schanzenviertel klagen. Bild echauffiert sich über den Investor aus den Niederlanden. Verkehrte Welt. »Irgendwie stört mich schon, dass die Initiative keine Feinde hat«, sagt einer der Besetzer ein wenig entrüstet. Er hat sich gerade eine lebhafte Sitzung der Hamburger Bürgerschaft angeschaut, in der es um die Zukunft des Gängeviertels und der Subkultur ging.
Einige Stunden vorher im Sitzungssaal des Rat­hauses herrscht trotz heftiger Diskussionen Einigkeit: Das Gängeviertel muss gerettet werden. Auch wenn CDU, SPD, Grün-alternative Liste Hamburg (GAL) und »Linke« sich gegenseitig mit Vorwürfen über die in den vergangenen Jahren erschreckend stümperhafte Stadtplanung überschüttet haben, wird bei dieser Sitzung klar, dass Hanzevast sein Konzept nicht mehr durchsetzen kann.
Eigentlich sollte, so die Sprecherin der Initiative, Christine Ebeling, vor dem Rathaus demonstriert werden. Aber gegen was soll man de­m­onstrieren, wenn allerorten nur Einigkeit herrscht? In Hamburg ist es gerade so wie bei der Beerdigung eines ungeliebten Onkels. Erst wenn er im Sarg liegt, wird er betrauert. In der Hansestadt stirbt das Raumangebot in den alternativen Stadtteilen, das in den vergangenen zwei Jah­ren zugunsten von Eigentumswohnungen immer mehr dezimiert wurde. Denn der gegenwär­tige Finanzsenator Michael Freytag (CDU) ist schon seit der Zeit, in der die Schreckgestalt Ronald Schill noch im Senat saß, ein begnadeter Verscherbler, was städtische Liegenschaften betrifft.
»Das Kind ist nun schon im Brunnen, das stimmt«, sagt Ebeling über die ehemals typischen Szeneviertel wie Schanze oder St. Pauli, in denen die Aufwertung schon so gut wie abgeschlossen ist. Die Sprecherin sitzt in einer Wohnung im Gängeviertel mit halb ausgerissenem Linoleumboden und vernagelten Fenstern. Drau­ßen in den schmalen Gängen, die dem Viertel den Namen geben, hängen Plakate an den Wänden mit Erich-Fromm-Zitaten, einem altem Stadtplan und roten, runden Schildern mit dem Motto »Komm in die Gänge«. Im Innenhof kokelt eine Feuertonne, ein paar Schritte weiter sit­zen Bauarbeiter und essen ihre Stullen. Überall Baulärm.
Drinnen riecht es nach verschüttetem Bier und kaltem Zigarettenrauch. Hier ist das Büro, das organisatorische Zentrum der Initiative. Von hier aus werden ständig E-Mails an Unterstützer und Künstler geschrieben. Mobiltelefone klingeln. Theatergruppen wollen Räume für Aufführungen, Künstler fragen nach Ausstellungsräumen, und unbekannte Bands brauchen eine Bühne für ihre Gigs. Billige Locations werden also dringend gebraucht.
Ebeling ist sich durchaus bewusst, dass ausgerechnet die Off-Szene, die sich immer wieder beschwert, mit schuld daran ist, dass es in Ham­burg kaum bezahlbaren Wohnraum mehr gibt. »Ja, natürlich haben wir die Stadtteile aufgewertet«, sagt Ebeling. »Wie der Esel der Karotte sollen bildende Künstler den Fördertöpfen und Zwischennutzungs-Gelegenheiten nachlaufen – dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren oder neue, zahlungskräftigere Bewoh­ner anzulocken gilt.« So heißt es in einem wütenden Manifest mit dem Titel »Not in our Na­me, Marke Hamburg«. Die Goldenen Zi­tronen, der Schauspieler Peter Lohmeyer und die Fernsehköchin Sarah Wiener sind nur einige der prominenten Unterzeichner des Textes mit dem Grundtenor, dass der Senat Künstler und Kreative als Reklame für die Stadt missbrauche.
Die Unterstützung der Prominenten bringt vor allem eins: Publicity. Davon profitieren frische, unbekannte Künstler. Lorenz Goldstein von Car­tel 21, einem vierköpfigen Künstlerkollektiv, freut sich sehr über das Interesse am Gängevier­tel. »So viele Leute haben wir sonst selten bei einer Ausstellung«, sagt der 25jährige. Er und sei­ne Mitstreiter konnten seit Ausstellungsbeginn am 21. Oktober zwei Werke verkaufen. Ohne die Ausstellungsmöglichkeiten im Viertel sähe es für ihn düster aus. »Es ist einfach geil, wie unbürokratisch man hier an Räume kommt, das gibt es in Hamburg doch sonst kaum mehr«, sagt der Kunststudent. Seiner Meinung nach gibt es in Hamburg nur noch Schamonis Golden Pudel Club und das Gängeviertel als Orte für Krea­tive.
Doch nicht nur Künstlergruppen wie Cartel 21 freuen sich über die Aufmerksamkeit und Unterstützung für das Gängeviertel. Vor allem Han­zevast hat nun die Möglichkeit abzusahnen, und wegen der Finanzkrise hat es der Investor auch dringend nötig, an Geld zu kommen. Denn nach Monaten der Zahlungsunfähigkeit konnte dieser nun doch in letzter Minute die fällige Rate in Höhe von 1,2 Millionen Euro bezahlen. Geliehen haben sich die Niederländer das Geld von einer bayrischen Brauereigruppe, zu der auch Paulaner gehört. Es sieht alles danach aus, dass die Käufer so viel Geld aus der Stadt herauspressen wollen wie nur möglich. Die Stadt soll doch bitte das so lieb gewonnene Viertel zu einem horrenden Preis zurückkaufen, wenn sie plötzlich schon nicht mehr räumen lassen will. Für die klamme Hansestadt ein Dilemma. Auf jeden Fall wird es Zeit, dass der Senat in die Gänge kommt.