Über die Auseinandersetzungen zwischen deutschen Fußball-Hools

Geil auf Gewalt?

Die ritualisierten Auseinandersetzungen zwischen linken St.-Pauli-Fans und rechten Rostockern gewinnen ihre Dynamik mittlerweile nicht mehr wegen, sondern trotz politischer Differenzen.

Anlässlich der Zweitliga-Partie zwischen Hansa Rostock und dem FC St. Pauli vor zehn Tagen in Rostock hat es mal wieder ordentlich geknallt. Beide Seiten bekleckerten sich dabei nicht gerade mit Ruhm und verletzten mit Flaschen, Steinen und Böllern andere Menschen. Während die Fans von St. Pauli diesmal vor allem pyrotechnisches Material einsetzten, wobei man es sich nicht nehmen ließ, mit selbigem andere Menschen zu attackieren, tobte sich die Gegenseite nach dem Spiel vornehmlich aus, indem sie die Polizei angriff. Die Bilanz des Abends: gut 30 Verletzte und etwa ebenso viele Festnahmen.
Bereits vor der Partie hatten ca. 20 mit Sturmhauben in den Rostocker Vereinsfarben Vermummte das wöchentliche Treffen der St.-Pauli-Ultras im »Libertären Zentrum« (LIZ) im Hamburger Karolinenviertel angegriffen, Flaschen geworfen und Reizgas versprüht. Ob dieser Angriff tatsächlich von Angehörigen der Rostocker Fanszene oder von Trittbrettfahrern verübt wurde, bleibt unklar. Die führender Rostocker Fangruppierung »Suptras« nahm während des Spiels mit einem zweideutigen Banner auf die Ereignisse Bezug, auf dem stand: »Klopf, klopf … ist die Maus zuhause? So blöde ist nicht mal Rostock?!;-)« Die Buchstaben L, I und Z im ersten Satz waren dabei eingefärbt, der Nachsatz inklusive Fragezeichen und Smiley wohl aus dem St.-Pauli-Internetforum zitiert.
Auf den ersten Blick überraschender ist dagegen die Reaktion von »Ultrà St. Pauli« (USP), die bereits vor dem Spiel in Rostock auf Flyern erklärten, einen politischen Inhalt könne man in dem Angriff »nicht erkennen«. Ein erstaunlicher Vorgang: Da greift eine Gruppe mehr oder weniger bewaffneter Vermummter ein linkes Zentrum in Hamburg an, und anschließend sagen die Angegriffenen, mit Politik habe das nichts zu tun. Hier wäre allerdings die Frage zu stellen, wieso ein derartiger Angriff quasi zu einer unpolitischen Privatangelegenheit erklärt werden kann. Was wäre denn, wenn es sich bei den Angreifern tatsächlich um Nazis gehandelt hätte, die vorgaben, Fußball-Hooligans zu sein? Können sich zukünftig alle, die linke Läden in Hamburg angreifen wollen, als Hansa-Hools tarnen, um anschließend als »unpolitisch« zu gelten? Dabei kann nun wahrlich niemand behaupten, bei USP handle es sich um unpolitische Fußballfans. Weil man aber zu Recht nicht jeden Rostocker, der einem ans Leder will, für einen Nazi hält, tut man den Angreifern den Gefallen, ihre Aktion zu entpolitisieren.
Die Angehörigen der Rostocker Fanszene, die nicht rechts sind, arbeiten an dieser Entpolitisierung schon seit längerem. Bereits seit dem vergangenen Jahr tauchen auf Indymedia und in linken Rostocker Blogs Artikel auf, die die Fehde mit St. Pauli zu einer entpolitisierten Fußballfeindschaft erklären und die St.-Pauli-Fans auffordern, nicht jeden Rostocker als Nazi zu betrachten. Die Realität bei den Spielen in Rostock spricht freilich zum Teil eine andere Sprache, denn dort finden sich nach wie vor rassistische Pöbeleien, anti-linke Spruchbänder und relativ unverblümt auftretende Nazi-Hools. Im Indymedia-Beitrag eines kritischen Hansa-Fans heißt es dazu: »Der Höhepunkt der Widerlichkeit waren für mich die Banner mit der Aufschrift: ›Rasiert euch mal die Beine, ihr Metro-Punk-Schweine‹ und ›Könnt ihr uns eure Mütter ausleihen? Wir wollen zum Fasching als Hurensohn gehen‹. Wer Schwule, Prostituierte und Punker als Feindbild hat, braucht sich vorher auch nicht mit dem Banner ›Wir scheißen auf Politik – wir hassen euch aus Prinzip‹ rausreden. Das sind definitiv politische Inhalte, und zudem auch noch besonders beschissene.«
Auch Spruchbänder, auf denen die Rede von »linksfaschistoiden Hygienemuffeln« ist, oder Aufkleber, auf denen »St. Pauli vernichten« steht, erinnern nicht nur an Nazi-Rhetorik, sondern viele Anhänger des Kiezclubs auch an das Jahr 1992, als sich nicht nur zahlreiche Hansa-Fans an den Pogromen im Stadtteil Lichtenhagen beteiligten, sondern sich die gleiche Klientel auch beim Auswärtsspiel von St. Pauli kräftig austobte. Trotzdem ist es falsch und naiv, einfach zu negieren, dass die Rostocker Fanszene ein differenziertes Bild abgibt, zu dem beispielsweise auch die dem lokalen Antifa-Spektrum zuzuordnende Band »Feine Sahne Fischfilet« gehört. Praktisch jeder Nazi-Hool in Deutschland möchte St. Pauli mal aufs Maul hauen, aber nicht jeder Hansa-Fan, der dies auch vorhat, ist deswegen ein Nazi-Hool.
Die Frage ist nur: Macht es das besser? Bei St. Pauli muss man sich zumindest fragen lassen, wo man mit der Gewalt eigentlich hin will. Eine Frage, die im Übrigen für alle sich als mehr oder weniger links begreifenden Fans und Ultras gilt. Was soll man zum Beispiel davon halten, wenn eine sich als gesellschaftskritisch verstehende Ultra-Gruppe wie die »Schickeria München« dem Fußballmagazin Balles­terer erklärt, »einen prinzipiellen Gewaltverzicht« werde es mit ihr nicht geben – und damit nicht etwa das Zurückschlagen von Nazi-Attacken meint, sondern das »Recht«, sich auch weiterhin mit Nürnberg zu schlägern. Wie soll man damit umgehen, dass linke Ultras sich an einem spielfreien Sonntag gemeinsam auf einer Antifa-Demonstration einfinden, sich aber nächsten Samstag mit der gleichen Verve »für ihren Verein« auf die Fresse hauen wollen? Glaubt man allen Ernstes, so an einer progressiven gesellschaftlichen Entwicklung zu arbeiten?
Um es klar zu sagen: Männerbündisch strukturierte Gewalt (unabhängig davon, ob sich daran in den Ultra-Gruppen auch Frauen beteiligen), Tribalismus und identitär aufgeladener Lokalpatriotismus (»unser Viertel, unser Verein, unsere Farben«) lassen sich von links nur schwerlich besetzen. Die Diskussion über gesellschaftliche Gewaltverhältnisse und den damit einhergehenden Gewaltbegriff hat in der Linken eine lange Tradition, der Minimalkonsens all dieser Debatten lautet aber, auf keinen Fall einem Gewaltfetisch zu verfallen. Denn dieser ist nun mal ein originär faschistisches Anliegen. Wie heißt es so treffend in einem der maßgeblichen Urtexte des italienischen Faschismus, in Luigi Freddis »Il fascio« vom 20.11.1920: »Der Faustschlag ist die Synthese der Theorie. […] Der gut gesetzte Faustschlag setzt jeder sinnlosen Polemik ein Ende, zum vollen Vorteil der Kürze und der Kraftersparnis. […] Nichts ist eine stärkere Zusammenfassung als ein Pistolenschuss. […] Höchst effi­zient, weil er die Möglichkeit einer weiteren Fortsetzung der Diskussion für immer ausschließt.«* Für die Linken in den deutschen Kurven und der deutschen Ultra-Szene bleibt zu hoffen, dass das massive Abdriften vieler Fans in den italienischen Kurven nach rechts in den vergangenen 15 Jahren ein mahnendes Beispiel darstellt, das zur kritischen Selbstreflexion anregt. Die Diskussion um das eigene Verhältnis zur Gewalt geht hoffentlich gerade erst los.

* Danke an Kai Tippmann von für die Übersetzung.