Studenten und Gewerkschaften in Hamburg

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Die Aktivisten des bundesweiten Bildungsstreiks verkünden einen »heißen Herbst«. In Hamburg suchen Studierende den Dialog mit den Gewerkschaften.
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Die Studenten in Wien haben es vorgemacht. Seit Tagen halten sie das Audimax ihrer Universität besetzt. Sie protestieren gegen Studiengebühren, Zulassungsbeschränkungen und das verschulte Bachelor- und Mastersystem. Der Funke des Protests ist derweil auch auf Deutschland übergesprungen. In Heidelberg, Münster und Pots­dam haben sich Studenten mit Schlafsäcken in ihren Hörsälen zum längeren Verbleib eingerichtet.
Es gibt einiges zu tun. In Hamburg hätte insbesondere die ehemals gewerkschaftsnahe Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) etwas zurückzugewinnen, beispielsweise den Status einer eigenständigen Hochschule. Vor einigen Jahren wurde in Hamburg noch ein wesentlicher Teil der Proteste gegen Studiengebühren und die Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen von den Studierenden der HWP getragen. Folgerichtig versuchte der parteilose Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger, die HWP aufzulösen.

Heute ist von der einst unabhängigen Universität nur wenig mehr übrig geblieben als eine glorifizierte Erinnerung an ihre Vergangenheit. Seit 2005 firmiert sie als »Fachbereich Sozialökonomie« der Universität Hamburg. Nur ein Teil der Studenten und Professoren ist sich noch der Herkunft ihres Fachbereichs bewusst.
Nach dem zweiten Weltkrieg regten die Gewerkschaften die Gründung einer Akademie an, die einen freien Hochschulzugang, also ohne Abitur, eröffnen sollte. Ziel war, dem eigenen Führungsnachwuchs eine entsprechende Ausbildung zu ermöglichen. Mit der 1948 gegründeten »Akademie für Gemeinwirtschaft« wurde der Grundstein für die spätere HWP gelegt. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Akademie zu einer Universität. Später zeichnete sich die HWP, wie sie nun hieß, immer wieder durch eine besondere »Aufmüpfigkeit« gegenüber der Politik aus.

Eine Gruppe von Studierenden versucht nun diese Tradition wiederzubeleben und mit aktuellen politischen Forderungen zu verbinden. Die Initiative »Brot & Rosen« hat zur Wahl eines eigenen HWP-Asta aufgerufen. Auf diese Weise möchte sie sich nicht nur in die politischen Prozesse der Universität Hamburg einmischen, sondern auch den unabhängigen Status zurückgewinnen. Der Zeitpunkt dazu scheint günstig gewählt, schließlich will der Hamburger Senat Anfang kommenden Jahres eine Evaluierung des Hochschulgesetzes durchführen. Einer der wesentlichen Diskussionspunkte zur ehemaligen HWP dürfte der offene Hochschulzugang sein, der bereits in den vergangenen Jahren immer weiter eingeschränkt wurde. Michael Becker, Mitbegründer von »Brot & Rosen« sagt, »wenn wir es jetzt nicht machen, machen wir es nicht mehr«. Der Versuch, die ehemaligen Gründer der HWP, die Gewerkschaften, an ihre Seite zu holen, ist dabei nur folgerichtig. Am Freitag voriger Woche hat eine kleine Gruppe von Studierenden der HWP dem Haus des DGB in Hamburg einen spontanen Besuch abgestattet. Explizit sollte es keinen großangelegten Protestzug durch das DGB-Gebäude geben. Vielmehr ging es um eine offene Diskussion »mit Freunden«, so Becker.
Roland Kohsiek, Fachbereichsleiter für Bildung, Wissenschaft und Forschung bei der Gewerkschaft Verdi, war tatsächlich sehr interessiert an einem Gespräch mit den Studierenden. »Die Verbindung zwischen den Gewerkschaften und der HWP wurden in den neunziger Jahren immer schwächer«, sagt er. Seiner Ansicht nach »sah ein Großteil der Professoren die HWP immer mehr nur noch als Karrieresprungbrett für sich selbst«. Auf die Frage, wo denn die Gewerkschaften bei der Abwicklung der unabhängigen Universität gewesen seien, antwortete Kohsiek: »Zur Zeit der Schließung gab es nur noch einen sehr niedrigen Organisationsgrad in der HWP.« Sie habe sich selbst »ausgehöhlt«, und heute würde »sie glorifiziert«. Trotzdem begrüßte er die Initiative der Studierenden, schließlich sei die Verbindung zwar schwach geworden, jedoch nie ganz abgerissen.
Kohsieks Interesse konzentrierte sich in erster Linie auf die inhaltlichen Ziele. Heidi Weise, eine Studentin, nannte als »eine der wesentlichen Forderungen den freien Hochschulzugang«. Besonderen Wert legten die Studierenden auch auf die spezifische Verbindung von Theorie und Praxis an ihrem Fachbereich, die erhalten werden müsse. Ob es sich bei diesen Forderungen allerdings um die Art inhaltlicher Ziele handelte, die Kohsiek meinte, blieb offen. Ein leichter Vorwurf, unpolitisch geworden zu sein, lag sicherlich im Raum. Demgegenüber sagte Michael Börzel, Mitglied im Jugendteam von Verdi: »Wir haben versucht für die HWP zu werben, bei unseren Jugendversammlungen, leider ohne Erfolg.«

An vielen Stellen der Diskussionen, die spontan auf den Gängen und in den Büros geführt wurden zwischen Studierenden und Gewerkschaftern, wurde deutlich, dass wichtige Elemente der Arbeiterbewegung, nämlich Gewerkschaften und Arbeiterbildung, in den vergangenen Jahren doch arg erodiert sind. Ebenso offensichtlich war, dass sie sich wechselseitig lange Zeit nicht mehr für einander interessiert hatten. Auf dem Weg, bürgerlich zu werden, den beide eingeschlagen hatten, wurden eben auch beide bürgerlich individuell. Am Freitag wurde zumindest wieder einmal miteinander gesprochen.