Über die iranische Opposition und die Hilflosigkeit des Regimes

»Tod für niemanden!«

Traditionell demonstrieren zum Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft in Teheran Tausende regierungstreue Iraner gegen die USA. Dieses Jahr gehörte der Tag der Oppositionsbewegung: Sie gibt es noch und sie kommt immer mehr ohne prominente Symbolfiguren aus. Die innen- wie außenpolitische Hilflosigkeit des iranischen Regimes wird derzeit immer sichtbarer.

Es hätte so schön werden können. So wie früher: Amerika-Flaggen glimmen auf, Jugendliche und bärtige Männer schreien sich heiser, einige Generationen schwarzverschleierter Töchter der Revolution wedeln mit iranischen Fähnchen, und das symbolische Autodafé vor den Toren der ehemaligen amerikanischen Botschaft in Teheran würde seinen Weg über die Bildschirme und damit in die Wohnzimmer der westlichen Welt finden. Jugend, Expression, Hass. Die Dynamik solcher Masseninszenierungen war immer die wesentliche Botschaft der Islamischen Republik Iran.
Am 4. November, dem 30. Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft in Teheran, standen alle wie befohlen an ihrem Platz, die »Massen« verbrannten Flaggen und schrien abwechselnd den Tod Amerikas und Israels herbei – nur hat niemand mehr hingesehen. Denn auch an diesem Tag gehörten die Bilder in den Medien den anderen. Und die anderen sind meist jung, selten bärtig und auffallend oft weiblich. Die anderen riefen an diesem Tag wieder ihre eigenen Parolen: »Tod dem Diktator!«, »Tod für Russland!« – als höhnische Travestie des staatlich verordneten Antiamerikanismus –, aber als jüngste sympathische Neuerung auch: »Tod für niemanden!«
Aus der Flut der kurzen, verwackelten Videofilmchen, die umgehend im Netz auftauchten, bleibt eines in Erinnerung: Da liegt das riesige Konterfei des Revolutionsführers Khamenei, das heruntergerissen wurde, auf dem Boden, und die Menschen, die darüber laufen – man sieht nur ihre Beine –, halten kurz inne und wischen sich die Schuhsohlen darauf ab.
Die jüngste Manifestation der iranischen Oppositionsbewegung hat nicht nur dem vergesslichen Ausland in Erinnerung gerufen, dass es sie noch gibt – sie war ja nie weg, bloß aus den Schlagzeilen verschwunden –, sie hat erneut das Regime in seiner hilflosen Starre vorgeführt. Hatte doch ein Kommandeur der Revolutionsgarden gewarnt, dass jede Versammlung jenseits der offiziellen vor der amerikanischen Botschaft verboten sei, hatte doch der Revolutionsführer persönlich noch kurz zuvor von dem »maskenhaften Lächeln« der Obama-Administration gesprochen, das nur Kinder täuschen könne.
War es im Sommer noch ein ungeheurer Affront, dass die Menschen trotz eines Machtwortes des Revolutionsführers auf die Straße gingen, wird es nun zum Normalzustand. Dabei zeigt sich, dass sich die Protestformen der Opposition, so dezentral entwickeln, dass diese immer häufiger ohne Mir Hussein Moussavi und andere Prominente auskommt. Während der zur Symbolfigur gewordene Moussavi de facto unter Hausarrest stand und der ehemalige Präsident Mohammed Khatami abgetaucht blieb, war es wiederum al­leine Mehdi Karrubi, der offiziell drittplazierte Kandidat der Wahlen vom Sommer, der das Regime mit seinem Auftreten provozierte. Nachdem man ihm am al-Quds-Tag den Turban vom Kopf gerissen hatte und er beim Besuch der Teheraner Zeitungsmesse von Regimeschlägern abgedrängt und wiederum herumgeschubst worden war, deckte man diesmal sein Auto mit Gasgranaten ein. Was nicht nur Karrubis Ruf dienlich sein dürfte, sondern vor allem die Unfähigkeit des Regimes demons­triert, die publikumswirksamen Auftritte des umtriebigen Klerikers zu unterbinden.
Eine Antwort auf die Herausforderung durch die Demonstranten ist dem Regime tatsächlich bisher nicht gelungen. Eine groß angekündigte Rede Mahmoud Ahmadinejads wurde sehr glaubwürdig wegen eines Fußballspiels prompt um zwei Tage verschoben. Nur um dann erneut auf »nächste Woche« verlegt zu werden. Über die diesmal angegebenen kryptischen Begründungen waren sich selbst die offiziösen Verlautbarungen nicht mehr einig. Beim Freitagsgebet war vom Hardliner Ahmad Khatami neben dem Hinweis, der Westen solle bloß keinen grundsätzlichen Wandel im Iran erwarten, auch nur der übliche antiamerikanische Sermon wie seit mittlerweile Jahrzehnten zu hören.

Man gewinnt derzeit auch nicht den Eindruck, dass das Regime außenpolitisch besonders zukunftsträchtig agiert. Die Aufbringung eines mutmaßlich für die Hisbollah bestimmten iranischen Waffentransports auf hoher See durch die Israelis war kein großer Tag für die Machtambitionen der Islamischen Republik Iran; die Beschlagnahme eines iranischen Schiffes mit »ungeklärter« Ladung in jemenitischen Gewässern ging dem ein paar Tage voraus. Mitte Oktober musste der iranische Außenminister bereits einen Besuch in Jemens Hauptstadt Sana’a absagen, weil er ausgeladen worden war. Die nach Medienberichten bestehende iranische Unterstützung der schiitischen Houthi-Rebellen im Norden Jemens wird gerade aufgrund von deren jüngsten militärischen Erfolgen ein Problem mehr für die iranische Refierung. Es ist womöglich etwas zu viel Erfolg, der entsprechende Aufmerksamkeit auf sich zieht, zur falschen Zeit. Nachdem die Houthis nicht nur einen Abschnitt der Grenze zu Saudi-Arabien unter ihre Kontrolle gebracht, sondern gleich noch eine saudische Patrouille angegriffen hatten, hat die saudische Luftwaffe massive Angriffe auf die Rebellen im Nordjemen geflogen. Dass der arabischsprachige iranische Nachrichtenkanal al-Alam entgegen langfristiger Verträge plötzlich von saudischen und ägyptischen Satelliten ausgeblendet wurde, dürfte angesichts dieser Eskalation noch eine harmlose Geste darstellen. Die Frage ist, was nach den nicht zuletzt religiös codierten politischen Spielregeln der Region folgen wird. Aufhorchen lässt, dass ein bekannter sunnitischer Imam in Zahedan in seiner im Internet verbreiteten Freitagspredigt Ahmadinejad aufgefordert hat, die dortigen Sunniten nicht weiter zu bedrängen. Zahedan ist die Hauptstadt der iranischen Provinz Belutschistan, wo sich ein sunnitischer Selbstmordattentäter vor kurzem mit einigen hochrangigen Kommandeuren der Revolutionsgarden in die Luft gesprengt hat.
Angesichts des vor allem vom Iran freizügig verteilten Sprengstoffs, der in der Region allerorten zur Zündung bereit liegt, ahnt man, was Ahmadinejad vorschwebt, wenn er etwa bei einem Treffen mit dem syrischen Außenminister erklärt, dass sich die Gegebenheiten im Nahen Osten zu Gunsten Irans und Syriens änderten. Man ahnt allerdings auch, dass Ahmadinejad längst ein Getriebener ist. Eine enge iranisch-syrische Zusammenarbeit könne sich dabei als so attraktiv erweisen, »dass die Nachbarländer hinzukommen wollen, in welchem Fall sich eine große politische, wirtschaftliche und kulturelle Macht in der Region formieren würde«, halluzinierte er. Was mag hier tatsächlicher Wahn sein, was ­bloße Wortproduktion fürs Protokoll?
Überhaupt hat sich die Rhetorik des Regimes mit den permanenten Verlautbarungen der eigenen »Unbesiegbarkeit« und überwältigenden Popularität in eine Zwangslage gebracht und im Grunde tot gelaufen. Mittlerweile wird im Wochenabstand die Entwicklung von Wunderwaffen verkündet, und soft warfare ist zum Lieblingsbegriff der Sicherheitskräfte und der Anführer des Regimes geworden. Wie eine Zauberformel wird diese soft warfare beschworen, so als würde die möglichst häufige Nennung des Begriffes bereits bedeuten, dass man auch auf diesem Kriegsschauplatz wieder einmal längst haushoch gesiegt hat.

Allein die Realität gibt sich noch widerstrebend. Komödienreife Szenen spielen sich im iranischen Parlament ab, wenn sich Ahmadinejad und der Mehrheitsblock der »Prinzipalisten« nicht einmal darüber einigen können, ob eine zehnminütige Ansprache des Präsidenten vor den Abgeordneten nun formal verfassungskonform ist oder nicht. Dabei verfestigt sich der Eindruck, dass das Ausbleiben einer Antwort auf den Urananreicherungskompromiss weniger einer Strategie als vielmehr der Uneinigkeit des Establishments geschuldet ist.
Die Revolutionsgarden (Pasdaran) erscheinen vor dem Hintergrund dieser internen Auseinandersetzungen mehr und mehr als der wirkliche und letztlich alleinige Machtträger des Regimes. Die jüngsten Umbesetzungen in den Ämtern, die mit öffentlicher Sicherheit und Geheimdienstkoordination befasst sind, deuten darauf hin, dass sich die Pasdaran konsequent – und entgegen der ständigen militärischen Triumphmeldungen – auf die Repression und Kontrolle der Bevölkerung einstellen. So ist der ehemalige Befehlshaber der Bassij-Milizen zum Geheimdienstchef der Pasdaran ernannt worden, und ihr Oberkommandierender, Ali Jafari, spricht davon, dass die Revolutionswächter ihrer Pflicht nun auch in der Bekämpfung von soft threats nachkommen müssten. Dazu gehört, dass sich die Nachrichtenagentur Fars News, der bei den Schauprozessen im September die exklusive Berichterstattung aus dem Gerichtssaal vorbehalten war, mittlerweile unter der Kontrolle der Pasdaran befindet. Der neue Befehlshaber der Bassiji, General Mohammad Reza Naqdi, verkündete angesichts der angestrebten »Kooperation« zwischen den Medien und den Pasdaran gleich die neue Ära der »super media ­power«.
Ob sich so aber wirklich eine Antwort auf die Herausforderung durch die Opposition und eine unwillige Bevölkerung finden lässt, darf bezweifelt werden – und praktisch setzt das Regime auch weiterhin auf Repression. Im Verlauf der Demonstrationen am Jahrestag der Botschaftsbesetzung soll es nach Angaben des Regimes zu 100 Verhaftungen gekommen sein, Schätzungen von Menschenrechtlern gehen von 400 festgenommenen Demonstranten aus. Die gezielten Verhaftungen von Studenten und die Tatsache, dass bekannte Oppositionelle vor Revolutionsgerichten landen, sprechen auch diese Sprache. Die Todesurteile gegen drei Oppositionelle sind bestätigt worden, allerdings noch nicht vollzogen.
Von der vom Regime ersehnten Ruhe ist der Iran jedenfalls weit entfernt. Die sich plötzlich häufenden Protestkundgebungen an den Universitäten Anfang November, die nicht mehr auf Teheran beschränkt waren, dürften die Sicherheitskräfte weiterhin beunruhigt haben. Und der nächste große Demonstrationstag der Opposition ist schon angekündigt: Am 7. Dezember, dem Tag der Studenten, geht es weiter.