Über rassistische und antisemitische Propaganda in Ungarn

Ungarische Sehnsüchte

Die rechtskonservativen Partei Fidesz will die Parlamentswahlen in Ungarn nächstes Jahr gewinnen. Dies dürfte nicht schwierig werden: Für ihre rassistische und antisemitische Propaganda ist die ungarische Gesellschaft ohnehin offen.

Rund zehn Prozent des ungarischen Bruttoinlandsprodukts stammen aus dem Tourismus, und deswegen bemüht sich dieser Wirtschaftszweig, das Image des Landes im Ausland zu verbessern und mehr kulturinteressiertes Publikum ins Land zu holen. Leider kollidiert dieses Bemühen allzu oft mit dem ungarischen Alltag.
Schon jetzt beginnt der Wahlkampf um die im April 2010 stattfindenden Parlamentswahlen. Nach den meisten Meinungsumfragen wird die von Viktor Orbán geführte rechtskonservative Partei Fidesz siegen. Doch diese fühlt sich bedroht durch die Rassisten und Antisemiten der Jobbik-Partei, der es bereits bei den Wahlen zum Europäischen Parlament gelang, mit fast 15 Prozent der Stimmen und drei Abgeordneten im Europa-Parlament zur drittstärksten politischen Kraft Ungarns zu werden. Nun versucht die Fidesz, Jobbik den Wind aus den Segeln zu nehmen und sie bei der völkischen Mobilmachung zu übertreffen. Zum Beispiel behauptete ihr Abgeordneter Oszkár Molnár, Bürgermeister von Edelény, im Juni in einer von ihm geleiteten Ratssitzung, es sei ein »offenes Geheimnis«, dass »in den mehrheitlich von Zigeunern bewohnten Ortschaften« um Edelény schwangere Frauen »mit Absicht« Medikamente einnähmen oder ihre Bäuche mit Gummi­hämmern traktierten, um »behinderte« Kinder zur Welt zu bringen und so doppeltes Kindergeld zu erhalten.

In derselben Ratssitzung schwadronierte er auch über Homosexuelle: »Herr Szetey wird im Gefängnis erfahren, was so eine Ehe zwischen Homosexuellen bedeutet.« Der ehemalige Staatssekretär Gábor Szetey hatte sich als erster ungarischer Politiker als homosexuell geoutet und war nach Molnárs Überzeugung in der Regierung für die »Sache der Schwulen« zuständig.
Ohne Antisemitismus aber würde etwas fehlen. So räsonierte Molnár in einer lokalen Fernsehsendung darüber, wie das »globale Kapital, jüdische Kapital, wenn Sie so wollen, die ganze Welt« erobern wolle, »vor allem Ungarn«, und dass die Kinder in Jerusalem bereits Ungarisch lernen würden, um sich in ihrer neuen Heimat verständigen zu können. Parteichef Viktor Orbán sprach zunächst von einer »lokalen Angelegenheit«, obwohl Molnár Mitglied seiner Parlamentsfraktion ist, um dann zu erklären, dass ihm Molnárs Aussagen »peinlich« seien.

Die Fidesz will sich offenbar mit allgemeinen Erklärungen gegen Rassismus und Antisemitismus im Ausland salonfähig geben, im Inland jedoch mit Politikern wie Molnár versuchen, ihre Wähler bei der Stange zu halten. Trotz eines rechtskräftigen gerichtlichen Verbots besteht auch die Ungarische Garde weiter (Jungle World 30/09) und ruft zum »Aufstand gegen das Juden-Regime« auf. Mitte September legte gar die sogenannte Gendarmerie, die »Ordnungsdivision« der Garde, einen Eid ab, gegen die »Zigeunerkriminalität« vorzugehen.
Weite Teile der Gesellschaft teilen diese Stimmung. Völkische Gebetsrituale für die »Seelenrettung des Magyarentums« und für die Nation – stets im Namen der »Heiligen Ungarischen Krone« – mit einer unappetitlichen Mixtur von Elementen des christlichen Glaubens und altmagyarischen Riten kennzeichnen den Versuch, eine Volksgemeinschaft zu schaffen, in der Linke und Liberale als »jüdisch«, als nicht zur Nation gehörend, angeprangert und ausgegrenzt werden. Im der Fidesz nahe stehenden Wochenblatt Magyar Demokrata schlug ein Rassist Ende Oktober vor, in die öffentlichen Büchereien zu gehen und dort die Bücher von verhassten linksliberalen – jüdischen – Schriftstellern wie György Konrád und Péter Nádas »zu stehlen und zu vernichten«.
In der ungarischen Öffentlichkeit wird zudem darüber diskutiert, ob der bekannte Schriftsteller Péter Esterhazy »Halbjude« oder »Volljude« sei, und ihm wird »Ungarnfeindlichkeit« unterstellt. Ein Gerichtsurteil legitimiert die Außerung des rechtsextremistischen Gewalttäters György Budaházy: »Ihr werdet hängen, ihr geht dann nach Auschwitz, wir kommen zurück.« Dagegen wird ein Journalist verurteilt, weil er eine rassistische Motorradfahrergruppe als »faschistisch« bezeichnete. All das sagt viel aus über eine gesellschaft­liche Stimmung, die es den Rechten und Rechtsextremisten ermöglicht, Minderheiten jeder Art zu bedrohen.
Die Mehrheit der ungarischen Gesellschaft scheint sich nach einer Volksgemeinschaft zu sehnen. Demokratie wird – wie früher der Kommunismus – von vielen als eine »Herrschaft der Juden« begriffen, und die Völkischen sind auf dem Vormarsch.