Die Nazivergleiche des Kölners Erzbischofs

Unser täglich Nazivergleich gib uns heute

Der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner hat ein umfangreiches Repertoire an Nazivergleichen. In einer Predigt attackierte er einen Evolutionsbiologen.

Seiner Hochwürden, Joachim Kardinal Meisner, gefiel es, in der Predigt zu Allerheiligen den Biologen und Bestsellerautor Richard Dawkins in den Ruch der nationalsozialistischen Ideologie zu bringen. Der Erzbischof also sprach: »Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als ›Verpackung der allein wich­tigen Gene‹, deren Erhaltung der vorrangige Zweck unseres Daseins sei.«
Meisner untermauerte die Predigt gegen den Götzen der Wissenschaftsgläubigkeit mit seiner Erfahrung als Kirchenmann der DDR und als im Osten der Stadt residierender Bischof von Berlin. In einem Gespräch mit Klaus Gysi, dem damaligen Staatssekretär für Kirchenfragen, habe er als Bischof freimütig gesagt: »Die Kirche wird das Osterhalleluja noch singen, wenn der wissenschaftliche Atheismus vielleicht nur noch in den Geschichtsbüchern als Relikt menschlicher Verirrung vermerkt wird.« Gerade die Selbstvergötterung des Menschen habe die Menschen in den Abgrund geführt: »Dafür stehen die KZs und Gulags.« Aus Dawkins wird Nazidoktor Frankenstein.

In seiner Attacke wider das areligiöse wissenschaftliche Treiben von »ideologisierten Biophysikern, Hirnforschern und Evolutionisten« verkörpert Meisner den rar gewordenen Typus des katholischen Kulturkämpfers. An die CDU richtete er schon vor Jahren die Frage, warum die Partei noch das C für »christlich« im Namen trage. Abtreibungen verglich er mehrfach mit dem Holocaust. Und wenn die Reaktionen der Medien auf die Äußerungen des Kirchenmannes den konditionierten Reflexen einer empörungswilligen Öffentlichkeit folgen und für Verbreitung außerhalb der Kanzel sorgen, erzielt die Strategie ihre gewünschten Erfolge. Ein Kardinal Meisner entgleist nicht, er fährt traditionell rechts. Der Erzbischof will ein öffentliches Ärgernis sein. Er spricht für jene rechtskonservative Minderheit, die missmutig die Entwicklung der Christ­demokraten beklagt, denen eine »geistig-moralische Erneuerung« nicht mehr zugetraut wird.
Das Kalkül des Kardinals bedient gekonnt das strategische Interesse der Medien: Unseren täglichen Nazivergleich gib uns heute! Durch die Technik der vergleichenden Verharmlosung durch ständig neue grotesk-inflationäre Nazi-Analogien ist diese Variante der politischen Polemik zur Farce verkommen. Dabei unterscheidet Meisner von anderen Zeitgenossen, die wie Hans-Werner Sinn oder Christian Wulff in den vergangenen Monaten mit einschlägigen Zitaten für einen Fauxpas gesorgt hatten, der affirmative Gebrauch auch aus der Sprache des Nationalsozialismus bekannter Topoi. Meisner nutzt den NS-Vergleich nicht nur zur größtmöglichen Schmähung des politischen Gegners. Gerne sorgt er mit semantisch eindeutig belegten Begriffen für Aufsehen. Vor zwei Jahren offenbarte er seine Ansichten zu moderner Kunst: »Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte.« Entartete Kultur! Das von Gerhard Richter geschaffene Domfenster war nicht nach dem Geschmack des Erzbischofs. Es passe eher in eine Moschee, meinte er.
Nun kämpft er gegen die »Neuen Atheisten«. Meisners Predigt verlagert durch ihren Nazi-Vergleich bewusst die historische Perspektive. Die Agitation gegen die »Gottlosen« schweigt von der Rolle der Kirche in Kriegen und Kreuzzügen. Sie redet nicht über Papst Pius XII., den Stellvertreter. Sie verheimlicht die »Rattenlinie« genannte vatikanische Fluchthilfe für NS-Größen. Meisner ist ein Wortführer der moralischen Aufrüstung. Ohne historische Einschränkung erteilt er der Armee seinen Segen. In seinen alljährlichen Soldatengottesdiensten verkündigt er Sätze wie: »In betenden Händen ist die Waffe vor Missbrauch sicher.« Dann waren die Soldaten der Wehrmacht wohl Atheisten?

Meisner hütet das Vermächtnis der konservativen Kulturkämpfer. Von seinen störrischen Schafen in der Wirkstätte Köln oft verspottet, wird ihm seine Macht dank der steuerlichen Alimentierung durch jenen Staat erhalten, dessen Personal er leidenschaftlich die Leviten liest.
Der Kölner Kardinal ist ein Wiederholungstäter. Empörte Proteste werden ihn auch fortan nicht beeindrucken. Vielleicht aber der Umstand, dass ein Blick auf das von Richter gestaltete Fenster wöchentlich mehr Menschen in den Dom lockt als alle Predigten des Erzbischofs im ganzen Jahr.