Über das neue Album der Berliner Girlband Cobra Killer

Cobra, übernehmen Sie!

Die Berliner Girlband Cobra Killer hat nach vierjähriger Schaffenspause ein neues Album aufgenommen. Axel Grumbach und Elke Wittich trafen Gina d’Orio und Annika Line Trost

Ein Lied gegen den Klimawandel kurz und bündig mit »Schneeball in die Fresse« zu betiteln und dafür so gegensätzliche musikalische Kräf­te wie Jon Spencer und Die Prinzen als Mitwirkende zwangszuvereinigen, zeugt von exquisiter Geschmacklosigkeit. Die sich die Berliner Zweifrauen-Band Cobra Killer leisten kann. Die Lust am Zusammenführen kon­trärer Welten kennzeichnet auch das neue, vergangene Woche vorgestellte Album »Uppers & Downers«, ein hybridartiges Gebilde aus rumpelndem Garagenrock und knarzenden Synthieläufen. Die krude Punk/Pop-Alchemie früherer Werke, wo die Songs Sample-Attacken brachial-trashigster Art ausgesetzt waren, ist nun­­mehr einem professionellen Eklektizismus gewichen.
Aufgelockert wird die hier fortschreitende Verloopung der Musikwelt durch launige Gastbeiträge namhafter Indie-Heroen wie Jon Spencer, Thurston Moore und J. Mascis. Deren teils auf gemeinsamen Touren aufgenommene Tracks kommen angenehm lo-fi und dahingerotzt daher und kratzen damit kontrastreich an den sonst teils glatten Oberflächen der Songs.
Wie wild es bei den Live-Shows von Cobra Killer zugeht, das deuten die auf dem Cover des neuen Albums abgebildeten High Heels an. Die ebenso gigantischen wie geschundenen Plateausohlen der Schuhe, die zum Markenzeichen der Band wurden, sehen im wahrsten Sinne des Wortes heruntergerockt aus und zeugen von den gnadenlosen Einsätzen auf den Bühnenbret­tern dieser Welt. Zu den festen Programmpunkten eines Konzerts gehören seit Jahren schon das Entree in schwarzen Ledermänteln, eine ausgiebige Rotweindusche, hemmungsloses Stage­diven und dilettantisches Hula Hoop. Von diesen Ritualen lässt man sich ungern abhalten: Bei einem Konzert in der Berliner Volksbühne vor einigen Jahren schien so etwas wie Publikumsurfen unmöglich, mit vollem Einsatz robbten die beiden trotzdem durch die Stuhlreihen über die staunenden Zuschauer hinweg, aufgerissene Strumpfhosen und blutige Knie waren der Lohn für den irren Akt.
Dieses Zelebrieren rauschhafter Feste der Enthemmung in bester Punk-Manier hat etwas von dionysischer Erhabenheit; mit anderen Worten: »Wenn man nicht damit rechnet, auf den Boden zu knallen, sollte man erst gar nicht an Stagediven denken«, findet Gina d’Orio. Bühnenangst scheinen die beiden jedenfalls kaum zu kennen: »Ich glaube, das Publikum hatte mehr Angst vor uns als wir vor ihm«, lacht Gina d’Orio, Annika Line Trost ergänzt: »Wir wollen Energie mit Leuten teilen, und wenn es negative Energie ist, dann ist das doch viel besser als diese lauwarme ›Seid ihr alle gut drauf?‹-Kacke.«
Dass sie mit ihren radikalen Shows nicht immer nur Zuspruch finden, versteht sich von selbst: »Beim Reading Festival wurden wir ins Comedyzelt gebucht, wo vor uns so ein englischer Mike Krüger aufgetreten war, der lauter sexistische Jokes zur Gitarre vorgetragen hatte.« Vor 3 000 Betrunkenen begannen Cobra Killer ihre Show und gerieten sofort in einen Hagelsturm aus Plastikbechern. »Eigentlich war es nicht gefährlich, außerdem ist Werfen immer noch besser als Rotzen«, sagen die Frauen. Die Band zog ihr Programm durch, »und dann, als die Party richtig losging, durften wir nicht wieder on stage, weil die Veranstalter Angst bekommen hatten. Stattdessen wurde eine Bauchtänzerin auf die Bühne geschickt.«
Schon seit frühester Jugend spielen die beiden Frauen in Bands (»Wir machen jetzt länger Musik als keine« , Gina d’Orio), beide standen mit 13 zum ersten Mal auf der Bühne, Gina bei den Lemonbabies, Annika spielte Schlagzeug bei einer Sixties-Garagen-Band. »Wir trafen uns immer wieder auf irgendwelchen Konzerten oder begegneten uns in Übungsräumen.« Zur Zusammenarbeit kam es aber erst 1998, beide waren damals noch Mitglieder anderer Bands aus dem Umfeld von Alec Empires Digital Hardcore Recordings. Gina d’Orio spielte bei Ec8Oor, Annika Line Trost bei Shizuo. Ihr krachig-kreischiges Debüt-Album erschien dann noch bei DHR, und auf den Konzerten bekamen die Besucher meisterhaft kakophonisch inszenierten Electropunk mit voller Wucht um die Ohren gehauen. 1999 debütierte im Vorprogramm der Cobra Killer die kanadische Musikerin Merrill Nisker, die bald darauf unter dem Namen Pea­ches eine Weltkarriere starten sollte.
Aus dieser Zeit ist an den beiden auch das ungeliebte musikalische Etikett »Electroclash« haften geblieben. Über die Jahre entwickelten sich Cobra Killer zu einem deutschen Exportschlager der besonderen Art, der Fans in China und Brasilien zu Rotweinduschen animiert. Touren mit Jon Spencer, Peaches und Sonic Youth sorgten für Aufsehen in der Musikwelt, und von Thurston Moore ernteten sie daraufhin hym­nische Verehrung: »We played a couple of shows these last few nights in Germany with a band called Cobra Killer that completely knocked us out … It’s two girls & a sampler, and it was just phenomenal, like two of the most inspiring shows on a lot of different levels. I really loved it.« Auch Ex-Malaria-Frontfrau Gudrun Gut zählte schon früh zu den Fans der umtriebigen Frauen und nahm sie deswegen 2002 bei ihrem Label Monika Enterprises unter Vertrag.
Die Unbeirrbarkeit, mit der sie über ein Jahrzehnt ihre Vision realisiert haben, zeugt von dem großem Selbstbewusstsein der beiden, die auch immer darauf bedacht waren, größtmögliche Eigenständigkeit zu bewahren. Gina d’Orio erklärt: »Man muss sich viel aneignen, um auto­nom zu bleiben. Songrwiting, Technik, Produzie­ren, Organisatorisches, Lichttechnik, wir haben viel gelernt und eigentlich deswegen viel mehr Berufe als nur Musikmachen.« Zur Freiheit, die sich Gina d’Orio und Annika Line Trost nehmen, gehört nicht nur, auf der Bühne genau das zu tun, was sie wollen. »Wir treten auch nicht um des lieben Friedens willen irgendwo auf, nur weil man uns zufällig gebucht hat«, beschreiben sie ihre generelle Haltung, »wenn wir ankommen und feststellen, dass es nicht geht, dann geht es eben nicht. Und dann gehen wir lieber mit unseren Fans irgendwo in eine Kneipe und haben Spaß. Das ist besser, als ein Konzert unter vollkommen indiskutablen Umständen zu geben.« Und so spielte man eben auch nicht, als man in Barcelona als Act für ein Fashion-Event engagiert worden war. »Als wir ankamen, sahen wir gleich, dass die absolut keine Ahnung haben, was wir machen, der Mischer wäre absolut indiskutabel weit weg von der Bühne platziert worden. Und deswegen sind wir dann auch nicht aufgetreten, man wollte nicht uns, man wollte nur einen Event-Programmpunkt.« So ähn­lich war es auch kürzlich im Frankfurter Club von Sven Väth, wo Cobra Killer feststellen mussten, dass sie in einem Restaurant auftreten sollten, »die dachten wohl, wir seien Gogo-Tänzerinnen«.
Die schlimmste Tour-Erfahrung machten die beiden in Schweden. Cobra Killer wurden am Morgen nach einem Konzert im Malmöer Debaserclub verhaftet, aus dem Hotel heraus, von einem Großaufgebot der Polizei. »Die Begründung? Sie haben gesagt, wir seien auf Drogen«, sagt Gina d’Orio. Warum die staatliche Exekutive aktiv wurde, weiß allerdings niemand so genau. »Wir gehen davon aus, dass die Leute vom Club dahintersteckten, die fanden uns schon in dem Moment Scheiße, als wir zur Tür hereinkamen, und es wurde nicht besser, vielleicht, weil wir ihren guten neuen Teppich schmutzig gemacht haben.« Schließlich wurden Cobra Killer irgendwann wieder freigelassen, nachdem die angeordneten Urintests negativ ausgefallen waren »und ihnen wahrscheinlich nichts mehr einfiel, weswegen sie uns in Haft behalten könnten«, wie Annika Line Trost sagt. Die Stunden im Gefängnis hatten jedoch Konsequenzen: Die Band wurde von ihrer Booking-Agentur Powerline gefeuert, »weil wir so kompliziert wären«. Und der Malmöer Debaserclub steht jetzt, wenig verwunderlich, auf der ganz persönlichen Schwarzen Liste der Cobra Killer: »Verhaftet zu werden, ist nicht hip, man hat uns die Unbefangenheit genommen, mit der wir bis dahin auf Tour gegangen sind. Das werden wir niemals verzeihen.«

Cobra Killer: Uppers & Downers. Monika Enterprise