Über Mahmoud Abbas und die Wahlen in der Westbank

Keine Wahl für Abbas

Der palästinensische Präsident hat an­gekündigt, für die Wahlen in der Westbank nicht mehr zu kandidieren. Inzwischen steht nicht mehr fest, wann die ursprünglich für Januar geplanten Wahlen statt­finden werden. In den palästinensischen Gebieten droht eine Zuspitzung der innenpolitischen Krise.

Die Ankündigung des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas, bei den Wahlen in der Westbank nicht mehr zu kandidieren, ist wieder zu den Akten gelegt worden. Denn inzwischen hat die Wahlkommission in Ramallah mitgeteilt, die für den 24. Januar geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen seien auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Als Grund dafür wurden die Weigerung der Hamas genannt, die Wahl in dem von ihr kontrollierten Gaza-Streifen abzuhalten, aber auch, dass Israel die Durchführung der Wahlen in Ost-Jerusalem nicht zulasse.
Aber auch Abbas hat bei mehreren Anlässen die Aussagen über seinen Rücktritt relativiert. Dennoch könnte hinter seiner Ankündigung mehr stecken als nur ein taktisches Manöver. Für Abbas, und in gewisser Weise auch für die Aussichten auf eine Erneuerung des Friedensprozesses, schwinden die politischen Optionen nämlich zusehends.

Die Ankündigung von Abbas kam nach einer Kehrtwende in der US-amerikanischen Politik gegenüber Israel und war auch zunächst dazu gedacht, diese wenn nicht rückgängig zu machen, so doch wenigstens abzuschwächen. Bei ihrem Besuch in Israel vor zweieinhalb Wochen hatte US-Außenministerin Hillary Clinton gesagt, Is­rael mache derzeit »beispiellose Zugeständnisse« in Hinblick auf die Siedlungspolitik in der Westbank. Sie bezog sich dabei auf die Absicht, keine neuen Siedlungen mehr zu errichten und die Bautätigkeit in den bestehenden Siedlungen etwas einzuschränken. Von einem umfassenden Baustopp, wie ihn die palästinensische Seite und bis vor kurzem auch noch die US-amerikanische Regierung gefordert hatte, war nicht die Rede.
Die Wende in der US-amerikanischen Politik kam für Abbas unerwartet. Würde er an seiner im Einvernehmen mit den Amerikanern bezogenen Position festhalten, dass ein Baustopp die Vorbedingung für Verhandlungen ist, so könnte er von der israelischen Regierung als Friedensverweigerer dargestellt werden. Würde er diese Forderung zurücknehmen, so wäre er den Angriffen der Hamas, aber auch der Radikalen aus den eigenen Reihen, schutzlos ausgeliefert, seine Glaubwürdigkeit wäre zerstört. Die Ankündigung seines Rückzugs hat zumindest dazu geführt, dass die US-amerikanische Regierung nun wieder schärfere Töne gegenüber Israel anschlägt. Die USA haben in dieser Situation mehr als unglücklich agiert. Die Inkonsistenz ihrer Politik ging nicht nur auf Kosten von Abbas, sondern schadete auch ihrem eigenen Einfluss bei den Konfliktparteien.
Für Abbas jedoch steht weit mehr auf dem Spiel. Zu sehr ist seine Position mit einer Strategie der Zugeständnisse gegenüber Israel und einem Bündnis mit den USA verbunden, als dass er ohne entsprechende Gegenleistungen Israels und der USA langfristig politisch überleben könnte. Von Benjamin Netanjahu hat Abbas in dieser Hinsicht noch weniger zu erwarten als von dessen Vorgänger Ehud Olmert, der auch schon die Unterstützung von Abbas nicht gerade zu seinen wichtigsten Zielen rechnete. Sollte nun auch Barack Obama dauerhaft von seinen Forderungen an die israelische Regierung abrücken, dann stünde Abbas vollends mit leeren Händen da.
Ein Rückzug von Abbas hätte noch eine ganze Reihe weiterer Folgen, sowohl für die Palästinenser, als auch für Israel. Alle Beobachter gehen davon aus, dass in diesem Fall auch die palästinensische Regierung unter Salam Fayyad zurücktreten würde. Diese hat es aber erreicht, dass in der Westbank in den vergangenen Monaten weitgehend Ruhe herrschte, und zwar selbst während des Kriegs im Gaza-Streifen im Januar. Die militanten Gangs, die noch vor nicht allzu langer Zeit die Straßen von Nablus und Tulkarem beherrschten, sind weitgehend verschwunden. Als vor einigen Wochen eine Serie von Gewaltverbrechen Tel Aviv erschütterte, sprach sich dort herum, man sei nachts auf den Straßen von Ramallah sicherer als auf denen der israelischen Metropole. Nicht zuletzt dieser Umstand dürfte der Grund dafür sein, dass auch von israelischer Seite eindringliche Appelle an Abbas gerichtet wurden, sich seinen Schritt noch einmal zu überlegen.

Wann auch immer Wahlen in den palästinensischen Gebieten stattfinden, es ist fraglich, ob die Fatah mit Mahmud Abbas an der Spitze gegen eine nicht zuletzt durch den Krieg im Gaza-Streifen gestärkte Hamas eine Chance hätte. Mit einem anderen Kandidaten, der weder durch eine als zu nachgiebig empfundene und vor allem erfolglose Politik gegenüber Israel noch durch seine Verwicklung mit dem korrupten System der alten Fatah-Führung kompromittiert ist, könnte dies anders aussehen. Genannt wird immer wieder Marwan Bar­ghouti, der zurzeit wegen mehrfachen Mordes im Zusammenhang mit der zweiten Intifada in israelischer Haft sitzt. Würde Israel Barghouti freilassen, um ihm eine solche Kandidatur zu ermöglichen, würde dies möglicherweise nicht nur die Herrschaft der Fatah in der Westbank erhalten, sondern es auch Israel ersparen, am Ende mit einer von der Hamas geführten pa­lästinensischen Regierung verhandeln zu müssen.
Allerdings ist wieder einmal nichts sicher auf der palästinensischen Seite. Ein vorheriger Rücktritt des Präsidenten scheint eher unwahrscheinlich, obgleich auch dieses Gerücht immer wieder auftaucht. In diesem Fall würde die palästinensische Verfassung vorsehen, dass der Parlamentspräsident interimsmäßig das Amt des Präsidenten übernimmt. Dies aber ist Aziz Dweik, ein Vertreter der Hamas, die im derzeitigen palästinensischen Parlament die stärkste Fraktion stellt. In jedem Fall benötigt Abbas einen handfesten politischen Erfolg, um sich selbst an der Macht behaupten zu können, aber auch, um die gegenwärtige Zustimmung in der palästinensischen Bevölkerung zu seinem Kurs einer nicht-militanten Lösung des Konflikts zu erhalten.
Ein Erfolg wäre es etwa, wenn sich Israel tatsächlich zu einem Moratorium beim Siedlungsbau verpflichten würde. Jenseits des nationalistischen Spektrums ist in Israel der Sinn und Zweck dieses Siedlungsbaus ohnehin höchst umstritten. Viele Israelis sind der Ansicht, dass nicht so sehr die Palästinenser die Zukunft Israels bedrohen, sondern die Siedlungen und das Besatzungsregime, das im Widerspruch zum demokratischen Selbstverständnis des Staats steht. Immer wieder wird auf die immensen Summen an öffentlichen Mitteln hingewiesen, die dafür benutzt werden, das politische Projekt einer kleinen Minderheit der israelischen Gesellschaft zu realisieren.

Diese Minderheit besitzt jedoch in der Regierung ein überproportionales Gewicht. Sie stellt nicht nur eine kleine, aber durchaus entscheidende Koalitionspartei, sondern verfügt auch in Ministerpräsident Netanjahus eigener Likud-Partei über starken Einfluss. Netanjahus Widerstand gegen einen Baustopp bei den Siedlungen ist nicht zuletzt die Folge dieser Konstellation: Würde er einwilligen, würde er seine Regierung aufs Spiel setzen. Dies hat ihm von liberalen Kommenta­toren in Israel den Vorwurf eingebracht, es mangele ihm an staatsmännischem Format. Anstatt der langfristigen Stabilität Israels gelte seine Sorge der kurzfristigen Stabilität seiner Koalition.
Entscheidender noch als der Unwille der rechten Parteien, sich um eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zu bemühen, ist jedoch das Fehlen einer realen politischen Alternative zu dieser Kompromisslosigkeit. Die Arbeitspartei, die in den neunziger Jahren eine solche Alternative darstellte, hat unter der Führung von Ehud Barak nicht nur ihre gesellschaftliche Bedeutung eingebüßt, sondern sich auch willig in die Koalition der Rechten eingefügt. So ist es kein Zufall, dass das von Barak geführte Verteidigungsministerium immer wieder neue Baugenehmigungen für die Siedlungen erteilt.
In der Unruhe, die von Abbas’ Ankündigung ausgelöst wurde, kam plötzlich eine ganze Reihe von diplomatischen Initiativen auf den Tisch. So wird nun in Israel und Syrien wieder über mögliche direkte Verhandlungen zwischen beiden Staaten gesprochen. Auf eine gewisse Resonanz bei der israelischen Regierung stieß ebenso der Vorschlag von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, eine Friedenskonferenz in Paris abzuhalten, um die Verhandlungen wiederzubeleben. Und schließlich trat Saul Mofaz von der oppositionellen Partei Kadima mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, einen palästinensischen Staat mit vorläufigen Grenzen zu errichten, der 60 Prozent der Westbank umfassen solle, sowie direkte Verhandlungen mit der Hamas in Gaza aufzunehmen. Umfragen zufolge wird diese Initiative von knapp 60 Prozent der israelischen Bevölkerung unterstützt.
Zu befürchten ist jedoch, dass diese Vorschläge wenige Auswirkungen auf den Friedensprozess haben werden. Einen Friedensvertrag mit Syrien wird es kaum geben, solange nicht wenigstens eine Perspektive für einen palästinensischen Staat existiert. Eine Friedenskonferenz dürfte ähnlich wie im vergangenen Jahr in Annapolis eher Absichtserklärungen als verbindliche Vereinbar­ungen produzieren. Und ein palästinensischer Staat, dessen »vorläufige« Grenzen das von den Siedlern beanspruchte Territorium unangetastet lassen, kann von keiner palästinensischen Regierung akzeptiert werden, die den nächsten Tag noch erleben möchte. Dennoch könnte vielleicht gerade dies ein Hinweis darauf sein, dass der ganze Rummel um Abbas zumindest eine positive Konsequenz haben könnte: Es wird für alle Beteiligten immer deutlicher, dass der Konflikt nicht gelöst werden kann, wenn das Problem der Siedlungen nicht gelöst wird.