Über israelische Doku-Soaps mit arabischen Beteiligten

Beten im Container

Wenn in dieser Woche im israelischen Fernsehen die zweite Staffel von »Big Brother« startet, gehört auch wieder eine arabische Teilnehmerin zum Personal der TV-WG. Palästinensische Kandidaten haben in israelischen Doku-Soaps inzwischen einen Stammplatz.

Auf den Straßen von Tel Aviv kennt sie jeder: Ranin Boulos, die 23jährige, die voriges Jahr bei »Big Bro­ther«, dem beliebtesten Format im israelischen Fernsehen, für Furore gesorgt hat. Schon wenige Tage nach ihrem Einzug in die TV-WG klagte die Frau, die sich als christliche Palästinenserin vorstellte, über die religiösen Zeremonien ihrer jüdischen Mitbewohner. »Meine Eltern und Freunde müssen zuhause mitansehen, wie ich den Kiddush bete. Ich habe wirklich versucht, höflich zu sein, und mich dazugesetzt. Aber je­de Woche halte ich das nicht aus, wenn die Tora von mir als einem dummen Nichtjuden spricht und meine Nation beleidigt.«
Solche Aussagen einer jungen Araberin über die Ignoranz der jüdischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber der palästinensischen Minderheit rühren an ein Tabu. Doch im Fall von »Big Bro­ther« musste sich die Mehrheitsgesellschaft zur Primetime solche Kritik gefallen lassen. Eine Stu­die der staatlichen Rundfunkbehörde aus dem Jahr 2005 zeigt, dass arabische Israelis lediglich in zwei Prozent aller Fernsehsendungen vorkommen, obwohl sie inzwischen 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Zudem tauchen sie überwiegend in einem negativen Kon­text auf: Fast immer geht es im Zusammenhang mit der arabischen Bevölkerung um Arbeitslosigkeit, Kri­minalität oder den Nahost-Kon­flikt. Ein Grund dafür ist die Angst der Fernsehproduzenten, Ara­ber könnten die jüdischen Zuschauer verschrecken und den Einschaltquoten schaden. Als Zielgruppe wiederum sind Araber für die Privatsender bisher noch zu unbedeutend, da ein Großteil der arabischen Zuschauer ausschließlich ausländische Satellitenprogramme empfängt. Nur neun Prozent schalten regelmäßig eines der drei frei empfangbaren israelischen Programme ein, vor allem wenn es um Fußball geht oder die Wahlergebnisse verkündet werden.
Im Bereich Reality-TV ist das anders. Das israelische Privatfernsehen, das international standardisierte Formate einkauft, zeigt keinerlei Berührungsängste. Das liegt nicht unwesentlich an Elad Kuperman. Der 40jährige Geschäftsführer der größten Reality-TV-Produktionsfirma des Landes produziert die israelischen Versionen von »Big Brother«, »Frauentausch« und »Su­pernanny«. In fast allen von ihm produzierten Formaten machen auch arabische Kandidaten mit. »Im Reality-TV ist es absolut wichtig, dass nicht alle gleich sind. Deshalb müssen wir Charaktere auswählen, die sich unterscheiden. Wenn wir einen arabischen Kandidaten haben, ist der nächste Gedanke: Lasst uns jetzt jemanden finden, der etwas gegen Araber hat.«
Den kalkulierten Konflikt gibt es auch in der Sendung »Frauentausch« zu besichtigen, in der es um den zeitweiligen Austausch eines Familienangehörigen zwischen zwei Haushalten geht. Die emanzipierte, arabische Tauschmutter Amal wird in den Haushalt des jüdischen, aus Südafrika eingewanderten Shawn gesteckt. Wäh­rend Amal es gewohnt ist, dass ihr Mann den Haushalt erledigt und sich um die Kinder kümmert, erwartet der konservative jüdische Tausch­vater, dass sie Schabbatkuchen backt. »Den ganzen Tag Wäsche waschen, einkaufen, kochen und putzen – da fühle ich mich wie in einem arabischen Haus im Westjordanland. Das bin ich nicht, das passt nicht zu mir«, klagt die Restaurantmanagerin. Shawn lässt sie spüren, wie wenig er von der arabischen Kultur hält. Als er ihr verbietet, arabische Musik zu hören, bricht Amal das Projekt ab.
Unterdessen verbringt ihr Mann mit der jüdischen Tauschmutter seine Zeit in perfekter Harmonie. Gemeinsam schmeißen sie den Haus­halt und respektieren religiöse Unterschiede, etwa als die Tauschmutter Ayelet am Schabbat Wein trinken möchte. Alkohol ist für religiöse Muslime eigentlich tabu, aber Karim tut alles, um den im muslimischen Dorf schwer zu beschaffenden Wein für die jüdische Ayelet zu besorgen. »Das ist eben das Spannende am Reality-TV«, sagt Kuperman, »man weiß nie, was pas­siert. Bei ›Frauentausch‹ sehen wir einen Konflikt, der eskaliert, aber auch etwas anderes als Klischees von Arabern.«
Tatsächlich zeichnet das Format ein für viele Is­raelis ungewohntes Bild: eine emanzipierte mus­limische Familie, in der tradierte Geschlech­terrollen überwunden werden. Kuperman präsentiert den Zuschauern die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Und doch kann es als Fortschritt verstanden werden, wenn die Minderheit im Fern­sehen nicht nur als terroristische Bedrohung präsent ist, sondern in Form von Individuen, mit verschiedenen Eigenarten und Anschauungen.
Vielfach fungieren die arabischen Teilnehmer auch für die eigene Community als Rollenvorbilder, erhalten doch gerade die modernen Palästinenser hier einen Raum, in dem sie ihre Lebensweise vorstellen können – eine Möglichkeit, die ihnen arabische Medien nicht bieten. Doch wegen eben dieser Freiheit kann die Teilnahme an einer israelischen Reality-TV-Show für Araber auch zum Problem werden. Das zeigte sich am Beispiel der Sendung »Israel’s Next Top Model«. Die Muslimin Niral Karantinji entschied das Zuschauer-Voting für sich und setzte sich damit gegen zwölf jüdische Kontrahentinnen durch. Doch ihr Sieg hatte einen bitteren Beigeschmack: Statt Bewunderung erfuhr das frisch gebackene Model in ihrer eigenen Community vor allem Ablehnung. »Sie ist keine Araberin mehr, sie hat unsere Werte verraten und wurde ein Mix aus Jude und Araber«, schimpfte eine Passantin in einer Fernsehumfrage und bringt damit die Meinung vieler arabischer Israelis auf den Punkt. Niral sei zu weit gegangen, als sie öffentlich Alkohol getrunken und sich vor der Kamera oben ohne gezeigt hat. Heute bereut die damals 20jährige ihre Teilnahme an der Show: »Ich würde es nicht wieder tun. Nicht einmal mei­ne Familie konnte das akzeptieren, denn es war einfach zu provokant.«
Mit Nirals Kür zur Schönheitskönigin begann 2006 dennoch der Einzug arabischer Israelis in das heimische Fernsehen. Seit ihrem Sieg ist die Nachfrage nach arabischen Kandidaten im israelischen Reality-TV gewaltig gestiegen. Ob »Supernanny«, »The Biggest Loser«, »A Star is Born« oder »Survivor« – kein Format geht mehr ohne arabischen Kandidaten auf Sendung. Und kein Tabu bleibt dabei unberührt: Erstmals wird zur Hauptsendezeit auf Arabisch gesungen, arabische Teilnehmer müssen in israelische Armeeuniformen schlüpfen und werden mit offen schwul lebenden Juden konfrontiert. Auch Rassismus wird deutlich, wenn sich jüdische Teil­nehmerinnen weigern, denselben Lippenstift zu verwenden, den zuvor eine Araberin benutzt hat, oder ein Paar Schuhe nach dem Propheten Mohammed benannt wird. Nach heftigen Protesten der muslimischen Community verteidigte der Sender Kanal 10 die Ausstrahlung solcher Szenen mit dem Hinweis auf das realitätsnahe Format: »Im Reality-TV wird die Wirklichkeit gezeigt, und wir haben nicht die Absicht, diese zu beschönigen.«
So mussten die Zuschauer auch mitansehen, wie die erste arabische »Big-Brother«-Kandidatin unter dem Mobbing der orthodoxen Mitbewohner litt. In der wöchentlichen Aussprache vor der Videokamera erinnerte sie sich, wie die Teilnehmer gemeinsam die israelische Nationalhymne HaTikva sangen. »Ich habe mich so geschämt, als die Stelle mit der jüdischen Seele kam und all diesen Dingen, die ich nicht teilen kann«, sagte Ranin und brach in Tränen aus: »Ich habe keine jüdische Seele, na und!«
In dieser Woche startet die zweite Staffel von »Big Brother«. Wieder wurde eine konfliktträchtige Hausgemeinschaft zusammengestellt, bestehend aus einer Gehörlosen, einer Transsexuellen, einem Armee-Offizier, einem Mann mit Tourette-Syndrom – und einer emanzipierten Araberin. Futna Jaber soll das Klischee der verschleierten, ungebildeten Muslima einmal mehr in Frage stellen. Ob die 37jährige Friedensaktivistin aus Tel Aviv das Format für ihr politisches Anliegen nutzen wird, können Hunderttausende live auf Kanal 2 verfolgen.