Über die Zukunft von Opel

Do it yourself

Den meisten Beschäftigten in den deutschen Opel-Werken ist keineswegs egal, ob sie von Magna oder GM entlassen werden. Auch die Bundesregierung und die IG Metall geben sich nach dem geplatzten Verkauf an Magna trotzig.

Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Wirtschaftsministers Rainer Brüderle (FDP) war es, zu verkünden, General Motors (GM) habe »kein An­recht auf staatliche Hilfe« bei der Sanierung von Opel, und das klang ganz so, als hätte ein Käufer dieses »Anrecht« gehabt.
Anfang November entschied GM überraschend, Opel doch nicht an Magna zu verkaufen. Die Bundesregierung und der Betriebsrat von Opel hatten bis zuletzt den Einstieg des Konsortiums um das kanadisch-österreichische KFZ-Zulieferunternehmen Magna und die russische Sberbank befürwortet. Dessen Konzept hielten sie für das einzig »tragfähige«. Entsprechend groß war die Enttäuschung über die »nicht nachzuvollziehende Kehrtwende«, wie es der Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, ausdrückte.
Nun soll GM zunächst den Überbrückungskredit der Bundesregierung von 1,5 Milliarden Euro zurückzahlen. Bis Ende November stehen noch Zahlungen in Höhe von 400 Millionen Euro aus.
Wenn Vertreter aus Politik und Gewerkschaft immer wieder fordern, der Konzern solle sich selber um die Sanierung von Opel kümmern, kön­nen sie dabei an Widersprüche und Machtkämpfe bei GM zwischen Management und Verwaltungsrat anknüpfen. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Ed Whitacre, hatte zunächst erklärt: »GM braucht keine Unterstützung aus Berlin.« Gleichzeitig bemühte sich Präsident Fritz Henderson um Staatshilfen, Kredite und Bürgschaften der eu­ropäischen Länder für die Sanierung von Opel. Henderson hatte sich auch, im Gegensatz zu Whitacre, für einen Verkauf von Opel an Magna ausgesprochen. »Henderson wird von Whitacre blamiert«, kritisierte der Vorsitzende des Opel-Gesamtbetriebsrats, Klaus Franz, die »Chaostage bei GM«.

GM rechnet damit, rund drei Milliarden Euro für die Sanierung der europäischen Tochterfirmen Opel und Vauxhall zu benötigen. Experten halten diese Summe für deutlich zu niedrig angesetzt. Die Rating-Agentur Moody’s veranschlagt dafür bis 8,5 Milliarden Dollar. Jedenfalls dürfte GM die nötige Summe kaum aus eigener Kraft aufbringen können und hofft deshalb auf weitere staat­liche Unterstützung in Milliardenhöhe.
Nur dank einer US-Staatshilfe von insgesamt 50 Milliarden Dollar konnte der Autokonzern die Insolvenz überstehen. Dafür hat die amerikanische Regierung rund 60 Prozent der Anteile des Konzerns übernommen. Derzeit beklagt GM ein Minus von 1,2 Milliarden Dollar im ersten Quartal nach der Insolvenz. Die gegenwärtigen Verluste wurden vor allem in den europäischen Unternehmen des Konzerns eingefahren. So erwirtschaftete Opel Europa im vergangenen Quartal ein Minus von 400 Millionen Dollar. Im kommenden Jahr dürften die Geschäfte diesseits des Atlantiks noch deutlich schlechter laufen, weil Maßnahmen aus diver­sen »Konjunkturpaketen« auslaufen und die Abwrackprämien verteilt sind. Trotzdem hat die europäische Hauptmarke Opel eine wichtige Bedeutung für die globale Strategie des Unternehmens. Das Entwicklungszentrum in Rüsselsheim ist für die weltweite Produktion unverzichtbar.

Der plötzliche Sinneswandel von GM blamierte nicht nur die Bundesregierung, er bedeutet auch das endgültige Scheitern der Strategie der IG Metall und des Opel-Gesamtbetriebsrats. Obwohl die betriebswirtschaftlichen Aussichten bei der geplanten Übernahme äußerst unsicher waren, hatte Magna umfangreiche staatliche Bürgschaften und Kredite zugesichert bekommen.
Nach der allgemeinen Einschätzung muss ein Autokonzern, um auf dem globalen Markt bestehen zu können, mindestens drei Millionen PKW pro Jahr produzieren. Davon war Opel/Magna weit entfernt. Selbst die beiden von der Bundesregierung benannten Vertreter in der Opel-Treuhandgesellschaft hatten sich deshalb gegen die Übernahme ausgesprochen. Auch Magna plante den Abbau von 10 000 Arbeitsplätzen und gefährdete damit die Existenz einzelner Werke. Trotzdem hatten sich die deutschen Betriebsratsfürsten und die Führung der IG Metall mit Magna schon auf Lohnkürzungen von jährlich 265 Millionen Euro und den Wegfall von 4 500 Stellen in den deut­schen Produktionsstätten geeinigt.
Die derzeit geäußerten harschen Worte gegenüber GM klingen daher äußerst seltsam. »Die öffentliche Hand darf auf keinen Fall aufgrund va­ger Zusagen GM mit Staatsgeld unterstützen«, forderte Huber. »Ich gehe davon aus, dass sich die Bundesregierung nicht erpressen lässt, zumal es mit Magna eine Alternative gibt«, sekundierte Franz. Wie Wirtschaftsminister Brüderle fordern beide, GM solle zunächst ein realistisches Konzept für die Sanierung vorlegen. Sollte es doch staatliche Gelder geben, dann nur gegen direkte Mitspra­cherechte bei Opel. »Das GM-Management hat in den letzten Jahren in Europa unglaublich viel falsch gemacht: eine falsche Modellpolitik betrieben und die Kosten zu Lasten der Qualität gedrückt. So viel kann kein Politiker falsch machen«, lautete das Fazit von Huber.
Der Frankfurter Bezirksleiter der IG Metall und Opel-Aufsichtsrat Armin Schild forderte, Opel in eine eigenständige Aktiengesellschaft umzuwandeln. Und auch Franz sagte auf einer Protestkundgebung vor der Rüsselsheimer Konzernzentrale: »Die Adam Opel GmbH muss in eine deut­sche Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Wir wollen kein Anhängsel sein, das von Detroit aus durchregiert wird.« Er drohte mit einer Blockade durch die Arbeitnehmervertretung: »Den Weg zurück zu General Motors werden wir nicht mitgestalten, sondern unsere klassische Schutzfunktion für die Belegschaften wahrnehmen.« Die bisher ausgesetzten Tariferhöhungen des Jahres 2009 werden mit sofortiger Wirkung fällig gestellt. »All unsere Vereinbarungen über Zugeständnisse der Arbeitnehmerseite sind nach dieser Kehrtwende von GM gegenstandslos«, bekräftigt Oliver Burkhard, Bezirksleiter der IG Metall in Nord­rhein-Westfalen.
Sollten sich die Beschäftigten nicht auf umfang­reiche Lohnkürzungen einlassen, hat GM bereits damit gedroht, Opel in die Insolvenz zu schicken. Der Konzern fordert, dass die Zusagen des Betriebsrats und der Gewerkschaft gegenüber Magna auch für GM gelten. Nach der Absage an Magna kündigte GM an, 10 000 der insgesamt 50 000 Arbeitsplätze in Europa abzubauen. 30 Prozent der bisherigen Kosten sollen eingespart werden. Der Opel-Betriebsrat befürchtet, dass mehr als 8 000 Stellen in Deutschland gestrichen werden. 2 500 weitere Jobs sollen in Belgien wegfallen. In Großbritannien, Spanien, Ungarn, Polen und Österreich seien angeblich keine Streichungen geplant. Im Unterschied zu Magna soll GM betriebsbedingte Kündigungen und die Schließung mehrerer Produktionsstätten in Europa planen. Die IG Metall vermutet, dass die Werke in Kaiserslautern, Bochum und Antwerpen akut bedroht sein könnten. »Die Marke Opel würde in ihrer Existenz gefährdet, jedenfalls bewusst schwer beschädigt«, prophezeit Bezirksleiter Schild.

Die Gewerkschaft fordert den Verzicht auf Werksschließungen, keine betriebsbedingten Kün­digungen, ein standortsicherndes Investitionskonzept und eine neue Unternehmensstrategie. »Wir werden uns nicht wie die Lämmer zur Schlacht­bank führen lassen«, drohte Huber. Trotz des verbalen Getöses dürften Betriebsrat und Gewerkschaft angesichts der drohenden Insolvenz und der Gefahr von Werksschließungen erpressbar sein und am Ende weitgehende Zugeständnis­se machen. Schließlich lässt sich nur schwer vermitteln, warum die Zusagen gegenüber Magna bei GM nicht gelten sollen. Huber räumte ein mögliches Nachgeben bereits ein, aber »die Belastungen für die Beschäftigten dürfen nicht größer sein als beim Magna-Vorhaben«.
Wie weit Betriebsrat und Gewerkschaft immer noch im Standortnationalismus verhaftet sind, zeigt die Forderung von Franz an die EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, sie möge doch bitte eingreifen, sollten andere EU-Staaten Arbeits­plätze bei Opel subventionieren, um sie zu erhalten. Das könnte schließlich auf Kosten deutscher Arbeitsplätze gehen. Bisher hat die EU-Kommissarin hauptsächlich Deutschland dafür gerügt, dass Staatshilfen für Opel mit Garantien für Arbeitsplätze und Produktionsstätten verknüpft wurden.
Kein Wunder, dass man die Absage an Magna in anderen europäischen Ländern positiver aufnahm. »Das ist ein deutlich besserer Plan für uns«, sagte Tony Woodley, Generalsekretär der bri­tischen Gewerkschaft Unite. In Großbritannien gab es Befürchtungen, dass die Vauxhall-Werke in Luton und Ellesmere Port wegen der hohen deutschen Staatshilfen an Magna geschlossen werden könnten. Auch im polnischen Gliwice, wo Opel produziert, zeigte man sich zufrieden. »Wir weinen nicht gerade vor Glück, aber erleichtert sind wir schon«, sagte Slawomir Ciebiera, der lokale Vorsitzende der Gewerkschaft Solidarnosc.
Von einer Solidarität zwischen allen Beschäftig­ten bei Opel und einem gemeinsamen Kampf für den Erhalt aller Werke kann also keine Rede sein. Hieran haben deutsche Gewerkschaften und Betriebsräte einen entscheidenden Anteil. Die viel beschworene Maxime »Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen!« hat sich als eine leere Floskel erwiesen.
Recht einsam protestiert in Bochum die oppositionelle Betriebsratsgruppe Gegenwehr ohne Grenzen (GOG) gegen Co-Management und allzu große Bescheidenheit. »All die Verzichtsversprechen, die die Betriebsräte vorab für Magna gegeben haben, sind nun hinfällig, und die Co-Manager stehen blamiert da. Wir haben ja schon immer ge­sagt: Verzichten bringt nichts«, sagten Mitglieder der Gruppe im Interview mit der linken Monatszeitung Analyse & Kritik. Ein provinzielles Gezerre um »Standorte« kann man ihnen auch nicht vorwerfen: »Uns ist es egal, welcher Name auf unseren Arbeitsanzügen steht. Es ist uns auch egal, von welchem Konzern wir entlassen werden. Das macht aus unserer Perspektive keinen großen Un­terschied.« Doch ein Kampf, der über die Verhandlungen um Abfindungen und einen Sozialplan hinausgeht, ist auch in Bochum nicht in Sicht.