Ein Gerücht in Bielefeld

Gerüchte aus der Vokü

Wie Bielefelder Linke den jüdischen Holocaust-Überlebenden Karl Pfeifer zum Kriegsverbrecher erklärten.

Wenn eine linke Gruppierung plant, in einem selbstverwalteten linken Zentrum eine Veranstaltung zum Thema »Antisemitismus, Antiziganismus und Neonazismus in Ungarn« zu organisieren, müsste das eigentlich, so sollte man meinen, im Sinne aller an dieser Einrichtung Beteiligten sein. Einige Mitarbeiter des seit 1973 bestehenden Bielefelder ArbeiterInnen-Jugendzentrums (AJZ) jedoch sprachen sich kurzfristig da­gegen aus, den für Donnerstag voriger Woche vorgesehenen Vortrag des 81jährigen österreichischen Journalisten und Holocaust-Überlebenden Karl Pfeifer in ihrem Etablissement stattfinden zu lassen. Deshalb mussten die Organisatoren der Veranstaltung, die Antifa-AG der Universität Bie­lefeld und das Antifa-Referat der örtlichen Fachhochschule, in eine Räumlichkeit der Studentenvertretung der FH ausweichen.
Von Pfeifers Gegnern gab es bis Redaktionsschluss keine öffentliche Begründung. Aus dem AJZ wurde lediglich mitgeteilt, man werde die Angelegenheit Anfang Dezember bei der nächsten Hausversammlung besprechen, die das beschlussfassende Gremium für alle das Zentrum betreffende Belange sei. Auch die Antifa-AG hat bislang nicht öffentlich Stellung bezogen; ihr Mitglied Stefan Költer* schilderte der Jungle World aber die Hintergründe.
Nach seiner Darstellung hatte seine Gruppe bereits Ende Oktober bei der AJZ-Kneipengruppe angefragt, ob diese für die Veranstaltung als Schirmherrin zur Verfügung stehe. Eine solche Kooperation zwischen der Antifa-AG und dem AJZ habe es schon häufiger gegeben. »Die Gruppe wollte daraufhin zwar den Ankündigungstext haben, meinte aber, es gebe wahrscheinlich keine Probleme«, sagte Költer.

Zwei Tage vor dem Vortrag habe die Gruppe jedoch auf einer Hausversammlung des AJZ ihr Veto gegen die Veranstaltung eingelegt. Das hatte zur Folge, dass Karl Pfeifer ausgeladen wurde, denn im AJZ gilt das Konsensprinzip. Das heißt: Ein Antrag wird nur dann genehmigt, wenn ausnahmslos alle beteiligten Gruppen zustimmen. Költer zufolge behauptete die Kneipengruppe, Karl Pfeifer sei von 1947 bis 1949 in der jüdischen Eliteeinheit Palmach aktiv gewesen, die »an einem Massaker in einem palästinensischen Dorf« beteiligt gewesen sei. Konkrete Angaben zu diesem angeblichen Kriegsverbrechen und Pfeifers Anteil daran habe die Gruppe nicht machen können; Beweise für ihre Behauptung sei sie ebenfalls schuldig geblieben.

Stattdessen seien Sätze wie »Er ist ja Zionist« gefallen, und die Kneipengruppe habe gefordert, Pfeifer solle sich von dem »Massaker« distanzieren. Außerdem habe sie argumentiert, Veranstaltungen mit Mitgliedern des »Schwarzen September« – also jener palästinensischen Terrororganisation, die unter anderem für die Ermordung israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 in München verantwortlich war – seien im AJZ »doch ebenfalls unerwünscht«, weshalb die Absage an Karl Pfeifer »vollkommen nachvollziehbar« sei. Dennoch glaubt Költer fest daran, dass auch künftig eine Zusammenarbeit der Antifa-AG mit dem Zentrum möglich ist: »Wir werden die Diskussion suchen und sind zuversichtlich, dass sich die Vorwürfe ausräumen lassen.«
Karl Pfeifer hingegen, der von 1946 bis 1948 in der Palmach diente und am israelischen Unabhängigkeitskrieg teilnahm, war fassungslos: »Die Leute dieser Kneipengruppe forderten offenbar, ich solle zu etwas auf Abstand gehen, von dem sie nicht sagen konnten, wann und wo es stattfand und ob es überhaupt ein Massaker gab«, sagte er der Jungle World. Sie hätten sich »gleichzeitig als Ankläger und als Richter aufgeführt« und es als solche »nicht für nötig befunden, einen ›Zionisten‹ anzuhören«. Die Maxime der Gruppe habe gelautet, frei nach Lessing: »Egal, was ist: Der Jude wird verurteilt, und sei es in seiner Abwesenheit.«

Man darf nun gespannt sein, was die nächste Hausversammlung des AJZ ergibt. Womöglich wird dort ja die Gründung eines autonomen Bielefelder Kriegsverbrechertribunals beschlossen, das Juden ganz basisdemokratisch in Opfer und Täter selektiert. Vielleicht gelangen die linken Deutschen in der ostwestfälischen Provinz aber doch noch im Konsens zu der Erkenntnis, wie unverfroren es ist, sich als Richter über Holocaust-Überlebende aufzuführen, die für einen verteidigungsfähigen jüdischen Staat gekämpft haben.

* Name von der Redaktion geändert