Brandanschlag in Halle

Keine leeren Drohungen

In Halle (Sachsen-Anhalt) brannte das Privat­auto eines Angestellten, der für den Verein Miteinander e.V. arbeitet, vollständig aus. Die Mitarbeiter vermuten einen neonazistischen Brandanschlag.

»Der Anschlag auf einen Angestellten des Vereins zeigt deutlich die Gewaltbereitschaft der rechten Szene«, äußert sich die Sprecherin des Vereins Mit­einander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt. Es geht um den mutmaßlichen Brandanschlag auf das Privatauto eines langjährigen Mitarbeiters in der Nacht auf den 9. November. Der 40jährige gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins und vermutet eben­falls, dass die Täter in der lokalen Neonaziszene zu finden sind.
Das Projekt Miteinander existiert seit 1999 in Sachsen-Anhalt, der Impuls für die Gründung des Vereins war das Wahlergebnis der DVU bei den damaligen Landtagswahlen. Am 26. April 1998 zog die rechtsextreme Partei mit 12,9 Prozent in das Landesparlament ein. Die Mitarbeiter des Vereins, der Bildungsarbeit für demokratische Kultur leistet und über Rechtsextremismus aufklärt, wa­ren schon häufiger das Angriffsziel von Neonazis.

Dass der Brandanschlag auf das Auto derzeit noch als mutmaßlich bezeichnet werden muss, liegt an den noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen des Landeskriminalamtes. Nach Aussagen des Opfers will die Polizei die Möglichkeit eines technischen Defekts an dem Fahrzeug überprüfen. Für die Mitarbeiter des Vereins ist jedoch offensichtlich, dass »alle bislang bekannt gewordenen Fakten« einen »neonazistischen Brandanschlag« nahelegen. Denn Bedrohungen gibt es schon lange. Das Repertoire reicht dabei von öffentlich verkündeten Gewaltandrohungen bis hin zum persönlichen Besuch an der Haustür. »Da teilt einem der stadtbekannte Nazi mit, dass er das Klingelschild lesen kann und sich die Adres­se mer­ken wird«, berichtet ein Mitarbeiter. Auch das Opfer des Anschlags hat Drohungen erhalten. Bei einer Demonstration der Jungen Nationaldemokraten (JN) im Herbst vergangenen Jahres wurde ihm mitgeteilt, dass er nicht in der Öffentlichkeit angegriffen werde, sondern »erst, wenn es keiner sieht«. Nach Einschätzungen von Miteinander e.V. »nehmen gewalttätige Angriffe gegen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von durch Land und Bund finanzierten Beratungsprojekten gegen Rechtsextremismus und für Demokratie bun­desweit zu«. Erst im Juni wurde ein Angestellter am Merseburger Bahnhof mit Todesdrohungen konfrontiert. Im Oktober konnten Neonazis in Berlin am Rande einer Demonstration »offen und ohne erkennbare Sanktionen durch die Polizei Morddrohungen gegen eine Mitarbeiterin eines Beratungsprojekts« aussprechen. Selbst die unmittelbare Nähe zu einem Gerichtsgebäude hat kei­ne abschreckende Wirkung. Im März 2009 sei der Kollege einer sächsischen Initiative nach der Beobachtung eines Prozesses gegen Neonazis zusammengeschlagen worden, beklagt Miteinander e.V. in einer Pressemitteilung.

Für den Aufbau des Bedrohungsszenarios werden Internetportale genutzt. Die zahlreichen Funktionen des Web 2.0 eignen sich dazu, anonym Informationen und Drohungen zu posten. Immer wieder tauchen im Kommentarbereich der rechten Internetplattform Altermedia Aufrufe zur Gewalt gegen bestimmte Personen auf. Diese sind meist mit Bildern und Filmmaterial von anderen Home­pages verlinkt. Die Nazis bedienen sich dazu aus ungesicherten Profilen von Personen auf Seiten wie StudiVZ, MySpace oder Facebook. Beim Video­portal Youtube hat der User »Superdemokrat« beispielsweise eine ganze Sammlung mit kurzen TV- Ausschnitten hochgeladen, in denen sich Mitarbeiter von verschiedenen Projekten gegen Rechtsextreme äußern. Die Botschaft ist eindeutig, wer seinen Namen und sein Gesicht in der Öffentlichkeit zeigt, soll einer permanenten Drohkulisse ausgesetzt werden. Der aktuelle Fall zeigt, dass solche Drohungen ernst genommen werden müssen.

Zwei Tage vor dem mutmaßlichen Anschlag fand in Halle ein Aufmarsch der Jungen Nationaldemokraten unter dem Motto »20 Jahre Mauerfall  – Wir sind das Volk« statt, der nach Einschätzung von Miteinander e.V. im Zusammenhang mit der Straftat stehen könnte. Im Vorfeld der Demon­stration wurden auf der Website mit dem Aufruf die Namen potenzieller Gegner, unter anderem von Angestellten von Miteinander, veröffentlicht. Während des Aufmarsches verlinkten die JN zusätzlich eine Twitterseite mit aktuellen Situations­berichten. Ebenfalls mit den Namen von potenziellen Gegnern und zusätzlich versehen mit subtilen Hinweisen wie »Grüßt sie doch mal, wenn ihr sie seht«. Unter den dort Genannten fand sich auch das Opfer des mutmaßlichen Anschlags.
Auch während der Demonstration stellten die Neonazis erneut ihre Gewaltbereitschaft unter Beweis. So berichtet die Infothek Dessau von einem Gegendemonstranten, der aus großer Entfernung Papierschnipsel in Richtung der Kundgebung geworfen hatte und daraufhin von einem Ordner gegen den Kopf getreten wurde. Erst nach dem Eingreifen von Zivilpolizisten hatte der Geschlagene die Möglichkeit zu entkommen, heißt es weiter. Einer der Redner, der Magdeburger NPD-Stadtrat Matthias Gärtner, stellte in seiner Ansprache fest, dass »jeder freie Deutsche« ein »Recht auf Selbstverteidigung« habe, von dem er in »Zukunft auch Gebrauch machen« solle. Diesen Redebeitrag kann man durchaus als aufmunternden Appell an die Kameraden werten. Drohungen gegen jene, die sich gegen die rechte Szene zur Wehr setzen, über Rechtsextremismus aufklären und eine Anlaufstelle für Opfer rechter Gewalt bieten, sind nichts Neues, doch die Qualität scheint sich zu wandeln. Von einer neuen Welle rechter Gewalt zu sprechen, wäre verfrüht. Es scheint aller­dings um mehr zu gehen, als um Einschüchterungsversuche, die sich gezielt gegen Mitarbeiter von Programmen gegen Rechtsextremismus richten.
Nach den Aussagen des Opfers hat der Brandanschlag auf seinen Privatwagen zumindest nicht den vermutlich gewünschten Effekt. Denn nach einem anfänglichen Schrecken steht für ihn fest: »Rückzug geht nicht, sie werden nur das Gegenteil erreichen.«