Ausstellung der Arbeiten von Katharina Fritsch in Hamburg

Nichts als Gespenster

Die Hamburger Deichtorhallen zeigen eine Werkschau von Arbeiten der Künstlerin Katharina Fritsch.

Mit einer Werkschau der Künstlerin Katharina Fritsch zeigen die Hamburger Deichtorhallen zurzeit die wohl traurigste Pop-Art-Ausstellung aller Zeiten. In einem großen, hellen Raum sitzt an einer langen Tafel derselbe Mann 16 Mal sich selbst gegenüber: Er trägt kurzes schwarzes Haar und schwarze Kleidung, seine Haut ist weiß, sein Blick gesenkt. Die 32 Figuren nehmen in keiner Weise aufeinander Bezug, nicht die geringste Regung ist von ihnen zu erwarten. Ihr gesamtes Dasein erschöpft sich in der Einheit, die sie mit dem akkuraten rot-weißen Muster der Tischdecke und der Konstruktion der Bänke und des Tisches bilden. Individualität gibt es hier nicht, jedes Exemplar ist Teil einer Serie.
In »Tischgesellschaft«, so der Titel der 1988 entstandenen Arbeit, sind im Prinzip bereits alle wesentlichen Themen der 1958 im Ruhrgebiet geborenen Künstlerin enthalten. Das Unheimliche, die Warengesellschaft und ihre Verformung des Menschen, der Trug der Wahrnehmung, darum dreht sich ihre Kunst immer wieder.
Katharina Fritsch ist eine direkte Nachfahrin der großen Kunstströmungen der sechziger Jahre, der Minimal- und Pop-Art, denen ihre Objekte ihre formale Stringenz zu verdanken haben. Bekannt geworden ist die Künstlerin Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre mit ihren spektakulären, lebens- oder überlebensgroßen Arbeiten, von denen in der Hamburger Ausstellung allerdings nur wenige zu sehen sind.
Bezeichnend für Fritschs Werk ist die häufige Verwendung von mit Angst und Abscheu besetzten Bildern. Die zweifellos bekannteste unter ihren Skulpturen ist der nicht in den Deich­torhallen ausgestellte, zu Beginn der neunziger Jahre entstandene »Rattenkönig«. Es handelt sich dabei um 13 im Kreis auf den Hinterbeinen stehende Ratten, deren Schwänze in der Mitte zu einem Knäuel zusammenlaufen. Mit einer Körperhöhe von knapp drei Metern überragen sie ihre Betrachter. Eine Entsprechung findet sich in »Mann und Maus« aus dem gleichen Zeitraum: Die Polyesterskulptur stellt einen friedlich im weiß bezogenen Bett schlummernden Mann dar, auf dessen Brust eine überdimensionierte Maus hockt.
Das Interesse der Kunsttheorie an diesen Werken war erstaunlich, Autoren wie Liam Gillick, Jutta Koether und Carolyn Christov-Bakargiev befassten sich in aller Ausführlichkeit mit diesen Arbeiten, der »Rattenkönig« gehört zu den meistdiskutierten Werken der neunziger Jahre.
Die Kuratoren der Hamburger Ausstellung, Bice Curiger und Robert Fleck, haben den Schwerpunkt auf Fritschs neuere Arbeiten gelegt. Diese sind allein schon aufgrund ihrer geringenGröße und Kleinteiligkeit wesentlich unaufgeregter als die Klassiker. Im Großteil der Besprechungen zur Ausstellung äußern sich die Rezensenten mit Spott und Langeweile. Dabei ist die traurigste Pop-Art-Ausstellung aller Zeiten alles andere als langweilig. Nur traurig eben. Ähnlich den Pappaufstellern im Foyer eines Kinos erwarten hier den Besucher zu Beginn die Pro­tagonisten der Ausstellung – seltsame Archetypen, darunter ein Koch, ein steinzeitlicher Riese, die heilige Katharina, St. Nikolaus und die Madonna von Lourdes. Die farbliche Mattheit dieser monochromen, lebensgroßen Polyesterfiguren unterscheidet sie von anderen in Folge der Pop-Art entstandenen Kunstwerken, wie etwa den Arbeiten Jeff Koons’ oder Takashi Murakamis. So debil Murakamis knallbunte grinsende Plastikbärchen auch sein mögen, im Gegensatz zu den Figuren von Fritsch erscheinen sie überaus kraftvoll, sie strahlen eine gewisse Präsenz und Gültigkeit aus, die dem Riesen, dem Koch und der Madonna vollkommen abgehen. Mit ihren blässlichen Farben und der matten Polyesteroberfläche wirken Fritschs Figuren fast schon wie Gespenster.
Die gelbe Madonna von Lourdes steht im Schnittpunkt von Kunst, Ware und Religion. Man begegnet ihr in Hamburg nicht nur als lebensgroße Skulptur, man findet sie auch zu Dutzenden in einem ausgestellten Warenständer. Anlässlich der Werkschau erschien die Madonna in kleiner Auflage als Multiple, konnte für 980 Euro im Museumsshop gekauft werden und war wenige Tage nach der Eröffnung bereits vergriffen. Vor wenigen Jahren noch stand das Original der gelben Madonna im erzkatholischen Münster in der Fußgängerzone – genau zwischen einer Kirche und einem Supermarkt.
Der Warenständer für Madonnen, der sich in der Ausstellung zusammen mit einem Wühltisch und einem Warenständer für Vasen in einem Raum befindet, erinnert unwillkürlich an die im Museum aufgetürmten Brillo-Waschmittelpackungen und Campbell’s-Tomato-Soup-Dosen von Andy Warhol. Der vordergründige Unterschied liegt in dem Umstand, dass Warhol Waren zur Kunst erklärte, indem er sie ins Museum brachte, Fritsch hingegen sich bei der Fertigung und Präsentation ihrer Kunstobjekte an der Warenwelt orientiert. Bei Warhol schien der ganze Warenzirkus noch vollkommen intakt zu sein. Brillo und Campbell’s hatten, wie John F. Kennedy, Marilyn Monroe und Elvis Presley, ihren festen Platz im Alltagsbewusstsein und auf den Märkten dieser Welt. Für Stars und Marken sind die Zeiten heute jedoch unsicherer geworden. Wenn sich Fritsch in ihren Arbeiten also auf die Welt der Waren bezieht, wirken ihre Arbeiten in gewissem Sinne fleischloser, unwirk­licher und wirkungsloser als die Warhols.
Einer der Ausstellungsräume ist Paris als Urlaubsstadt gewidmet. An den Wänden hängen Ausschnitte Pariser Ansichtskarten. Zu sehen sind allgemein bekannte, weil allgegenwärtige Paris-Stereotype wie der Eiffelturm, der Louvre, Croissants und eine Flasche Rotwein. In ihren verblassten, muffigen Siebziger-Jahre-Farben wirken diese Bilder überholt und wirkungslos und zeugen doch von einer unglaublichen Strahlkraft. Genau das ist es, was Fritschs Gespensterkunst ausmacht.

Die Ausstellung ist bis zum 7. Februar in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.