Über die Zukunft des ehemaligen Flug¬hafens Tempelhof in Berlin

Tempelhofer Flower Power

Die Internationalen Gartenbauausstellung auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin soll Investoren anlocken und ist Teil des »Masterplan Grün« des Senats.

Mehr als 350 Hektar Grün mitten in der Hauptstadt, dazu der mit über 300 000 Quadratmetern einstmals größte Gebäudekomplex der Welt – was könnte man damit nicht alles anstellen! »Wir wollen interkulturelle Gärten anlegen, Kartoffeln, Obst und Gemüse pflanzen und ernten, im Wagendorf wohnen und Hütten bauen, nach Herzenslust skaten und sprühen, grillen und am Feuer Party machen, mit viel Platz spielen und uns austoben, Blumen pflücken und mit Tieren kuscheln und uns dabei vom harten Alltag der Perspektivlosigkeit und des sinnlosen Schuftens fürs Existenzminimum erholen«, träumt die Initiative »Tempelhof für alle«. Anders der Berliner Senat. Das Tempelhofer Feld soll zur »Parklandschaft« werden, zum »Park des 21. Jahrhunderts«, einem »attraktiven Ort für Sport, Freizeit und Erholung«, und das ehemalige Flughafengebäude, der Bau des Nazi-Architekten Ernst Sagebiel, zur »neuen Berliner Adresse für Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft mit internationaler Ausstrahlung«.

Damit der Kontrast nicht zu groß ist, strebt man auch eine Veränderung der angrenzenden Stadtteile Tempelhof, Kreuzberg und Neukölln an. Das Stadtquartier Tempelhof werde die »Adresse für Zukunftstechnologien«, an der sich »in idealer innerstädtischer Lage Unternehmen, die Produkte des Klimaschutzes, der Umwelt- und Solartechnik oder der nachhaltigen Gebäudetechnologie herstellen, niederlassen«, so die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Zudem sollen zwei Quartiere neu gebaut werden: Am nordöstlichen Rand in Richtung Kreuzberg ist das Columbia-Quartier geplant für 3 000 Menschen und »innovative Wohnformen« wie »Baugruppen, neue Genossenschaftsmodelle oder Mehrgenerationenhäuser«.
Im Osten grenzt das Feld an den »Problembezirk« Neukölln. Hier wird, wenn alles nach Plan läuft, das Stadtquartier Neukölln als »Adresse für städtisches Wohnen am Park« entstehen, in dem 2 400 Menschen im »Geschosswohnungsbau« Platz finden sollen. Die »Parklandschaft« gilt als entscheidender »Standortfaktor«, so können die neuen Bewohner »mitten in der Stadt und doch im Grünen« leben, wirbt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Wer hier später wohnen wird, weiß Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD): die »kreativen Milieus«, wie man sie zum Beispiel im Kreuzberger Bergmannkiez finde, »können hier in einer innovativen Architektur eigene Lebensentwürfe verwirklichen«.

Der Zuschlag für die internationale Gartenbauausstellung (IGA) kommt da gerade recht. 50,5 Millionen Euro reserviert die chronisch klamme Hauptstadt im Haushalt 2017 dafür, dreieinhalb Millionen Besucher erwartet der Senat. Gut 100 Hektar des Tempelhofer Felds sollen für 170 Tage IGA-Gelände werden, die Autoren der »Machbarkeitsstudie« zur Bewerbung kalkulierten mit einem Eintrittspreis von 15 Euro. Der Rest des Parks dient als »Erweiterungskulisse«. Was sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung von der IGA erhofft, formuliert sie so: »Gartenschauen haben in der Vergangenheit gezeigt, dass die Investitionen in die Struktur als Katalysator für vielfältige Nachfolgeinvestitionen der öffentlichen Hand, aber auch des privaten Sektors wirken und dieser positive Effekt auch über das IGA-Areal hinausstrahlt.« Deshalb wird der öffentliche Raum mit einem »definierten Maßnahmenkonzept« in einem festen Zeitrahmen »qualifiziert«, eine »einheitliche, dem Ort gerecht werdende Gestaltungsqualität« gewährleistet und das »Profil« Berlins als »grüne europäische Me­tropole« geprägt.
Das klingt nach schönem neuen Hauptstadtflair, nach Sauberkeit und Anstand. Pech nur für die derzeitigen Anwohner. Zumindest befürchtet die Initiative »Tempelhof für alle« (TFA) dass die Mieten wegen der Bebauung und der kommerziellen Nutzung des Geländes steigen werden und die jetzigen Anwohner früher oder später wegziehen müssen. Sozialer Wohnungsbau ist nicht geplant: Ausschließlich private Investoren kämen zum Zug, sagt die Sprecherin des Senats, Manuela Damianakis, einzige Ausnahme sei der geplante Neubau der Zentral- und Landesbibliothek. Für die Finanzierung der Neubauquartiere berate der Senat derzeit über die Ausrichtung einer internationalen Bauausstellung, ebenfalls im Jahr 2017.
»Wir brauchen kein neues Schickimicki-Viertel mit Mieten, die sich in den umliegenden Gegenden niemand leisten kann«, heißt es bei TFA. Neben der Öffnung des Geländes fordert die Initiative einen Bebauungsstopp und eine Mietpreisbindung für die angrenzenden Quartiere, die nicht auch noch von der »Aufwertungsspirale« erfasst werden sollen wie viele andere Berliner Kieze. So soll etwa die teils vierspurige Karl-Marx-Straße durch eine 100 Millionen Euro teure Komplett­sanierung »jung, bunt, erfolgreich« werden. Im Schillerkiez, der ans Tempelhofer Feld angrenzt und in dem viele Migranten und von Transferleistungen abhängige Menschen leben, steigen die Mieten bereits, berichtet Theo von TFA. Die Bezirksverwaltung Neukölln warnt: Schon jetzt gebe es im Neuköllner Norden zu wenig Grünflächen, insgesamt 140 Hektar fehlten. Im Schillerkiez mangele es außerdem an Kitas, Spielplätzen und Angeboten für Jugendliche. Da ergebe es wenig Sinn, noch mehr Wohnungen für Menschen zu bauen, die noch mehr Infrastruktur benötigten.

So begeistert der Senat über seine Pläne spricht, wirklich konkret sind sie noch nicht. Bisher wurden Hangars, Abfertigungshalle und Rollfeld an zahlende Mieter vergeben, ohne dass ein Gesamtkonzept zu erkennen wäre. Mode- und Sportmessen fanden statt, es wurde geritten, geskatet, eine Marathon-Staffel gelaufen und während der »Pyromusikale« drei Tage lang Feuerwerk verballert. Inzwischen hat die Stadt ein »Projektträgerteam« beauftragt, das bis Ende 2010 einen präzisen »Masterplan« austüfteln soll. Zuständig für den »Masterplan Grün« ist die Grün Berlin GmbH, die später auch den Park betreiben wird.
Nach einer aktuellen Ankündigung des Senats wird das Feld im Mai 2010 »für alle« geöffnet. Das Gelände bleibt aber umzäunt. Besucher sollen es durch fünf Eingänge betreten dürfen und müssen es bei Einbruch der Dunkelheit wieder verlassen. Bis dahin wird das Gelände gesichert und teilweise für den Naturschutz abgesperrt, werden Toiletten, Schilder und Gastronomie aufgebaut. An Kon­trollmöglichkeiten sei bei den wenigen Eingängen nicht gedacht worden, »zumindest im Regelfall und ohne Berücksichtigung von möglichen Sonderveranstaltungen«, sagt Angela Grönewald von der Grün Berlin GmbH. Der Eintritt in den Park solle nichts kosten, beteuert sie wie die Senatssprecherin. Dabei verlangt die Grün Berlin GmbH für die anderen von ihr betriebenen Parks Geld: zwischen einem Euro für den Naturpark Südgelände und drei Euro für den Britzer Garten.
Den Zaun abzubauen, steht jedenfalls nicht zur Debatte. »Die Mehrheit der Bürger will den Zaun«, sagt Damianakis. Tatsächlich hatten sich in einer Bürgerbefragung mehr als 80 Prozent für »Sauberkeit und Sicherheit« ausgesprochen, die Umzäunung befürworteten gut 60 Prozent. Für Theo von TFA liegt das vor allem daran, wer die Fragebögen überhaupt beantwortete. Das seien vor allem Bürger aus Kreuzberg 61, einem längst aufgewerteten Viertel mit vielen Besserverdienenden, »und außerdem die, die am weitesten weg wohnen«. Der Initiative gegenüber habe der Senat den Zaun mit drohender Vermüllung begründet. Doch dahinter stehe die Angst vor dem »Pöbel«, meint Theo. »Wenn das Gelände hinter Zehlendorf liegen würde, wäre das überhaupt kein Thema«, vermutet er.