Anton Kannemeyer im Gespräch über die südafrikanische Comicszene

»Wir haben das Bild des weißen Mannes untergraben«

Anton Kannemeyer, Herausgeber des Magazins »Bitterkomix« und Pionier der südafrikanischen Comicszene, spricht über Pornoarbeit, Punk-Einflüsse und die Verbindung von Comics und Kunst

Wenig ist hierzulande über die südafrikanische Comic-Szene bekannt. Gerade mal ein südafrikanischer Comic ist in den vergangenen Jahren auf Deutsch erschienen, Karin de Villiers »Meine Mutter ist eine schöne Frau«. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich in Südafrika erst in den neunziger Jahren, also nach dem Ende der Apartheid, eine kleine unabhängige Comic-Szene etablieren konnte. Die Szene ist zudem überschaubar, vor allem sind es die beiden Gründer des Comic-Magazins »Bitterkomix«, Conrad Botes und Anton Kannemeyer, die das Genre in Südafrika verbreiten. Beide sind geprägt von einer Kindheit in weißen Familien im Apartheidssystem: Ende der sechziger Jahre geboren, haben sie die volle Wucht der auf Rassismus und Religion aufbauenden Erziehung am eigenen Leib erfahren. Drastisch fallen ihre Comics aus: Sie greifen sämtliche Unterdrückungsmechanismen und Institutionen an, die Kirche, den Rassismus, das Militär, die elterliche Autorität; thematisieren sexuellen Missbrauch, Homosexualität, Interracial Sex. Gegen die Nachwirkungen eines Systems, das sich gegen jegliche Form von »Vermischung« richtete, setzten sie auf das hybride Medium Comic. Damit eckten sie ziemlich an; einige ihrer Comics wurden verboten, 1995 wurden Arbeiten Anton Kannemeyers während einer Ausstellung beschädigt.

»Bitterkomix« erschien erstmals 1992. Gab es damals schon irgendwelche Comics?

In den siebziger und achtziger Jahren waren ein paar amerikanische und britische Comics in Südafrika erhältlich, das meiste davon Superheldenkram und ein paar Funnies für Kinder, etwa die Walt-Disney-Palette, »Archie«, »Richie Rich« oder »Beano«. Außerdem gab es ins Afrikaans übersetzte Ausgaben von »Tim und Struppi« und »Asterix«, und es gab einen berühmten Cartoonisten auf Afrikaans, T.O. Honiball. Er zeichnete eine Comic-Serie über eine Affenfamilie, »Adoons-Hulle«, das war nicht wirklich politisch. Es gab also ein paar Comics, aber keine wirklich subversiven oder politisch herausfordernden Sachen.
Magazine wie »Metal Hurlant« aus Frankreich oder andere Underground-Comics waren in Südafrika völlig unbekannt und aus diesem Grund auch nicht offiziell verboten, so weit ich weiß. Aber um 1990 herum wurden einige Comics auf den Index gesetzt, zum Beispiel der relativ harmlose Softporno »Mila Manara« – nicht weil dieser Comic subversiv gewesen wäre, sondern weil er explizite sexuelle Inhalte hatte.
Es gab ein oder zwei Versuche, in Südafrika Underground-Comics zu machen – der bekannteste war ein Comic-Magazin mit dem Titel »PAX: New Azanian comics« von Mitte bis Ende der Achtziger. Das Heft wurde in Durban gemacht und von Andy Mason geleitet. Dieses Magazin erschien auf Englisch, nicht auf Afrikaans, und war stark beeinflusst von Gilbert Sheldon und Robert Crumb. Es hatte eine kleine Auflage von vielleicht 500 Stück, eher weniger, und lief über sechs Ausgaben. Das Artwork war sehr uneinheitlich, die Stories waren auch nicht immer besonders gut. Aber ein paar südafrikanische Comic-Zeichner und Cartoonisten konnten dort erstmals etwas veröffentlichen, wie etwa Rico von »Madam & Eve« und Zapiro.
Es war eine Zeit der politischen Unsicherheit, da die ersten freien Wahlen 1994 bevorstanden. Es war die perfekte Zeit, sich über die Ängste der südafrikanischen Weißen lustig zu machen.

War Ihre Entscheidung, den Comic als Ausdrucksmedium zu nutzen, eine politische? Schließlich ist der Comic ein Medium, das in den traditionellen kulturellen Konzepten der Elterngeneration nicht existierte.

Ich habe im Alter von zwölf Jahren damit begonnen, Comics zu sammeln. Damals habe ich auch meinen ersten »Hulk«-Comic gekauft, den ich immer noch besitze, und ich war total besessen von »Tim und Struppi«. Als ich jünger war, wollte ich lediglich Abenteuer-Comics zeichnen, als ich aber damit begann, meine Stories in Südafrika anzusiedeln, schlich sich gesellschaftspolitischer Kram ein. Mein erster Comic – eine Kollaboration mit Conrad Botes – handelte vom Wehrdienst, und sofort identifizierten sich viele junge Leute damit. Von Anfang an forderte »Bitter­ko­mix« jede Form von Autorität heraus, seien es die Eltern, die Kirche, die Schule oder die Armee. Wir benutzten eine sehr ordinäre Sprache, wie sie zur damaligen Zeit selten irgendwo zu lesen war.

Ihre Arbeiten werden in der unabhängigen Comic-Szene genauso geschätzt wie in der ­Galerie-Szene.

Unsere Arbeitsweise als Comic-Macher ist geprägt durch die Kunsthochschule. Wir haben nicht wirklich versucht, uns in irgendeinem größeren Comic-Kontext zu positionieren, denn es gab keine Comic-Zeichner, mit denen wir uns hätten vergleichen können. Südafrika war kulturell isoliert, unter der Apartheid gab es aufgrund der Zensur keine kulturellen Austauschprogramme. In unserer Kunsthochschule wurden wir immer aufgefordert, uns Problemen konzeptuell anzunähern. Conrad und ich haben zwar Graphikdesign und Illustration studiert, aber es gab viele Kontakte zu den Kunststudenten, zum einen überschneidet sich der Lehrplan, zum anderen ist die Hochschule so klein, dass man sich überall trifft. Wir wussten von Anfang an, dass ein Comic-Magazin keinen großen Einfluss haben würde, also präsentierten wir auch Kunstsachen auf Farbseiten. Die wurden in den Galerien sehr gerne gezeigt.

Sie benutzen viele Motive Hergés, und in »Black« thematisieren Sie den Rassismus in »Tim und Struppi«. Wieso ist Hergé so präsent in Ihren Comics?

Zum einen gibt es eine starke emotionale Verbindung. »Tim und Stuppi«, das war die beste Form von Eskapismus in meinen vorpubertären Jahren. Das war wie ein Fels in einer unbeständigen Kindheit. Mein Vater war ein übergriffiger Alkoholiker, er war vier Mal verheiratet. Meine Mutter hat mich zu ihm gegeben, als ich drei Jahre alt war, und ich habe sie als Kind nur zwei Mal wiedergesehen.
Außerdem ist da der hohe künstlerische Standard, den Hergé geschaffen hat. Seine klare visuelle Kommunikation ist herausragend, sein Sinn für Humor und seine narrativen Fähigkeiten sind brillant, die Zeichnungen haben Leben, und die Kolorierungen sind großartig. Was »Black« betrifft: Ich habe den Ligne-Claire-Stil benutzt, weil das Sujet perfekt dafür geeignet war. Ich wollte das schwarze Kind als den neuen Tim zeigen, während das Kind meines Freundes das »Andere« repräsentierte – er ist derjenige, der barfuß herumläuft, er kann Holzfiguren schnitzen, er benutzt Umgangssprache, etc. Was »Tim im Kongo« angeht, dazu hätte ich viel zu sagen. Der Band sollte jedenfalls in Schulen benutzt werden, um Kinder die Geschichte des Rassismus zu lehren – er sollte nicht ein weiterer Comic sein, der rumliegt und den Kinder unkommentiert lesen. Er bildet wirklich rassistische Stereotypen ab und ist beleidigend gegenüber Afrikanern wie auch gegenüber Europäern.

Sie beziehen sich auch auf die amerikanische Underground-Tradition, auf die sexuell expliziten Comics eines Robert Crumb oder Spain Rodriguez. Ist die Abbildung expliziter Sexualität in Ihren Comics ein Akt der Subversion? Und welche Reaktionen gab es?

Ja, wir wurden stark von der Underground-Bewegung beeinflusst, insbesondere vom New Yorker »Raw«-Magazin. Ich glaube, der Einsatz von Pornografie war tatsächlich eine Reaktion auf die Jahre der Zensur und im Speziellen auf die Tatsache, dass Nacktheit in den Medien in Südafrika lange Zeit verboten war. Damals überlegten wir: Also, was ist das Schlimmste, was wir machen können? Und Junge, Junge, das hat die Menschen provoziert! Nicht nur die Konservativen in der Gesellschaft, es gab auch Freunde, die, nachdem wir »GIF: Afrikaner Sekskomieks« veröffentlicht hatten, nie wieder mit mir gesprochen haben – wie etwa mein Zeichenlehrer an der Universität. Ich war damals etwas überrascht, aber rückblickend ergibt es Sinn. »GIF« wurde im Dezember 1994 verboten, was etwas erstaunlich war, das geschah schon unter der neuen Verfassung, die die Meinungsfreiheit schützen soll. Danach haben wir angefangen, für ein Pornomagazin zu arbeiten, für etwa ein Jahr, das war ein großer Spaß, und wir hatten die Möglichkeit, in Farbe publiziert zu werden. Wir haben das Bild des weißen Mannes mit unserer Pornoarbeit untergraben, und zwar so sehr, dass der Herausgeber eine Menge Briefe bekam, die unsere Entlassung forderten. Wir wollten die Leser verändern und nicht einfach sexy Bilder machen. Unter den weiblichen Lesern hatten wir einige Anhängerinnen.

War »Bitterkomix« speziell für die Post-Apartheids-Gesellschaft konzipiert?

Ich glaube schon, auch, wenn wir keine strikte Strategie hatten – es wurde hinterher nur immer als solche interpretiert. Meine Strategie damals, Anfang bis Mitte der Neunziger, war es, so ikonoklastisch und subversiv wie möglich zu sein.
Wenn Comics bestimmte Themen ansprechen wollen, werden sie oftmals kleinlich. Ich wollte es immer vermeiden, langweilig zu sein oder jemandem etwas beizubringen. Ich wollte die Leute lieber schockieren und gegen meine Arbeiten aufbringen. Dann kann man sich hinsetzen und sagen: Hey, warum bist du so sauer? Vielleicht stimmt ja mit dir was nicht?
Und es ist interessant, High und Low Art zu vermischen. Meine Arbeit ist dabei eklektischer als die Conrads, ich funktioniere halt so. Verschiedene Themen haben verschiedene Stile für mich, und wenn man einmal einen Stil etabliert hat, muss man diesen Stil untergraben – trotzdem bewundere ich natürlich Comiczeichner, die einen Stil entwickelt haben und diesen immer frisch halten.

Viele Ihrer Comics zeigen die südafrikanische Gesellschaft der Siebziger und Achtziger. Sie zeigen eine Kindheit voller Unterdrückung und Scham, Religion ist für südafrikanische Künstler Ihrer Generation das zentrale Thema. Wie dominant war Religion im Alltag Südafrikas?

Unsere Erziehung war »Christelik Nasionaal«, du hattest an den Gebeten und der allgemeinen »Verehrung« in der Schule teilzunehmen. Wenn du dem Christentum in der Schule ausgewichen bist, hattest du keine Freunde zum Spielen! Alle meine Spielkameraden waren religiös. Religion wurde als politisches Werkzeug benutzt: dass die Bibel uns erzähle, dass wir von Schwarzen separiert leben sollen, dass es eine Sünde sei, Sex vor der Ehe zu haben oder zu masturbieren, was wirklich lächerlich ist. Aber bis heute habe ich diese Träume, in denen ich in einem Einkaufszentrum vor allen Menschen masturbiere: Ich glaube, das ist ein Ergebnis der Sexualerziehung im alten Südafrika.
Sie können sich sicher vorstellen, wie wütend die jungen Menschen über all diesen Unsinn waren, besonders nach den ersten demokratischen Wahlen. Plötzlich hatte sich die Welt verändert. Russland war auf einmal unser großer Freund, der uns im Kampf gegen die Apartheid geholfen hatte, und sogar Gaddafi war nun unser Freund! Ich fand das super: tolles Material für einen Satiriker!

Ihr Künstlername Joe Dog erinnert an Punk­pseudonyme wie Jello Biafra oder Richard Hell. Hatten die DIY-Idee und die Provokation von Punk eine Bedeutung für Sie?

Ja, der Name Joe Dog funktionierte wie die Namen Sid Vicious, Johnny Rotten oder Jello Biafra. Und es ist interessant, wie schnell sich die Leute ihn merken können, an Anton Kannemeyer hätte sich niemand so schnell erinnert! Mein Interesse an Punk war ein zweifaches: an der Rohheit der Musik und den ikonoklastischen Texten – und ich liebe eklektischen Punk, Biafra arbeitet ja beispielsweise in unterschiedlichsten Genres, ich liebe auch die ersten zwei Alben von Nina Hagen, und einer meiner Lieblingsmusiker ist Mark E. Smith, auch wenn der nicht mehr wirklich Punk ist.
Ich mag es, die Leute zu provozieren: Es stimuliert immer Diskussionen und kritisches Denken. Und ich akzeptiere es, dass man Projekte, die eben nicht von McDonald’s gesponsert werden, selber machen muss. Das ermöglicht eine gewisse Freiheit. Es ist toll, wenn man tatsächlich von seiner Kunst leben kann.

Wie ist die Situation heute in Südafrika: Können Sie mit Ihren Arbeiten noch immer provozieren? Ist es noch immer nötig, bestimmte Aspekte der Gesellschaft mittels Comics anzugreifen?

Die Gesellschaft hat sich seit 1994 natürlich verändert. Offensichtlich schockieren einige Themen nicht mehr so stark – eine Publikation wie »GIF: Afrikaner Sekskomieks« hätte heute nicht mehr den gleichen Effekt wie 1994. Heute ist es zum Beispiel ganz normal geworden, in der Literatur Umgangssprache zu benutzen. Andere Themen, darunter Sexualität und Religion, sind immer noch sehr sensibel, und daher kann man damit immer noch provozieren.
Meine Arbeit hat sich ein wenig verschoben, statt nur auf Afrika zu schauen, untersuche ich Rassismus allgemeiner und betrachte auch die Fragen afrikanischer Politik in einem globaleren Kontext. Ich glaube, meine Arbeit hat heute in Europa und den USA viel mehr Wirkung als hier. Viele meiner Freunde und Kollegen haben das Gefühl, dass wir uns so lange mit dem Thema »Rasse« auseinandersetzen mussten, dass wir uns an Bilder gewöhnt haben, die Europäer oder Amerikaner noch immer herausfordernd finden. Ich weiß nicht, ob das immer stimmt, aber wir hatten natürlich enorme Veränderungen in Südafrika, die die Perspektiven ganz schön verschoben haben.
Ich habe immer noch das Bedürfnis, die Gesellschaft zu provozieren – tatsächlich stimuliert das meinen Arbeitsprozess, und vielleicht ist das die Art, wie Satiriker arbeiten. Aber ich glaube, wenn eine Arbeit gesellschaftliche Debatten anstoßen kann, hat man einen guten Job gemacht. Wenn die Leute sagen: »Oh, das ist schön«, und danach deine Arbeit vergessen, muss das für einen Künstler deprimierend sein. Ich brauche Reaktionen.

Geändert: 8. Dezember 2009