Die Debatte um den Emissionshandel und die Klimakonferenz in Kopenhagen

Mehr Kohle mit Kohle

Eines der bevorzugten Instrumente der Klimapolitik ist nach wie vor der Emissionshandel. Viele so genannte Klimaschützer fordern, dass auf der Klimakonferenz in Kopenhagen die Einführung eines globalen Emissionshandels beschlossen wird. Dabei hat schon der begrenzte Handel mit Emissionszertifikaten gezeigt, dass dieser nicht zur Verminderung des CO2-Ausstoßes führt.

600 Windräder drehen sich im Süden der Landenge von Tehuantepec im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, 6 000 sollen es einmal werden, auf einer Fläche von 120 000 Hektar. Die Windparks werden von großen spanischen, französischen und mexikanischen Unternehmen betrieben. Was sie an Treibhausgasen gegenüber Kohlekraftwerken einsparen, wird in Form von Klimazertifikaten verkauft. Der »Windkorridor« sei ein Klimaschutzprojekt, erklärt die mexikanische Regierung stolz. »Das ist nur vorgeschoben«, sagt hingegen Bettina Cruz Velázquez vom Bündnis Asamblea en defensa de la Tierra. »Es geht nicht um Klimaschutz, sondern nur ums Geschäft der Konzerne.«

Doch »Klimaschutz« und Geschäft sind schon lange keine Gegensätze mehr. Seit das Kyoto-Protokoll 1997 festschrieb, dass die vereinbarten Reduktionsziele durch handelbare Emissionsrechte erreicht werden sollen, ist rund um Koh­lendioxid und andere Gase ein lukrativer Markt entstanden. 2008 wurden mit Emissionszerti­fikaten 125 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Nicht nur die radikale Linke, auch viele Umweltverbände kritisieren inzwischen die Emissionsminderung durch Marktmechanismen. Ändern wird sich an dieser Politik jedoch auch bei der derzeit stattfindenden Klimakonferenz in Kopenhagen nichts, im Gegenteil: Alle bisherigen Vorschläge sehen eine Ausweitung des Handels mit Emis­sionen vor – zu Lasten des Klimas und der Bevölkerung in den ärmeren Ländern.
Dass Einsparungen von Treibhausgasemissionen nach dem Kyoto-Protokoll überhaupt handelbar sind, geht vor allem auf die USA und das Engagement des damaligen Vizepräsidenten Al Gore zurück – und auf das allgemeine neoliberale Denken der neunziger Jahre. Auch viele NGO und Umweltverbände trauten dem Handel mit Emis­sionzertifikaten damals zu, die Abgase auf kostengünstige und effiziente Weise zu verringern. Das Kyoto-Protokoll schrieb nicht nur fest, dass die 38 Industrieländer bis 2012 ihre Emissionen um insgesamt 5,2 Prozent im Vergleich zum Stand von 1990 reduzieren sollten, sondern auch, dass dies über verschiedene »flexible Mechanismen« geschehen solle. Genial war vor allem der Handel mit Emissionszertifikaten nach dem Prinzip cap and trade: Ein Staat oder ein Staatenbund gibt eine begrenzte Anzahl an Emissionszertifikaten aus, diese werden nach und nach verringert (cap). Jedes Unternehmen kann dann entscheiden, ob es selbst Emissionen reduziert oder darauf verzichtet und sich stattdessen an der Börse Zertifikate zukauft; Unternehmen, die weniger Treibhausgase ausstoßen, können überschüssige Zertifikate verkaufen (trade).
Daneben kommen zwei weitere Mechanismen zum Einsatz: Joint Implementation (»Gemeinschaftsreduktion«), bei dem ein Industrieland in einem anderen Industrieland eine emissionsverringernde Maßnahme finanziert und dafür die Reduktion selbst angerechnet bekommt. Und, weit wichtiger, Projekte des Clean Development Mechanism (CDM), wie beispielsweise die Windparks in Mexiko: Industrieländer finanzieren dabei Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes in Entwicklungsländern und können diese Reduktion als ihre eigene verbuchen.
Das Kyoto-Protokoll schuf damit zwei folgenreiche Umdeutungen. Zum einen wurde aus der Verpflichtung zur Verringerung von Treibhausgasen ein »Recht auf Verschmutzung«, wie es die Emissionszertifikate verbriefen. Und zum anderen wurde ausgerechnet der Markt zum wichtigsten Instrument im Kampf gegen den Klimawandel erkoren und dabei eine neue Ware geschaffen: das Emissionszertifikat.
Die USA, die sich einst für den Emissionshandel stark machten, stiegen unter dem nachfolgenden Präsidenten George W. Bush aus dem Kyoto-Protokoll aus. Erst das Klimapaket, das US-Prä­sident Barack Obama derzeit durch den Senat zu bringen versucht, sieht die Errichtung eines Emissionshandelssystems vor. So blieb es der Europäischen Union vorbehalten, den ersten großen Versuch zum Emissionshandel zu starten. 1998 begann die Europäische Kommission über einen EU-weiten Zertifikatehandel zu beraten, sie wurde von zahlreichen Unternehmensvertretern, unter anderem von BP, beraten und unterstützt. Am 1. Januar 2005 trat das EU-Emissions Trading Scheme in Kraft.

Heute, zwölf Jahre nach der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls und fünf Jahre nach dem Start des europäischen Emissionsmarkts, zeigen sich die Folgen: Der Handel mit Emissionszertifikaten hat Arbeitsplätze und wachsende Profite geschaffen – die CO2-Emissionen hat er nicht verringert. Er hat im Gegenteil ein System geschaffen, in dem wesentliche Akteure in den Industrie- wie auch in den Schwellenländern gar kein Interesse an einer Verringerung der CO2-Emissionen haben, sondern von Verschmutzung, Ausgleichsmaßnahmen und dem Handel dazwischen gleichermaßen profitieren.
Ließen sich viele Mängel des Systems noch durch eine strengere Regulierung beheben, so blieben doch zwei grundsätzlich Probleme bestehen. Der Emissionshandel verhindert die zentrale Aufgabe einer wirksamen Klimapolitik, nämlich den gesellschaftlichen (oder zumindest technischen) Umbau weg von einer energieintensiven, auf fossilen Brennstoffen beruhenden Industrie. Ein noch größeres Problem ist jedoch die Möglichkeit der Kompensation, wie ihn die CDM-Projekte ermöglichen. Diese sind längst zu ­einem zentralen Bestandteil des Emissionsmarkts geworden, fast 2 000 sind bereits beim CDM Executive Board bei der Uno registriert, über 4 200 weitere warten auf Registrierung. Im vergangenen Jahr hat die Zahl der Anträge um 32 Prozent zugenommen. Kein Wunder, bieten die CDM-Projekte Unternehmen in den Industrieländern doch die attraktive Möglichkeit, business as usual zu machen und andere dafür zu bezahlen, dass sie für eine »saubere« CO2-Bilanz sorgen.

Der größte Teil der CDM-Projekte befindet sich in Asien, allen voran in China und Indien, rund ein Viertel in Lateinamerika, vor allem in Brasilien und Mexiko. Betrieben werden die Projekte meist von großen Unternehmen, teils transnationalen Energieunternehmen, teils auch den nationalen Konzernen, die oft in den Händen weniger oli­garchischer Familien sind. Auch die Windparks in Oaxaca werden vom spanischen Energieriesen Iberdrola, dem spanischen Windparkbetreiber Gamesa und dem größten mexikanischen staat­lichen Energieunternehmen CFE betrieben.
Eine wichtige Rolle spielen im Prozess der Registrierung zudem private Prüf- und Beratungsunternehmen, die von den Betreibern beauftragt werden. Das CDM-Board erlaubt 27 solcher Prüfunternehmen, zu den in Deutschland bekannten gehören TÜV-Nord und -Süd, Ernst & Young und der Germanische Lloyd. Die Prüfunternehmen erstellen Dokumentationen für die Registrierung und berechnen die mögliche Emissionseinsparung. Das Projekt wird dann beim CDM-Board regis­triert, und der Investor kann nun jährlich die Zertifikate entgegennehmen – in diesem Fall die spanischen Unternehmen, die die Zertifikate dann an der europäischen Klimabörse weiter handeln können. Für alle Parteien ist das ein lu­kra­­ti­ves Geschäft: für die Betreiber der Projekte, die Berater- und Prüf-Unternehmen, die Länder, in denen die Projekte gebaut werden und die Länder, die die Zertifikate dann einsetzen können, um selbst keinerlei Reduktionen vornehmen zu müssen. Die Emissionen aber verringern sich nicht, denn die Mechanismen, nach denen CDM-Projekte zugelassen werden, sind höchst umstritten.
Eigentlich muss ein CDM-Projekt zwei Kriterien erfüllen. Es muss nachgewiesen werden, dass es ohne die Förderung nicht gebaut werden würde, also ein »zusätzliches« ist. Und es muss CO2-Emissionen einsparen. Dabei sind sich NGO, das CDM Executive Board und die US-Entwicklungsorganisation US-Aid einig: Es ist unmöglich nachzuweisen, ob ein Projekt »zusätzlich« ist. Das Kriterium scheint auch nicht allzu ernst genommen zu werden. In China laufen rund 200 große Staudämme als CDM-Projekte, manche waren bei der Registrierung bereits fast fertig. Es ist jedem Beobachter klar, dass sie auch ohne das Geld aus dem Westen gebaut worden wären.

Noch problematischer ist die Bemessung der CO2-Emissionsrechte. Die Zertifikate werden über lange Zeiträume ausgestellt, die Abgas-Berechnung ist daher höchst spekulativ. Sie wird ver­glichen mit dem vorherigen Zustand oder mit dem Fall, dass ein ganz anderes Kraftwerk gebaut worden wäre. Logisch, dass Finanzierer und Betreiber ein Interesse haben, eine möglichst hohe »CO2-Bilanz« zu berechnen. In Indien etwa wird derzeit eine ganze Reihe von Kohlekraftwerken gebaut – auch sie werden CDM-Mittel erhalten, weil sie sparsamer sind als andere Arten von Kohlenkraftwerken. Der größte Teil der CDM-Projekte in China und Indien bestehen schlicht darin, dass in stark veraltete Kraftwerke neue Filteranlagen eingebaut werden. »Unternehmer in Indien und China haben schon jetzt Milliarden damit gemacht, Fabriken zu bauen, deren Hauptziel die Produktion von CO2 ist, damit Kohlenstoffhändler aus den reichen Ländern dafür zahlen, sie sauberer zu machen«, meint der Journalist und Umweltaktivist George Monbiot, der die Verhandlungen in Kyoto begleitete.
Dass der Clean Development Mechanism auch in sozialer Hinsicht manchmal alles andere als »clean« ist, zeigen zahlreiche Beispiele, wie sie unter anderem Friends of the Earth und Carbon Trade Watch in den letzten Jahren gesammelt haben. Die lokale Bevölkerung profitiert oft nicht von den Maßnahmen, sondern leidet darunter. Die Windkraftprojekte in Süd-Mexiko etwa stehen auf Land, das, wie Cruz Velázquez berichtet, von den oft analphabetischen Bauern »erworben« wurde, indem man sie unter Zwang oder Täuschung Blanko-Verträge hat unterschreiben lassen. Jetzt stehen sie ohne Land und ohne Erwerbsmöglichkeit da. »Wir haben nichts gegen Windkraft«, sagt Cruz Velázquez. »Windkraft ist eine saubere Technologie. Aber wir möchten selbst entscheiden, wo Windräder stehen, wir möchten, dass sie uns gehören, dass wir entscheiden, was mit dem Strom und dem erwirtschafteten Geld geschieht.«
Bei vielen Ländern Europas stellen die in den Entwicklungsländern gekauften Ausgleichsmaßnahmen bereits einen Großteil »ihrer« Emissionsreduzierung. Und das wird sich nicht ändern: Die EU hat in ihrem Klimaschutzpaket, mit dem sie nach Kopenhagen gereist ist, versprochen, bis 2020 20 Prozent weniger CO2 auszustoßen. Was nur im Kleingedruckten steht: Über 50 Prozent davon können durch CDM-Projekte verwirklicht werden. Da sich auch die USA dafür einsetzen, dass freigestellt wird, wo und wie Reduktionen erbracht werden, ist zu erwarten, dass der Einsatz von CDM-Projekten in Kopenhagen weiter erleichtert wird, wie Yvo de Boer, Generalsekretär der Klimarahmenkonvention, bereits im Frühjahr ankündigte: »Die Verhandler haben deutlich gemacht, dass sie mehr von den CDM sehen wollen und nicht weniger. Die Parteien haben erst kürzlich beschlossen, dass der Mechanismus auf jeden Fall auch nach 2012 fortgesetzt wird.«
Und nicht nur fortgesetzt – vermutlich wird es auch weiter erleichtert: dadurch, dass noch geringere Anteile der Reduktionen tatsächlich im eigenen Land erbracht werden müssen, dadurch, dass die Kontrolle und Überprüfung der Projekte weiter gelockert wird, und dadurch, dass aller Vor­aussicht nach weitere umstrittene Maßnahmen in den Katalog möglicher CDM-Projekte aufgenommen werden – Atomkraftanlagen etwa oder das umstrittene REDD-System, mit dem dann auch der Erhalt von Wäldern bzw. deren Aufforstung gehandelt werden könnte.
Cruz Velázquez hält davon nichts: »Die CDM privatisieren das Klima und geben den großen Unternehmen einen neuen Markt, auf dem sie spekulieren können.«