Über den Bildungsstreik

Wir wollen doch nur Streik spielen

Für die Proteste der Studierenden zeigen alle Verständnis, auch Politiker und Hochschulrektoren. Das sollte skeptisch machen.

Jena brennt, die FU Berlin brennt, Göttingen brennt. Überall brennt es, wenn man den Web­sites der Studierenden Glauben schenken darf. Immerhin sind derzeit an über 70 Hochschulen in Deutschland Gebäude und Hörsäle besetzt. An die De­mons­­trationen mit über 200000 Teilnehmern im Juni konnte die so genannte Herbst­offensive jedoch nicht anschließen. Und was für Außenstehende wie eine Verschärfung der Proteste anmuten mag – »brennende« Universitäten, Besetzungen, Blockaden –, ist vielerorts ein Rückzug in den symbolischen Raum, der niemandem wirklich weh tut. Dementsprechend groß ist das Verständnis von Politikern und Bildungsakteuren für die Forderungen der Protestbewegung, die mittlerweile kaum mehr darüber hinaus gehen, die durch Pisa-Berichte und wissenschaftliche Studien festgestellten Mängel im bundesrepublikanischen Bildungssystem beheben zu wollen.
Jeder anderen Protestbewegung würde es zu denken geben, wenn die Adressaten des Protestes – und damit auch die für die Unzufriedenheit Verantwortlichen – diesem begeistert zustimmen. Nicht jedoch den Studierenden. Durch Runde Tische und Podiumsdiskussionen mit Ver­tretern aus Politik und Hochschule erhofft man, sich Gehör und im nächsten Schritt Verbesserung zu verschaffen. Gemeinsame Lösungsansätze statt Konflikte schüren lautet das realpolitische Motto. Als vergangene Woche 30 Protestierende den Präsidenten der Göttinger Universität, Kurt von Figura, an seiner traditionellen Uni­versitätsrede hinderten, obwohl man ihnen großzügig fünf Minuten Redezeit eingeräumt hatte, führte dieses »undemokratische« Verhalten zu Unmut. Unter dem Motto »Wir wollen mit ins Boot« forderten Studierende in Hannover, an den Gesprächen im niedersächsischen Wissenschaftsministerium »zur Neujustierung des Bologna-Prozesses« teilnehmen zu dürfen. Von Skepsis gegenüber Leuten, die durch die Besetzung von Universitätseinrichtungen gezwungen werden mussten, überhaupt mit Studierenden zu reden, ist keine Spur mehr. Stattdessen wird unermüdlich betont, wie »konstruktiv« man sei.

Viele der so genannten Besetzungen sind bei näherer Betrachtung gar keine. Die erkämpften »Freiräume« werden von Studierenden genutzt, um Ausweichpläne für die verhinderten Veranstaltungen in den besetzten Gebäude zu erstellen, in manchen Städten wurde der Universitätsleitung angeboten, dass man sich während der Besetzung auf die hinteren Ränge des Hörsaales zurückziehen könne. In Jena wurden Hörsäle kurz nach ihrer Besetzung wieder zurückgegeben, um »Bildung möglich zu machen«.
Nur vereinzelt klingen in den offiziellen Mitteilungen noch kritische Stimmen durch, wenn ein Ende der faktischen Diskriminierung von Akademikerinnen in Gremien und in der Lehre gefordert oder die geschlechtsneutrale Sprache verwendet wird. Der Widerspruch, Presseerklärungen mit »sehr geehrte Damen und Herren« zu beginnen und im Anschluss von »Student_innen« zu sprechen, zeigt die Feigenblattfunktion der letzten linken Studierenden. Nun stellt sich die die Frage: Ist der »Bildungsstreik« noch zu retten, oder war er schon von Anfang an verloren? Vielerorts verschärfen sich die Diskussionen, wie es nun weitergehen soll, linke und kritische Gruppen und Ansichten werden von denjenigen verdrängt, die das Studium als »berufsqualifizierende Ausbildungsmaßnahme« ansehen und keine Kritik an den Inhalten und der Funktion dieser Ausbildung zulassen. Studierende, die die »Kuschelkampagne« und die damit verbundene inhaltliche Leere kritisieren, stehen oft alleine da.
Die Bildungsproblematik in einen größeren gesellschaftlichen Kontext stellen zu wollen, gilt vielerorts unter den Studierenden bereits als »ideologisch«. In den Medien ist vom »missbrauchten Protest« die Rede, von »Berufsrevolutionären« und »linken, teils sektiererischen Gruppen«. Gottfried Ludewig, Bundesvorsitzender des RCDS, sprach von »bequemer Fundamentalkritik«. Diese Meinung scheinen nicht wenige Studierende zu teilen. In Göttingen wurden während eines Streikplenums die unabhängigen Basisgruppen des Raumes verwiesen, weil deren allgemeinpolitischen Forderungen nicht im Sinne der Protestbewegung seien. Ein Transparent mit der Aufschrift »No Border, No Nation, Free Education« durfte in der Freiburger Uni nur hängen bleiben, nachdem ein Plenumsteilnehmer argumentiert hatte, dass der Spruch sich auf die Durchsetzung des in der Bologna-Erklärung festgelegten europäischen Hochschulrahmens beziehe.

Die Proteste stehen nicht in der Tradition der 68er, sondern sind vielmehr die Antithese dazu. Und sie zeigen die Veränderungen innerhalb der gesellschaftlichen Diskurse auf. »Ideologisch« sei bereits der Verweis auf eine Ökonomisierung der Hochschulen, beschmierte Wände gelten als »Gewalt« und dienen als Rechtfertigung für gewalttätige Räumungen wie zuletzt auf dem Frankfurter Campus. Die Studierendenschaft steht dabei nicht außerhalb dieser Entwicklung. Die farbliche Umgestaltung eines Treppenhauses in den besetzten Räumen der Universität in Bremen führte zur Einberufung eines nächtlichen Notfallplenums, da man den Einsatz der Polizei fürchtete. In Hannover beschloss das Streikplenum, Geld für ein neues Kabel der Überwachungskamera im besetzten Audimax zu sammeln, das Protes­tierende zuvor durchgetrennt hatten.
So ist es kaum verwunderlich, dass sich die Bildungsproteste hier im Lande – und im Gegensatz zu anderen Ländern – kaum mit anderen sozialen Kämpfen oder linken Bewegungen verbinden. Selbst die hochschulübergreifende Solidarität nimmt ab, wie Streikende aus verschiedenen Städten bemängeln. Forderungen würden immer häufiger nur für die eigene Hochschule formuliert. In Bochum wurde die Besetzung der Fachhochschule bereits »erfolgreich« beendet. »Alle Bedingungen sind erfüllt«, ist auf der Protestseite efhbrennt.de zu lesen. An die Stelle von Diskussionskultur und inhaltlichen Auseinandersetzungen tritt die Gleichberechtigung aller Meinungen und die Betonung vermeintlicher »Ideologiefreiheit« der eigenen Inhalte – mit der dafür notwendigen Ausblendung der Verhältnisse. Sehen sich Protestierende als Vertreter aller Studierenden, wird das nicht erst dann zum Problem, wenn sich herausstellt, dass die Mehrheit Forderungen wie die Abschaffung der Studiengebühren gar nicht teilt. Um sich deren Unterstützung trotzdem zu sichern, wird selbst von studentischer Seite mit neoliberaler Standortlogik argumentiert: »Angesichts des herrschenden Fachkräftemangels halten wir es für äußerst kontraproduktiv, talentierte junge Menschen von einem Studium abzuhalten«, so der landesweite Zusammenschluss der Studierendenvertretungen Bayern.
Während das kritische Spektrum in Bedrängnis gerät, öffnet die Weigerung vieler Studierender, den gesellschaftlichen Kontext mit einzubeziehen, reaktionären Gruppen die Tür. Das Berliner Streik­plenum hatte im März beschlossen, dass »Verbindungen jeglicher Coleur« nicht erwünscht seien, da die Protestbewegung »Nationalismus, ­Sexismus und Rassismus« ablehne. Man könnte meinen, dass elitäre und konservative Gruppen ohnehin kein Interesse an den »sozialen« Protesten hätten. Die Diskussion auf Bildungsstreik.net zeigt jedoch, dass die Abgrenzung nötig und keineswegs selbstverständlich ist. Die große Mehrheit der Teilnehmer äußert ihr Unverständnis: »Dadurch wird eine große Gruppe an Studenten ausgegrenzt, aus Gründen die nichts mit den Zielen des Bildungsstreiks zu tun haben können«, schreibt ein Burschenschafter, der eigentlich vor hatte, mit seinen Bundesbrüdern »mit Band auf ’ne Demo zu gehen«. Die Inhalte der Protestbewegung sind so allgemeingültig und frei von grundsätzlicher Kritik, dass sich auch ein Burschenschafter damit identifizieren kann.
In Berlin haben sich unter dem Namen »Identitärer Studentenblock« erstmalig »Autonome Nationalisten« mit den Protesten solidarisiert, auch wenn sie die Forderungen nur für »Volks­genossen« umsetzen wollen. Man kann es der Protestbewegung kaum zum Vorwurf machen, dass nun auch die Nazis in die Proteste intervenieren wollen. Dass sie es nicht schafft, alleine durch ihre Inhalte dafür zu sorgen, dass weder studentische Verbindungen noch Neonazis Lust haben, Teil der Proteste zu werden, jedoch schon.