Die neuen Enthüllungen über den Dutschke-Attentäter

Axel jagt die Affen

Vor den Schüssen auf Rudi Dutschke hatte der Attentäter Josef Bachmann Kontakte zu Neonazis. Bei Springer möchte man das gerne als Beweis für die Unschuld des Konzerns werten.

»Ich hatte fürchterliche Angst«, erzählte Lutz-Dieter Monde. »Sie schrien: Schlagt ihn tot, hängt ihn auf. Sie meinten mich. Ich geriet in das brüllende Menschenknäuel und wurde zum zweiten Mal niedergeschlagen.« Monde hatte das Pech, Rudi Dutschke ähnlich zu sehen.
»Wir wollen sagen, wofür wir sind«, war das Motto jener Demonstration am 21. Februar 1968, zu der das »freie Berlin« aufgerufen worden war. Die Parole »Lasst Bauarbeiter ruhig schaffen, kein Geld für langbehaarte Affen!« gehörte noch zu den harmloseren Aussagen. Offen wurde auch gefordert: »Politische Feinde ins KZ!« Mehrere Passanten, die der Mob für Studenten hielt, wurden angegriffen. Mit besonderem Eifer stürzte man sich auf den vermeintlichen Dutschke.
Aufgerufen hatte zu dieser Demonstration nicht etwa die NPD. Vielmehr handelte es sich um eine gemeinsame Initiative aller großen Parteien, die auch vom DGB unterstützt und selbstverständlich von der Springer-Presse beworben wurde. Am 7. Februar hatte Bild gemahnt: »Man darf auch nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.« Der Mob hatte aber auch den offiziellen Segen des Bürgermeisters Klaus Schütz (SPD): »Helfen Sie mit, Straftäter festzustellen.« Am 11. April, dem Tag, an dem Josef Bachmann auf den echten Dutschke schoss, erschien die Zeitung mit der Schlagzeile »Rudi Dutschke – Staatsfeind Nr. 1!«

Die Hetzparolen ihrer damaligen Hassprediger sind den Repräsentanten des Springer-Verlages nun ein bisschen peinlich. Dass die meisten Historiker dem Medienkonzern eine Mitschuld am Attentat auf Dutschke geben, gilt als Makel im Lebenslauf Axel Springers, den der Konzern gerne als große Persönlichkeit gewürdigt wissen will. Einfach nur sagen, dass man damals falsch lag, möchte man aber auch nicht, noch weniger gefragt ist eine Analyse der Motive, die Springer und seine Untergebenen dazu bewegten, den rechten Mob aufzuhetzen. Vielmehr gedachte man, sich für einzelne angebliche Ausrutscher zu entschuldigen. Aber die anderen, also die 68er, sollen gefälligst auch Selbstkritik leisten. Anschließend hätte man sich gemeinsam darüber freuen können, wie schön unsere Demokratie doch ist.
Dies war in etwa das Konzept des »Springer-Tribunals«, das der Konzern in diesem Jahr verfolgen wollte. Doch »die maßgeblichen Akteure der 68er-Bewegung haben unser Gesprächsangebot leider zurückgewiesen«, klagte Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG.
Auch die Stasi-Akten halfen diesmal nicht weiter. Wie schön wäre es gewesen, wenn sich die im Sommer von der Springer-Presse eifrig kolportierte Mutmaßung Gretchen Dutschkes, die Stasi könnte etwas mit dem Attentat zu tun haben, hätte erhärten lassen. Doch die Auswertung der Stasi-Akten erbrachte ein anderes Ergebnis. Dem Spiegel zufolge hatte Bachmann enge Kontakte zu Neonazis im Raum Braunschweig, er habe sich dort an Schießübungen der Nazis, bei denen gelegentlich auch Polizisten mitmachten, beteiligt und erhielt möglicherweise Munition.
Die Neonazis sind für Springer nur die zweite Wahl. Immerhin glaubt man sich bei Bild nun zu der Schlussfolgerung berechtigt: »Nicht der Springer-Verlag und seine Zeitungen, sondern Neonazis und Ex-NPD-Funktionäre stachelten Bachmanns Hass gegen Dutschke an.« Als wenn das eine das andere ausschließen würde.
Es wird wohl nicht mehr geklärt werden, ob hinter dem Attentat am Ende organisierte Neonazis standen. Die Gruppe, mit der Bachmann kooperierte, war für mehrere Anschläge in den folgenden Jahren verantwortlich und hatte dem Spiegel zufolge eine Todesliste erstellt. Dass kein Staatsanwalt sich für Bachmanns Verbindungen interessierte und die Polizei, die von den Beziehungen Bachmanns zur rechtsextremen Szene wusste, diese Spur nicht weiter verfolgte, überrascht nicht. Fälle, in denen faschistische Gewalttäter als unpolitische Sonderlinge klassifiziert und ihre Verbindungen zu organisierten Neonazis als unerheblich betrachtet werden, ziehen sich wie ein brauner Faden durch die Geschichte der Bundesrepublik.
Möglicherweise war Bachmann tatsächlich ein geistig unterbelichteter Einzelgänger, der seinem verpfuschten Leben mit einem spektakulären Attentat einen Sinn geben wollte. Dass die Springer-Presse, allen voran Bild, das Sturmgeschütz der Demagogie, überhaupt keinen Einfluss auf sein Weltbild gehabt haben soll, ist jedoch an­gesichts der damals allgegenwärtigen Präsenz der Produkte des Konzerns besonders unter rechten Angehörigen der »bildungsfernen Schichten« kaum denkbar.
Die historische Wahrheit ist sogar bei Gericht aktenkundig. »Der Verleger Axel Cäsar Springer beherrscht einen Großteil des deutschen Zeitungsmarktes«, stellte das Esslinger Amtsgericht im Oktober 1968 fest. »Diese Machtstellung wird bei der öffentlichen Meinungsbildung (…) rigoros ausgenutzt«, dabei werde »effektiv gelogen«. Bei der Berichterstattung über die Studentenbewegung betreibe Springer »üble Stimmungsmache und Aufhetzung zu Gewalttaten«, daher sei »die Meinung, der Mordanschlag auf Rudi Dutschke sei ein mittelbarer Erfolg der durch die Springer-Presse gegen die radikalen Studenten aufgewiegelten und manipulierten Öffentlichkeit, zumindest verständlich«.

Bei Springer war man sich dieser Machtstellung bewusst. Eine 1965 im Auftrag des Konzerns erstellte Studie ergab, dass die Leser die Bild-Zeitung auch als »eine gesellschaftliche Macht« sahen, »von der sich die einen bedroht fühlen und die anderen Orientierung und Aufklärung (…) erwarten«. Bild sei »Berichter und Richter zugleich«. Zum Henker fühlten sich dann andere berufen.
Axel Springer legte immer Wert darauf, nicht als ein Medienkapitalist zu gelten, der nur möglichst viele Zeitungen verkaufen will. Er hatte eine politische Mission, vor allem der Antikommunismus lag ihm am Herzen. Dass die meisten 68er keine Stalinisten waren, nützte ihnen ebenso wenig wie es Dutschke zugute gehalten wurde, dass er auch in der DDR ein Oppositioneller gewesen war. Als radikale linke Oppositionelle waren die 68er Feinde. Nicht politische Gegner, sondern Feinde.
Diese Haltung wurde von der demokratischen Rechten, aber auch von vielen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern geteilt. Die linken Protestierenden »nützen nicht nur alle Lücken der Paragraphen eines Rechtsstaates aus, sondern benehmen sich wie Tiere, auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist«, urteilte 1969 der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß. In Berlin war der Polizeipräsident Erich Duensing (SPD), der sich im Zweiten Weltkrieg der »Partisanenbekämpfung« in der Ukraine gewidmet hatte, nach dem Tod Benno Ohnesorgs zwar zum Rücktritt gezwungen, doch folgten die Beamten weiterhin seinem Motto: »Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, nicht wahr, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzt.«

Die damals in der Linken debattierte Faschisierungsthese erwies sich als falsch, doch war sie alles andere als unbegründet. Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) war bereits vor der Machtübernahme Hitlers in die NSDAP eingetreten. Auf allen Ebenen der Gesellschaft hatten alte Nazis noch das Sagen, ob als Lehrer, Polizisten, Journalisten oder Meister. Kaum einer von ihnen gab sich Mühe, Reue wenigstens zu simulieren. Wenn bereits der Anblick eines Mannes mit langen Haaren spontane Gewalttaten auslöste, zu welchen Mitteln würden solche Leute erst greifen, wenn ihre Macht ernsthaft bedroht war? Überdies galten rechte Dikaturen wie die damaligen Regimes Portugals, Spaniens und Griechenlands fast allen westlichen Demokraten als zuweilen notwendiges Übel im Kampf gegen den Kommunismus.
Um sich ausgerechnet in der BRD keine Sorgen um die Demokratie zu machen, bedurfte es eines gehörigen Maßes an Staatsgläubigkeit. Vielmehr drängt sich die Frage auf: Warum brauchte damals eigentlich noch jemand die NPD? Einig waren sich demokratische und extreme Rechte unter anderem in ihrem fanatischen Antikommunismus, den Gebietsansprüchen an Polen und die Sowjetunion sowie dem Hass auf »langbehaarte Affen«, Homosexuelle, »Emanzen«, ehemalige antifaschistische Widerstandskämpfer und alle anderen, die dem Idealbild des obrigkeitshörigen, hart arbeitenden Deutschnationalen nicht entsprachen.
»Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen«, sagte Strauß im Jahr 1969. Von der extremen Rechten unterschieden Leute wie er sich vornehmlich durch die Befürwortung der Westbindung, der Mitgliedschaft in Nato und EWG (heute EU) und die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie, die man jedoch so restriktiv wie möglich gestalten wollte. Kaum jemand kämpfte so beharrlich für den Erhalt des christlich-deutschnationalen Obrigkeitsstaats wie Springer.
Falsch war daher nicht die Kampagne »Enteignet Springer«, doch hat man sich wohl etwas zuviel von ihr erwartet. So mutet es rührend an, dass Dutschke Briefe an Bachmann schrieb, ihm verzieh und ihn sogar für die Revolution gewinnen wollte. Diese Haltung kann so manchem CDU-Politiker als ein leuchtendes Beispiel an christ­licher Tugend vorgehalten werden, doch offenbart sie auch eine politische Fehleinschätzung. Proletarier und auch Subproletarier wie Bachmann galten als geborene Revolutionäre, die nur von der bürgerlichen Propaganda, nicht zuletzt der Bild-Zeitung, davon abgehalten wurden, sich der Bewegung anzuschließen.
Doch die rechte Revolverpresse kann Ressentiments nutzen und manipulieren, nicht aber erzeugen. Überdies ist sie gezwungen, mit der Zeit zu gehen. Es war vornehmlich die 68er-Bewegung, die jene gesellschaftliche Demokratisierung erkämpfte, die nun als Standard sogar bei der Bild-Zeitung gilt. »Christopher Street Day (CSD) in Berlin – und das ist auch gut so«, schreibt man nun, während damals ein Springer-Journalist nur mit Abscheu auf solche gottlosen Ferkeleien geblickt hätte. Die 68er haben es sogar geschafft, die Springer-Presse ein wenig zivilisierter zu machen. Es ist an der Zeit, dass der Konzern ihnen dafür endlich einmal dankt.