Eine Ausstellung im Jüdischen Museum über Religion und Essen

Die Rezepte Gottes

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin untersucht den Einfluss der Religion auf die Kulturgeschichte des Essens.

Koschere Gummibärchen schmecken eigentlich auch nicht anders als unkoschere. Man kann sich im Foyer der Ausstellung »Koscher & Co. – Über Essen und Religion« im Jüdischen Museum Berlin ein Päckchen koschere Haribo-Bärchen aus dem Automaten ziehen. Auch koschere Gummibärchen sind bunt, machen dick und dem Zahnarzt Sorgen.
Koscheres Essen muss also nicht unbedingt so viel anders sein als unkoscheres, obwohl Henryk M. Broder und sein Kontrahent, der Journalist Erich Follath, in einem vor kurzem im Spiegel abgedruckten E-Mail-Verkehr nicht müde werden zu betonen, sich unbedingt in Israel zum Essen verabreden zu wollen, aber auf keinen Fall in einem koscheren Restaurant. Aber wahrscheinlich geht es dabei gar nicht einmal um Geschmacksfragen, sondern eher darum, dass sich die beiden säkularen Juden darüber einig sind, sich nicht von einer Religion vorschreiben lassen zu wollen, was gegessen werden darf und was nicht.
Dass das Prinzip des koscheren Essens in Israel längst zum Problem geworden ist, diesen Aspekt unterschlägt die Ausstellung im Jüdischen Museum dann auch leider. Vielmehr ist davon die Rede, wie identitätsstiftend koscheres Essen für den Staat Israel sei, im positiven Sinne. Israel ist demnach das, was man dort isst. Doch in Wahrheit ist zumindest in Jerusalem das Verteilen von Koscher-Zertifikaten, ohne die eine Imbissbude so wenig auskommt wie ein Hotel, längst zu einem Machtfaktor der Ultraorthodoxen geworden. Diese kontrollieren längst nicht bloß ihre eigenen Viertel, sondern die ganze Stadt, mit Ausnahme Ostjerusalems. Die re­ligiösen Koscherwächter vergeben die Zertifikate, so wie sie sie auch wieder entziehen können. Israel hat den Religiösen längst viel zu viel Macht eingeräumt, und das ist ein Problem für das Selbstverständnis dieses Staats.
Prinzipiell, so der Ansatz der Ausstellung, ist koschere Lebenskultur zwar nicht frei von bizarren Regeln und Bestimmungen, aber im Vergleich zu religiösen Essgewohnheiten im Islam oder im Hinduismus relativiert sich das alles recht schnell wieder. Auch im Islam wird schließlich geschächtet, und selbst für das seltsame Ritual ultraorthodoxer Frauen, sich die Haare abschneiden zu müssen, wird ein ähnlicher Kult bei den Hindus gefunden, die sich im Tirumala-Tempel in Tirupati einfinden und sich dort die Haare scheren lassen. Jüdische Bräuche mögen also manchmal kurios wirken, aber auch andere Religionen haben Merkwürdigkeiten zu bieten. Die Christen verspeisen in der Eucharistie den Leib Christi, was auch eine ziemlich eigentümliche Vorstellung ist.
Ausgehend von Grundregeln der koscheren Lebensführung wie »Milch und Fleisch dürfen nicht zusammen gegessen werden«, wird man in der Ausstellung also in allerlei Seltsamkeiten des jüdischen Glaubens entführt, wie etwa der, dass ein Wein nur dann als koscher gilt, wenn bei seiner Herstellung kein Nichtjude mit ihm in Berührung gekommen ist. Manchmal denkt man sich dann natürlich schon: Gut, man kann sich das Leben auch wirklich schwerer machen, als es sein müsste. Andererseits erfährt man aber nochmals, wie geschmeidig koscheres Essen sich auch in den Alltag integrieren lässt. Industriell von einer großen Firma hergestellte Gummibärchen sind dafür nur ein Beispiel unter vielen. Auch deutsches Bier, nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut, ist koscher. Kellogg’s Cornflakes: koscher. Heinz-Tomatenketchup: koscher.
Die Ausstellung ist weit mehr als eine Lehrveranstaltung, in der man so ziemlich alles über jüdische Bräuche erfährt. Es geht eher prinzipiell darum, wie Religion in so ziemlich allen Kulturkreisen Rituale rund um das Essen prägen. Allein wenn man bedenkt, was man wieder rund um Weihnachten alles verzehrt, von Lebkuchen bis zum Weihnachtsbraten, bleibt die Erkenntnis nicht aus, dass selbst der säkularste Mensch im eher säkularen Deutschland kaum um religiös durchwirkte Essgewohnheiten herumkommt. Außerdem will man das vielleicht ja auch gar nicht: Was für Leckereien dank der Religionen entstanden sind, das allein ist ja schon erstaunlich. Wer mag, kann sich bei »Koscher & Co.« auch eine Menge koscherer Rezepte mit nach Hause nehmen und selbst erfahren, dass koscheres Essen nicht unbedingt etwas mit Verzicht zu tun haben muss.
Essen war in den Religionen schon immer mehr als die bloße Nahrungsaufnahme. Essen ist elementar für religöse Riten – man denke nur an das Brechen des Brotes, an Opfer und damit verbundene Armenspeisungen – und stärkt den inneren Zusammenhalt einer Gruppe. Als die Nazis damit begonnen hatten, das Judentum auslöschen zu wollen, haben sie auch versucht, koschere Riten zu verhindern. Eine Identität sollte auch durch die Verunglimpfung von Essgewohnheiten zerstört werden. Doch selbst in den Vernichtungslagern, wo jeder Brotkrümel ein Schatz war, wurde noch teilweise versucht, jüdische Essgebräuche zu wahren.Auch als letzter verweifelter Akt des Widerstands.
Ausgerechnet die doofe Religion hat letztlich das vorweggenommen, was sich heute in unserer Biogesellschaft als Erkenntnis durchgesetzt hat: Einfach alles zu essen, was einem vor die Zähne kommt, das bringt’s auf Dauer auch nicht. Man holt sich Krankheiten oder noch schlimmer: man wird dick. Essen bringt und prägt Kulturen, die Religionen haben das schon immer gewusst. Sei es das Credo der heutigen Slowfoodbewegung – bewusste Ernährung – oder die Praktiken von Vegetarieren und Veganern: Die Religionen mit all ihren Speisegesetzen und Fastenformalitäten haben all das vorweggenommen.

»Koscher & Co. – Über Essen und Religion«. Bis 28. Februar im Jüdischen Museum Berlin